Der Meerkönig. Balduin Möllhausen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Balduin Möllhausen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754176504
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ihr Nadelgeld bereits um eine erhebliche Summe erhöhen mußte.«

      »Glückliche, reich gesegnete Mutter!« flüsterten Herrn Seim's bebende Lippen wie unbewußt, während seine Blicke in den Augen seiner Gönnerin zu lesen suchten.

      Diese aber hatte schnell wieder ihre Brieftasche zur Hand genommen, und mit einem ausdrucksvollen: »Im Namen meiner Tochter für Ihren geheimen Fonds!« legte sie abermals einen Geldschein vor den überraschten Vorsteher hin.

      Erleichterten Herzens erhob sie sich darauf; Herr Seim war ihr beim Anziehen des Pelzes behülflich, und gern gestattete sie ihm, daß er sie mit dem Hute in der Hand bis an den Schlitten begleitete und an Stelle des unterwürfig zurückgetretenen Dieners ihr in die üppige Anhäufung von kostbaren Wildschuren und Decken hineinhalf.

      »Gott erhalte Sie, gnädige Frau!« rief Herr Seim innig aus, als die Pferde sich anschickten, auf ein Zeichen des Kutschers durch den stäubenden Schnee davonzustürmen.

      »Sorgen Sie auch recht gut für die lieben Kleinen und grüßen Sie alle herzlich von mir!« rief die Commissionsräthin laut zurück. Es geschah dies nämlich im Uebermaße ihres Wohlwollens und keineswegs aus Eitelkeit, denn sie erschrak fast, als sie bemerkte, daß einige Vorübergehende beim Klange ihrer Stimme mit achtungsvoller Verwunderung zu ihr emporschauten.

      Die Peitsche knallte, die Glocken klingelten im lustigen Chor, und dahin schossen die Pferde in gestrecktem Trabe, als ob sie sich auf einer Rennbahn befunden hätten.

      Seim blickte dem stattlichen Gefähre eine Weile nach und dann trat er gesenkten Hauptes in den Hof zurück.

      »Braves Herz, gute, edle Dame!« sprach er vor sich hin, als er bei den mit Schaufeln beschäftigten Tagelöhnern vorüberschritt, und zwar laut genug, um von diesen verstanden zu werden. Dann aber plötzlich stehen bleibend, als ob er sich jetzt erst der Anwesenheit der Arbeiter erinnere, wendete er sich diesen mit theilnehmendem, mitleidigem Lächeln zu.

      »Es ist kalt heute, liebe Kinder,« begann er aufmunternd; »wollte Gott, ich könnte Euch die Arbeit erleichtern und obenein doppelten Tagelohn zahlen!«

      Dieser Gedanke preßte ihm einen tiefen Seufzer aus, und wie um seiner eigenen, an Leichtsinn streifenden Weichherzigkeit zu entrinnen, eilte er hastig in's Haus.

      »Ein rechtschaffener Mann,« sagten die Leute zu einander, indem sie sich mit ihrer Arbeit beeilten, »und dabei so mildherzig; für Jeden hat er ein freundliches Wort, und läge es in seiner Macht, würde er uns Allen gewiß helfen.«

      Herr Seim war unterdessen in sein Geschäftszimmer eingetreten. Einen zufriedenen Blick warf er auf den Tisch, auf welchem das Geld noch immer lag; ein zweiter Blick galt seiner silbernen Uhr - eine goldene zu tragen, hielt er sich in seiner Stellung als Vorbild der Jugend nicht für berechtigt - und dann wiederholte er vor dem Spiegel einen Theil der Stellungen, welche er der Commissionsräthin gegenüber angenommen hatte, um daraus ungefähr zu berechnen, welchen Eindruck er auf seine Gönnerin ausgeübt haben könne.

      Offenbar lieferte die Prüfung ein befriedigendes Resultat; denn nachdem er mit leichter Hand seinen symmetrisch geordneten Locken einen sanften Schwung gegeben und demnächst mit edel zurückgezogenem Kinn das wohlgeformte Haupt die bekannten Drehungen in der weißen Halsbinde hatte ausführen lassen, spitzte er die Lippen zierlich zu einem leisen, dabei aber recht munter klingenden Pfeifen. Mit geübten Fingern und ohne das Pfeifen, den harmlosen Ausbruch einer frohen Stimmung und eines ruhigen Gewissens, einzustellen, zählte er flüchtig das Geld. Ein zufriedenes Nicken seines Hauptes verrieth, daß die Summen stimmten, worauf er sie nach dem Schreibtische hintrug, das volle Leinwandsäckchen in den Blechkasten stellte, die zuletzt empfangenen losen Scheine dagegen in die hölzerne Mulde legte.

      Er war noch mit dem Einschreiben in seine Cassen-Folianten beschäftigt, als es klopfte und auf sein freundliches Herein! ein Wärter des Hauses zu ihm herantrat und zwei eben eingelaufene Briefe neben ihn auf den Tisch legte.

