Der Meerkönig. Balduin Möllhausen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Balduin Möllhausen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754176504
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Schwester dringend ein, für die Erfüllung derselben gewissenhaft zu sorgen und die Gräfin in keiner Weise durch zudringliche Verwandte behelligen und stören zu lassen. Marie hat denn auch das Ihrige getreulich gethan, und nachdem drei Wochen verflossen, war ihre Beschützerin sanft und selig eingeschlafen.

      »Bei reichen Herrschaften muß es ganz anders sein, als bei uns ärmeren Leuten,« fuhr Reichart fort, nachdem er eine Weile geschwiegen und vor sich auf den Fußboden gestarrt hatte, »ja, ganz anders; denn die Gräfin war noch keine halbe Stunde todt, da drangen die beiden Kinder des Edelmanns plötzlich in das Sterbezimmer.

      »Durch wen ihnen die Nachricht so schnell zugegangen war, hat meine Schwester nie erfahren können; ich denke mir aber, daß sie wohl Jemanden im Hause angestellt hatten, der, trotzdem es um Mitternacht war, sie herbeiholte.

      »Die erste Begrüßung zwischen dem Officier, dessen Schwester und Marie war freundlicher Art. Die beiden Geschwister schienen sogar sehr zerknirscht zu sein und baten Marie, sie bei der Leiche allein zu lassen, um ungestört beten zu können.

      »Was weiter vorgefallen, hat meine Schwester mir nur mit wenigen Worten vertraut. Der junge Graf und die Gräfin blieben wohl an zwei Stunden in dem Gemache, dann aber traten sie hervor, um Briefe abzuschicken, dem Gericht Anzeige zu machen und auf schleunige Versiegelung des Nachlasses zu dringen.

      »Zur Versiegelung des Nachlasses kam es indessen nicht, indem diejenigen, die zu erben hofften, sich in der Nähe gehalten hatten und daher alle Personen, die zur Eröffnung des Testamentes nothwendig, anwesend waren. Man übertrug meiner Schwester und einigen Dienern die erforderlichen Vorbereitungen zur Beerdigung, und erst dann, als das Testament wirklich eröffnet und gelesen wurde, hatte man meine Schwester als Zeugin herbeigerufen. Man erwartete, daß ihr wenigstens ein Legat ausgesetzt worden sei.

      »Man fand sich in solchen Erwartungen getäuscht. In dem Testament hatte die Gräfin meiner Schwester mit keiner Silbe gedacht, dagegen war das ungetheilte Vermögen, mit Ausnahme einiger kleiner, an arme Verwandte zu zahlender Summen, dem Neffen der Gräfin, dem kurz vorher gestorbenen Edelmanne, vermacht worden. Da dieser aber nicht mehr lebte, so ging die ganze Masse selbstverständlich in die Hände seiner beiden Kinder über. Dieselben konnten indessen nicht sogleich Besitz ergreifen, indem man von verschiedenen Seiten Einspruch erhob. Ich glaube, es kam sogar zum Proceß, der aber jedenfalls damit endigte, daß dem jungen Officier und seiner Schwester das ganze Vermögen zugesprochen wurde. Wie hätte es auch anders sein können? Sie waren die nächsten Erben ihres Vaters, und was diesem gehörte, mußte von Rechts wegen auch auf seine Kinder übergehen, und das Testament war ja schon gemacht worden, als der alte Edelmann noch lebte. Doch das soll uns nicht kümmern; möge ihnen der Gräfin Reichthum Segen bringen - ich wollte ja von Marie erzählen.

      »Während der Krankheit der Gräfin hatte sie eine recht schwere Zeit durchgemacht, nicht, weil sie die arme Kranke so sorgfältig pflegte, nein, gewiß nicht, denn das that sie gern, sondern weil sie ihren Bräutigam kein einziges Mal sah. Er hatte ihr wohl einmal auf einen Brief geantwortet, dann aber waren die kleinen Zettel, die sie ihm gelegentlich schrieb, unbeachtet geblieben, und mit einer wahren Todesangst dachte sie daran, daß er vielleicht ebenfalls erkrankt sei und hülflos und nur von fremden, kaltherzigen Menschen gepflegt daliege.

      »Die erste Stunde, welche sie nach der Eröffnung des Testamentes für sich hatte, benutzte sie dazu, nach der Wohnung des Candidaten zu eilen, um sich Aufschluß über die Ursache seines unerklärlichen Schweigens zu verschaffen.

      »Die arme Marie - den Weg hätte sie sich immerhin ersparen können; sie fand die Wohnung ihres Bräutigams leer und zum Vermiethen bereit; er selbst aber war, nachdem er der Wirthin des Hauses einen Brief für meine Schwester übergeben, bereits vor acht Tagen abgereist. Wohin er gehen wollte, hatte er nicht angegeben; es wäre auch überflüssig gewesen, denn nach seinem Briefe an Marie war jede Verbindung zwischen ihnen abgebrochen. Die arme Marie - als sie mir vor beinahe acht Jahren die Geschichte erzählte, da liefen ihr die hellen Thränen aus den Augen, so daß ich mit ihr weinen mußte und mir vornahm, um sie nicht an ihr Elend zu erinnern, nie wieder mit ihr von der Vergangenheit zu sprechen.«

