»Das ist ein Zusammenschluss von Gelehrten, die sich unter Führung des Goldenen Turms regelmäßig treffen, austauschen und einander informieren. Alle Mitglieder des Rates haben das Ziel die Welt ins Licht zu führen und die Mächte der Finsternis zurückzuschlagen.«
»Klingt sehr dramatisch«, bemerkte Vigor.
»Dramatischer als es ist«, erzählte der Dorfschulmeister. »Meistens analysieren wir irgendwelche Indizien und Entwicklungen für irgendetwas.«
Zwischenzeitlich passierten sie ein weiteres, prächtiges Schloss aus rotem Backstein geziert mit gelben Sandsteingewänden und zahlreichen, quadratischen Türmen. Es war deutlich kleiner als der Palast, allerdings glichen die großen, teilweise bunt verglasten Fenster und die geschwungenen Kuppeldächer aus grün angelaufenem Kupfer dies wieder aus. Der Eigentümer hatte offensichtlich Macht und Ansehen. Der Dorfschulmeister folgte Vigors Blick.
»Das hier ist das Grafenschloss, der Herren von Skard. Gründer der Grafschaft und Stadt Sonnensee.«
Der Junge nickte. Die Häuser schrumpften nicht. Doch nach einer Biegung stieg der Hügel weiter an. Die Straße, mit dem hier eindeutig nichtssagenden Namen Schlossstraße, führte schnurgerade hoch auf die Klippe nach Nordosten hin, dann wandte sie sich nach Osten. Dort konnten die Jungen bereits die Umrisse der Burg ausmachen. Vor den sandsteingelben Burgmauern stand ein kleines, dreistöckiges Schloss auf der linken Seite, mit zwei dicken runden Türmen. Es war mit Schießscharten gekrönt und wirkte ein bisschen wie eine verspielte Vorburg. Doch mit der eigentlichen Wehranlage nichts zu tun hatte. Der graue Stein der Schlosswände war zum Teil weiß gestrichen und die vielen Spitzbogenfenster machten es nicht gerade wehrhaft. Beim Vorbeifahren sah Vigor, dass es einen ziemlich weitläufigen Seitenflügel hatte und als Dreiseitenhof angelegt war. Auf jeden Fall bot es eine erstklassige Aussicht, da sich der Hügel zu einem Grat verengte, der neben dem Schloss, nur noch für die Straße Platz ließ. Der Eigentümer hatte also völlig freie Sicht nach zwei bis drei Seiten. Hinter dem Schloss konnte Vigor eine weitere Bucht mit noch mehr Stadt drumherum entdecken.
»Das hier ist das Schloss am See«, erzählte der Dorfschulmeister. »Wichtig zu wissen, denn hier wohnt euer zukünftiger Schulmeister.«
»Sonnenorden Junior?«, fragte Volker nach.
»Richtig, das ist der Sitz von ihm und seiner Familie.«
»Und was ist mit dem großen Palast?«, wunderte sich Vigor.
»Dort wohnt Sonnenorden Senior.«
Vigor schüttelte den Kopf. Kein Wunder, dass es hier so viele Schlösser gab, wenn jeder aus der Familie sein Eigenes brauchte. Bis dann auch die Großtante der Exfreundin ihr Herrenhaus hatte, bekam man eine Stadt schon voll.
Der Grat stieg zwischen die Bäume und den immer steileren Abhang. Schließlich gab eine Linkskurve den Blick auf das Torgebäude frei. Das Torhaus war mit zwei dicken, runden Türmen befestigt, die kaum höher als die Burgmauer und mit einem Flachdach und Zinnen versehen waren. Links hatte der Wehrgang noch zwei Türme ähnlichen Formats bevor die Klippe dort endete. Rechts vom Tor zog sich die Mauer mit einem scharfen Knick entlang des Fels, bevor die Ringmauer nach einem weiteren Knick die lange Südseite der Klippe mit etlichen Türmen befestigte. Die Wand war schlichtes Bruchsteinmauerwerk mit auf Rundbögen überhängender Brüstung und symmetrischen Zinnen. Wächter sahen Vigor und Volker auf den Wandelgängen allerdings keine. Die Klippe fiel unter der Burg fast senkrecht ab.