      Herr Seim, sonst immer gütig und zuvorkommend, war indessen zu sehr in seine Rechnungen vertieft, um nach lieber, alter Weise den treuen Wärter nach dem Befinden seiner Familie zu befragen, und dieser besaß eine zu große Verehrung vor seinem milden Gebieter, um ihn zu ungelegener Zeit stören zu mögen; er schlich daher wieder leise zur Thür hinaus.

      Kaum aber hörte Herr Seim den Riegel in's Schloß fallen, da legte er die Feder zur Seite. Ein Blick auf die Uhr überzeugte ihn, daß noch fünf Minuten an der von seiner Tochter festgesetzten Zeit fehlten, er nahm daher die Briefe zur Hand, und nachdem er flüchtig die Aufschrift beider geprüft, erbrach er denjenigen, welchen er für den wichtigsten hielt. »Geehrter Herr Seim,« lautete dieser, »wenn Ihr Weg Sie in nächster Zeit an meiner Wohnung vorbeiführt, dann haben Sie wohl die Güte, vorzusprechen und mit mir über die Verwendung des Ertrages unserer Lotterie, der zur Weihnachtsbescheerung für Ihre Schutzbefohlenen bestimmt ist, zu berathen. Ergebenst

      »Hm, hm, als ob meine Juliane nicht billiger und zweckmäßiger einzukaufen verstände!« murmelte Herr Seim mit einem kaum bemerkbaren Anfluge von Ungeduld, und dann entfaltete er den zweiten Brief.

      »Ich erwarte Sie heute Abend zwischen neun und zehn Uhr in meiner Wohnung, um von Ihnen zu hören, wie die Sache mit dem, laut Zeitungs-Annonce, entlaufenen und auf den Namen Lieschen hörenden Mädchen zusammenhängt.

      »Adel bleibt Adel,« bemerkte Herr Seim, die beiden Briefe mit einer gewissen Ehrerbietung zusammenlegend und demnächst in ein geheimes Fach seines Schreibtisches verschließend; »selbst aus ihren Briefen kennt man sie heraus,« fuhr er in seinen lauten Betrachtungen fort. »Aber das gute Kind ist pünktlich,« verfiel er plötzlich in einen heitern Ton, und über sein wohlwollendes Antlitz verbreitete sich ein freundlicher Schimmer, »und dazu mein Leibgericht, prächtig, prächtig, es wäre in der That Hochverrath, meine sorgliche Juliane warten zu lassen.«

      Festen Schrittes begab er sich nach der Flurthür, und nachdem er dieselbe doppelt verriegelt, eilte er durch die andere Thür nach den Hintergemächern seiner Wohnung.

      5. Die Geschwister.

      Eine schöner und geschmackvoller eingerichtete Wohnung, als die des Grafen Hannibal, wäre schwerlich zu finden gewesen; denn nicht nur zeugte die ganze Einrichtung derselben von großem Reichthum, sondern die einzelnen der Hunderte von Gegenständen, von der schweren Parforce-Peitsche bis zu der mit Schildpatt ausgelegten Stutzuhr, waren auch so sorgfältig gewählt, und mit so viel feinem Geschmack geordnet, daß, wäre man verschwenderischer Ueberladung wer weiß wie abhold gewesen, man beim Eintritt sich dennoch behaglich angehaucht und sogar bis zu einem gewissen Grade heimisch fühlen mußte.

      Der Graf selbst war natürlich derartigen Eindrücken nicht unterworfen. Ihm galten die türkischen Teppiche und Damast-Gardinen nicht mehr, vielleicht noch weniger, als einem einfachen Bürgersmanne ein sandbestreuter Fußboden und dünne, weiße Fenstervorhänge.

      Die reich gepolsterten Sessel, die kostbar geschnitzten Stühle und Tische, der prachtvolle Kronleuchter, die wunderbar schönen Bronze- und Elfenbein-Bildhauerwerke, was waren sie ihm auch weiter, als Erinnerungszeichen einer vorübergehenden Laune, deren Befriedigung ihm eine kurze Unterhaltung gewährte.

      Ein oberflächlicher Blick belehrte, daß es außer Pferden und Hunden nicht viel mehr in der Welt gab, was seine Theilnahme zu erwecken vermochte. Es stand dies in seinen schlaffen, jedoch regelmäßig schönen Zügen geschrieben; es lag in seinen von kraftlos und matt niederhängenden Lidern versteckten blauen Augen; vor Allem aber sprach es sich in der ganzen Haltung aus, mit der er am Abende jenes Wintertages auf einer schwellenden Ottomane lag, mit den breiten, stählernen Sporen rücksichtslos in das kostbare Gewebe bohrte und einem neben ihm sitzenden Neufundländer Hunde die Lefzen so lange über der Nase zusammenpreßte, bis das geduldige Thier endlich vor Schmerz laut aufjauchzte.

      Das Jauchzen des Neufundländers rief ein schadenfrohes Knurren zweier kleiner Affenpinscher hervor, die neben dem Grafen auf der Ottomane lagen; das Knurren wieder bewegte den Grafen, von dem Neufundländer abzulassen und die Affenpinscher an den kurzen Schweifendchen zu zerren, daß sie in ein giftiges Bellen ausbrachen,