      »Was stand denn in dem Briefe?« fragte die Bäuerin. »Oder hat sie ihn Dir nicht gezeigt?«

      »Sie hat ihn mir gezeigt; da ich aber geschriebene Schrift nur schwer lese, so bat ich sie, mir denselben vorzulesen. Ich hatte nämlich auf ihren Bräutigam geschmäht und ihn einen treulosen Bösewicht genannt, und da wünschte sie denn, daß ich den Inhalt dieses Briefes kenne, um ihn, den sie heute noch über Alles liebt, nicht so hart zu beurtheilen. Wort für Wort habe ich den Brief nicht im Gedächtnisse behalten, aber er war so schön und fromm geschrieben, daß er sich wie eine Predigt anhörte und ich meinen Zorn beim Anhören desselben vergaß. Er bat sie um Verzeihung für den Kummer, der ihr aus ihrer Bekanntschaft mit ihm erwachsen sei, und schließlich flehte er Gottes reichsten Segen herab auf sie, deren Bild ihm noch in seiner letzten Stunde zum Troste und zur innigen, wehmüthigen Freude gereichen werde.

      »Ja, dergleichen hatte er geschrieben, und als meine Schwester mir den Brief vorlas, glaubte ich, es müsse ihr das Herz abstoßen. So viel ich aber auch darüber nachdachte - und ich habe oft und viel darüber nachgedacht, - so vermochte ich doch nie, mir das seltsame Benehmen des Candidaten zu erklären. Er segnet sie, er spricht, als ob er nicht ohne sie leben könne, und dennoch geht er heimlich davon. Ich äußerte die Vermuthung, er habe vielleicht Kunde erhalten, daß sie, in dem Testamente der Gräfin nicht bedacht worden sei, und es deshalb vorgezogen, sich nach einer reicheren Frau umzuthun; Marie aber wies einen solchen Verdacht mit Entrüstung zurück. Dabei nahm sie alle Schuld auf sich und tadelte sich, daß sie in ihrer Ueberhebung an ein so großes Glück zu glauben gewagt habe - die arme Marie ...

      »Die arme Marie,« wiederholte Reichart nach längerem Schweigen. »Nicht genug, daß der Candidat ihr ein so großes Herzeleid angethan hatte, mußte sie auch noch die bittersten Kränkungen von den vornehmen Leuten erdulden, die sich vor der in ihrem Sarge schlummernden guten Gräfin um das Mein und Dein zankten und stritten - ach, Mutter, ich glaube, vornehme Leute haben doch nicht so weiche Herzen, als wir armen Bauern, oder sonst ist es auch Mode bei ihnen, nach der Uhr in bestimmten Zwischenräumen um die Todten zu trauern und an ihre Geschäfte zu denken! Sie zankten sich und legten die Worte des Testamentes Jeder auf seine Art aus, und als Marie nach dem harten Schlage, der sie betroffen hatte, verzweiflungsvoll und bleich bei ihnen eintrat, da glaubte man, sie sei erbittert, weil die Gräfin ihr nichts vermacht habe. Namentlich nannten der Officier und seine Schwester sie geradehin undankbar und erklärten ihr, sie seien zu stolz, um die Dienste, welche sie bei Lebzeiten der Gräfin geleistet, unbezahlt zu lassen, und sie wollten ihr tausend Thaler aussetzen, was gewiß mehr sei, als sie jemals hätte hoffen dürfen, ihr Eigenthum zu nennen.

      »Tausend Thaler, das ist freilich eine große Summe, wenn man sie auf einmal in Händen hat; allein Marie war eben so stolz, wie die Edelleute. Sie antwortete ihnen, daß sie reich genug durch das sei, was die Gräfin an ihr gethan habe, und sie möchten das Geld für sich behalten. Sie blieb darauf nur noch so lange im Hause, bis die Gräfin begraben war; dann verkaufte sie Alles, was sie mit Recht ihr Eigenthum nannte, nämlich die feinen Kleider und die Schmucksachen, um nur mit etwas Wäsche und ganz einfachen Kleidern zu uns zurückzukehren.

      »Du erinnerst Dich wohl noch, wie sie damals hier eintraf - unser seliges Lieschen war gerade ins dritte Jahr getreten -, wie eine vornehme Dame sah sie gewiß nicht aus, eher wie eine Gestorbene, die dem Grabe entstiegen.

      »Anfangs fürchtete ich wohl das Gerede der Leute; als ich aber bemerkte, wie sie so zufrieden in ihr Kämmerchen einzog, so ganz ohne Klage oder Bedauern überall mit Hand an die schwersten Arbeiten legte und sich so leicht an unsere Lebensweise gewöhnte, da beruhigte ich mich bald wieder. Haben die Leute aber wirklich noch Dieses oder Jenes von ihr gesagt, so verstummten alle Nachreden schnell, als man sie erst näher kannte und sie wegen ihrer Bereitwilligkeit, allen Menschen zu helfen und gefällig zu sein, lieben lernte. Für uns aber ist die Marie ein rechter Trost geworden, das mußt Du selbst sagen, Mutter, und es will mir fast scheinen, als ob seit ihrer Anwesenheit unter unserem Dache unsere Häuslichkeit noch viel behaglicher geworden wäre.«

      »Es ist wahr!« pflichtete die Bäuerin mit einem tiefen