»Sehr wahr, Herr Chucks, Sie sind der bessere Philosoph von beiden.«
»Ich bin besser erzogen, Herr Simpel, und wie ich hoffe, mehr ein Gentleman.«
»Ich denke, ein Gentleman muß in gewissem Grade Philosoph sein; denn er ist sehr oft gezwungen, seinen Charakter als solchen zu behaupten, und muß manches einstecken, was einen andern in heftige Leidenschaft versetzen könnte. Kaltblütigkeit halte ich für ein Hauptmerkmal eines Gentleman.«
»Im Dienste, Herr Simpel, muß man zornig scheinen, ohne daß man sich diesem Gefühle hingiebt. Ich kann Ihnen versichern, daß ich nie meine Gemütsruhe verliere, selbst wenn ich von meinem Rohrstocke Gebrauch mache.«
»Wie kommt es denn, Herr Chucks, daß Sie soviel auf die Matrosen fluchen? Dies ist gewiß nicht gentlemanisch.«
»Allerdings nicht, Sir. Allein ich muß mich verteidigen, indem ich auf den ganz erkünstelten Zustand aufmerksam mache, in welchem wir an Bord eines Kriegsschiffes leben. Not, mein lieber Herr Simpel, kennt kein Gebot. Sie müssen bemerken, wie höflich ich immer beginne, wenn ich einen Fehler zu rügen habe. Ich thue dies, um meine feinen Manieren zu zeigen; allein Sir, mein Eifer für den Dienst zwingt mich, meine Sprache zu ändern, und am Ende zu beweisen, daß ich es ernst meine. Nichts würde mir mehr Vergnügen gewähren, als wenn ich als ein Gentleman meinen Dienst erfüllen könnte, allein das ist unmöglich.«
»Ich sehe in der That nicht ein, warum?«
»Sie können mir dann vielleicht erklären, warum der Kapitän und der erste Leutnant fluchen?«
»Dies will ich nicht beantworten, aber sie thun es nur im Notfall.«
»Ganz richtig, allein, Sir, ihr Notfall ist mein täglicher und stündlicher Dienst. Bei dem beständigen Arbeiten auf dem Schiffe bin ich für alles verantwortlich, was fehlerhaft geschieht; das Leben eines Bootsmannes ist ein Leben des Notfalls und daher fluche ich.«
»Ich kann dennoch nicht zugeben, daß es notwendig ist, und gewiß ist es sündhaft.«
»Entschuldigen Sie, mein lieber Herr; es ist durchaus notwendig und keineswegs sündhaft. Es giebt eine Sprache für die Kanzel, und eine andere an Bord eines Schiffes, und in jeder Lage muß ein Mann die Ausdrücke gebrauchen, welche am wahrscheinlichsten die nötige Wirkung auf seine Zuhörer hervorbringen. Kommt es nun von der langen Gewohnheit im Dienste, oder von der Gleichgiltigkeit eines Matrosen gegen alltägliche Dinge und Ausdrücke her (ich kann mich nicht recht erklären, Herr Simpel, allein ich weiß, was ich meine), vielleicht mag es auch ein beständiger Anreiz sein, und deshalb braucht es mehr Stimilis, wie sie es nennen, um ihn in Bewegung zu setzen. Gewiß ist soviel, daß die gewöhnliche Sprachweise bei den Matrosen nicht ausreicht. Hier heißt es nicht, wie in der heiligen Schrift: ›Thu dies und er thut es‹ (nebenher bemerkt, dieser Bursche muß seine Soldaten tüchtig in Ordnung gehalten haben), sondern da muß es heißen: ›Thu dies, Gott verdamm dich‹, und dann ist es auf der Stelle gethan. Der Befehl ›zu thun‹, macht gerade das Gewicht einer Kanonenkugel, allein es fehlt die Triebkraft, ›das Gott verdamm dich‹, ist das Schießpulver, welches ihm in der Ausübung seines Dienstes Flügel verleiht. Verstehen Sie mich, Herr Simpel?«
»Ich verstehe Sie vollkommen, Herr Chucks, und kann nicht umhin, zu bemerken, und zwar ohne Schmeichelei, daß Sie sich von den übrigen Unteroffizieren sehr unterscheiden. Wo erhielten Sie Ihre Erziehung?«
»Herr Simpel, ich bin hier ein Bootsmann mit reinlichem Hemde, und ich darf es selbst sagen, und niemand wird es bestreiten, verstehe meinen Dienst durchaus. Allein obschon ich nicht sagen will, daß ich mich je besser befunden habe, so kann ich es doch behaupten, daß ich in der besten Gesellschaft, in der von Lords und Ladies, gewesen bin. Ich speiste sogar einmal mit Ihrem Großvater.«
»Das ist mehr, als ich jemals that, denn er lud mich nie ein, und nahm nicht die geringste Notiz von mir«, erwiderte ich.