3. Kapitel: Schlägerei
Das Tor stand offen und der Dorfschulmeister lenkte seinen Wallach durch das Torhaus. Sie kamen in eine schmale Vorburg, denn der Grat war nur so breit wie das Torhaus und die beiden Türme links davon. Die dreieckige Befestigung ging auf der rechten Seite über eine Steinbrücke in den nächsten Teil der Burg auf der eigentlichen Klippe. Davor stand eine Baracke, aus der ihnen zwei Wächter in gelben Gewändern entgegentraten. Der Dorfschulmeister hielt sein Pferd an. Volker und der Rest der Karawane warteten dahinter. Einer der Wächter sprach den Lehrer an. »Die Jungen da rüber.«
Er deutete auf die Sackgasse auf der linken Seite der Vorburg, unterhalb der beiden Türme. Dort auf dem Rasen tummelten sich schon ganz viele Jungen, die offenbar ebenfalls warteten.
»So ihr zwei, dann steigt jetzt bitte ab und geht dort hinüber«, sprach der alte Lehrer.
»Und was dann?«
»Wartet dort auf Anweisungen.«
»Was ist mit meinem Pferd?«, fragte Volker.
»Das nehme ich mit hinein«, erwiderte der Dorfschulmeister. »Gebt Eure Zügel, einem der Männer.«
Volker nickte, stieg aus dem Sattel und lud mit einem Handzeichen einen der Reiter ein, die Zügel von Obsidan zu führen. Die Lederriemen hingen jungfräulich um dessen Hals. Volker hatte sie anlegen müssen. Benutzen tat er die Zügel trotzdem nicht, bei so einem Schlenderritt schon gar nicht.
»Ich gebe das Gepäck noch ab und gehe dann wieder«, erklärte der Dorfschulmeister.
»Alles klar.« Vigor sprang vom Wagenbock und lief zu Volker.
»Vigor, vergiss deinen Stab nicht.«
»Brauche ich den jetzt?« Vigor empfand es als sinnlos, dass Stück Holz herumzutragen.
»Natürlich«, antwortete der Lehrer.
Volker rollte die Augen.
»Ja, klar«, beschwichtigte Vigor, als er Volkers Blick sah. »Ich bin ja ein Magier. Schon verstanden.«
Während der Dorfschulmeister über die bewehrte Brücke verschwand schritten die beiden zu den Jungen auf der Wiese.
Fast vierzig Jugendliche, alle im Alter von Vigor und Volker, lungerten im Gras herum. Vierzehn war das Standardalter für den Einstieg in die höheren Abschlüsse der Sonnenakademie. Darüber gab es nur noch die akademischen Grade für den Fall, dass sich jemand für ein Studium entscheiden sollte. Dies war aber noch teurer, seltener und vor allem schwerer als die Ausbildungen. Einige waren schon eine ganze Weile hier und langweilten sich. Bis zum Nachmittag hatten alle neuen Schüler der Sonnenakademie Zeit anzureisen. Und vor dem Anreiseschluss schien sich niemand mit ihnen beschäftigen zu wollen. Während der letzten Stunde reiste niemand mehr an. Vigor und Volker waren wohl die Letzten. Aber das machte ja nichts. Die Jungen tauschten sich über ihre Herkünfte und Titel aus. Vigor fand das ein bescheuertes Thema. Offenbar hatte sich auch schon herumgesprochen, dass jemand niederer Herkunft aufgenommen werden sollte. Letztendlich versuchten sie diesen jetzt schon heraus zu sieben und eine Hackordnung anhand ihrer Familientitel festzulegen. Ein schlanker Junge, von ähnlicher Statur wie Vigor, war federführend. Im Gegensatz zu den meisten stand er und stellte sich den beiden Neuankömmlingen vor.
»Ich bin Graf Heribert von und zu Aura; Magier des Olivfarbenen Turms.«
Volker sah Vigor an und rollte gelangweilt die Augen. Vigor grinste.
»Und mit wem habe ich die Ehre?«, bestand Heribert.
»Volker, Großherzog von Starkenberg; Militärische Großmacht im Glockenbündnis.«
Heribert nickte und sah Vigor interessiert an.
»Äh, Vigor.« Er hatte absolut keinen Plan was er sagen sollte. Wenn er gewusst hätte, wie früh diese Spielchen anfingen, hätte er sich darauf vorbereitet, aber so.
»Vigor und weiter?«, hakte Heribert nach.
Vigor drehte sich zu Volker.
»Of Evil«, flüsterte er seinem Freund ins Ohr. Volker grinste, schüttelte dann aber den Kopf. Schade, dachte sich Vigor. Heribert hätte bestimmt ein Gesicht gemacht.
Heribert runzelte die Stirn. »Was gibt es da zu flüstern?«
»Hm«, überlegte Volker. »Geht dich unter Umständen nichts an.«
»Ich bin ein Magier, mich geht alles etwas an.«
»Er