»Was ich sage, ist wahr. Ich wußte nicht, daß es Ihr Großvater war, bis gestern, da ich mit Herrn O'Brien sprach; allein ich erinnere mich noch ganz gut an ihn, obschon ich damals noch ganz jung war. Nun, Herr Simpel, wenn Sie mir als ein Gentleman versprechen (und ich weiß, Sie sind einer), daß Sie nicht wiedersagen wollen, was ich Ihnen erzählen will, so werde ich Ihnen meine Lebensgeschichte mitteilen.«
»Herr Chucks, so wahr ich ein Gentleman bin, will ich es nie weiter verbreiten, bis Sie tot und begraben sind, und selbst dann nicht, wenn Sie es wünschen.«
»Wenn ich tot und begraben bin, dann können Sie thun, was Ihnen beliebt, es kann dann andern Leuten zum Nutzen dienen, obwohl meine Geschichte nicht sehr lang ist.«
Herr Chucks setzte sich sodann auf das vordere Gebälk-Ende neben der Schornsteinröhre nieder und ich nahm an seiner Seite Platz, worauf er folgendermaßen anfing:
»Mein Vater war ein Bootsmann, wie ich, einer von der alten Schule, so rauh wie ein Bär und so betrunken wie ein Marktgeiger. Meine Mutter war – meine Mutter und mehr will ich nicht sagen. Mein Vater wurde nach einem ausschweifenden Leben zum Hafendienste untauglich und starb bald darauf. Mittlerweile ward ich durch die Güte der Frau des Hafenadmirals in einer Schule erzogen. Ich war dreizehn Jahre alt, als mein Vater starb, und meine Mutter, welche nicht wußte, was sie mit mir anfangen sollte, wünschte mich als Lehrjungen auf ein Kauffahrteischiff zu bringen; allein dieses wollte ich nicht, und nach halbjährigem Zanken über diesen Gegenstand entschied ich die Sache dadurch, daß ich freiwillig auf die Fregatte Narzissus ging. Ich glaube, die gentlemanischen Ideen waren mir angeboren, Herr Simpel; ich konnte schon als Kind den Gedanken an Kauffahrteidienst nicht ertragen. Nachdem ich eine Woche an Bord gewesen, wurde ich dem Zahlmeister als Bedienter zugewiesen, dessen Zufriedenheit ich durch mein flinkes und gewandtes Wesen in solchem Grade erwarb, daß der erste Leutnant mich von dem Zahlmeister weg und in seine eigenen Dienste nahm. So war ich nach zwei Monaten eine Person von solchem Einfluß, daß ich in der Offizierkajütte einen Streit erregte, denn der Zahlmeister war sehr erzürnt und viele Offiziere nahmen seine Partei. Man flüsterte sich in die Ohren, ich sei der Sohn des ersten Leutnants, und dies sei ihm wohl bekannt. Inwiefern dies wahr sein mag, weiß ich nicht, allein es herrschte eine Ähnlichkeit zwischen uns, und meine Mutter, welche eine sehr hübsche Frau war, hatte sein Schiff vor Jahren als Marktschiffmädchen bedient. Ich will weiter davon nichts sagen, nur soviel, Herr Simpel, – und manche werden mich deshalb tadeln, aber ich kann nicht umhin, meine natürlichen Gefühle auszusprechen – ich möchte lieber der Nebensprößling eines Gentlemans sein, als der rechtmäßige Abkömmling eines Bootsmannes und seiner Frau. Im letzteren Falle kann kein gutes Blut in unsern Adern fließen, während man im ersten ein paar Tropfen erwischt haben mag. Es traf sich, daß, nachdem ich den ersten Leutnant ein Jahr bedient hatte, ein junger Lord (seinen Namen darf ich nicht erwähnen, Herr Simpel) von seinen Freunden oder aus eigener Wahl zur See geschickt wurde. Ich weiß nur soviel, daß man sagte, sein Onkel, welchem an seinem Tode gelegen sein mochte, habe ihn dazu überredet. Ein Lord war zur damaligen Zeit, etwa vor fünfundzwanzig Jahren, eine Seltenheit im Dienste, und man pflegte vor ihm, wenn er an Bord kam, zu salutieren. Die Folge davon war, daß der junge Lord für sich selbst einen Bedienten haben mußte, obgleich alle übrigen Seekadetten nur einen miteinander hatten. Der Kapitän fragte nach den besten Jungen im Schiffe, und der Zahlmeister, an welchen er sich wandte, empfahl mich. Demgemäß wurde ich zum großen Verdrusse des ersten Leutnants (denn die ersten Leutnants durften sich damals nicht soviel herausnehmen, wie jetzt; doch spreche ich nicht von Herrn Falkon, der ein Gentleman ist) sogleich für Seine Lordschaft bestimmt. Ich hatte hier