NACHT ÜBER DUNKELHEIT. M.D. Redwood. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: M.D. Redwood
Издательство: Bookwire
Серия: Nacht über Dunkelheit
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783754176702
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größer zu sein, als die Gebäude der Stadtmitte. Am Rand der südlichen Klippe zum Zentrum hin, stand auf einem fast ebenso hohen Hügel ein mächtiger Palast mit vier dicken, runden Türmen. Die Häuser daneben sahen alle von Weitem schon, groß und prunkvoll aus. Doch wirkten sie gegen den gelben Palast recht zierlich. Die Fähre hielt auf den Pier, hinter dem Leuchtturm zu. Insgesamt erschien die Stadt sehr einheitlich, da die Hausfarben, im Gegensatz zu den Bootsfarben, keine große Auswahl kannten. Es gab in abnehmenden Anteil lediglich backsteingelb, sandsteingelb, backsteinrot und weiß. Meistens hatten Nachbarhäuser die gleiche Farbe, sodass der Hausanstrich blockweise oder mit dem Straßenzug wechselte.

      Im Hafenbecken wuchsen die zierlichen Häuser hinter der Hafenkante stetig an. Sie waren alle mehrstöckig, meist drei Stockwerke und einem Spitzdach. Die Häuser am Hafen gehörten wohl dem Mittelstand. Ob diese Stadt überhaupt Armut kannte? Das Klatschen des Ankers riss Vigor aus seinem Gedankengang.

      Die breite Planke wurde wieder von Bord gehievt. Interessanterweise waren Vigor, Volker und der Dorfschulmeister mit Wagen und Gefolge nicht nur die Ersten an Bord gewesen. Nun wurden sie auch zuerst von Bord gelassen. Wieder fiel Vigor dies auf, der an die Standesgepflogenheiten aus Adelssicht nicht gewohnt war. Fasziniert beobachtete der Junge mit welchem Aufwand auf dem Schiff rangiert wurde, nur um sie vorzulassen. Es ging an vier Fuhrwerken vorbei, einem halben dutzend Besatzungsmitgliedern, die sich allesamt verbeugten, neugierigen Passagieren und über die Planke in eine irgendwie andere Welt. Volker ritt erst vor, dann neben ihnen her. Der Wagen rollte mit knirschendem Schaben über das ebene Pflaster aus großen Sandsteinplatten. Aus dem gelben Sandstein bestanden alle umliegenden Klippen und war daher schnell verfügbares Baumaterial. Daneben gab es die Backsteine und zu allem Überfluss den Marmor. Sie hielten vor einem schmalen, vierstöckigen Sandsteinhaus mit dicken Säulen und Gewänden. Es war kleiner als einige Häuser drumherum, wirkte sehr robust wie eine winzige Burg mit seinen kleinen Spitzbogenfenstern. Es war das Haus des Hafenmeisters.

      »Ich muss kurz unsere Papier unterzeichnen lassen.« Der Dorfschulmeister stieg ab und verschwand hinter der dicken Eichentür. Die beiden Jungen sahen sich um, dann einander an.

      »Hier haben einige Leute zu viel Geld«, bemerkte Volker.

      »Sieht so aus«, nickte Vigor. »Schloss neben Schloss.«

      Hinter ihnen hielt der Reisewagen des Kaufmanns, der auf ihrer Fähre mitgereist war. Auch der Kaufmann verschwand im Haus des Hafenmeisters. Gleichzeitig kam der Dorfschulmeister wieder heraus. Sie fuhren die Hafenpromenade entlang und unter dem mächtigen Palast vorbei. Der vor ihnen in den Himmel wuchs, wie ein von Menschen gebauter Felsvorsprung. Obwohl er weit über dem Hügel thronte, auf dem er und die Nachbarhäuser standen, gingen seine Stockwerke so weit den Hang hinunter, dass er nur etwa eine Häuserhöhe von der Uferpromenade entfernt endete. Es war eindeutig kein Verteidigungsbau. Die Unzahl von gelben Backsteinen, die aufgemauert waren, empfand Vigor als schwindelerregend. Ein so großes Haus mit großen Steinen zu bauen, wäre doch viel sinnvoller. Gewände und Simse waren aus roten Backsteinen zusammengesetzt. Das Schloss war ein riesiges Backsteinpuzzle mit ungefähr hunderttausend Teilen oder so. Vigor zählte die weiten Fenster. Der Palast hatte mindestens acht volle Stockwerke und darüber einen hoch aufragenden Dachstuhl mit schwarzen Schieferschindeln. Mit dem mehrstöckigen Dach kam der Palast auf genau zwölf Geschosse. Alle Fenster waren rechteckig, nur in einem Stockwerk waren sie halbrund und deutlich größer als die anderen. Das Stockwerk befand sich drei Fensterreihen unterhalb der Dachkante. Warum dem so war, erschloss sich Vigor aber nicht. Über jenem Stockwerk wand sich eine Terrasse an der Fassade entlang. Sie bogen um eine Kurve und das Schloss verschwand außer Sicht.

      Dafür wurden dem Jungen die recht großen Häuser gewahr, die links und rechts auf den steilen Hängen der südlichen Klippe und des Schlosshügels standen. Ihre prächtigen Fassaden lugten hinter alten Bäumen hervor. Die Straße folgte einem Klamm, den ein Bach gegraben hatte und wie ein Park gestaltet war. Über die Straße führte eine prunkvolle Eisenbrücke, die die Stadtteile verband.

      »Der Park hier sind die Villengärten und der Talpark«, bemerkte der Dorfschulmeister während er um sich deutete. Eine Abzweigung nach rechts nahm der Wagen und nun begrenzten geschlossene Reihen großer Stadthäuser die Straße, während sie weiter den Hügel hinaufstiegen. Oben steuerte sie der Dorfschulmeister zielbewusst auf den den Schlossplatz mit einem Garten und Brunnen in der Mitte. Der Wagen mit den Reitern immer noch dahinter überquerte den Platz um vor dem Schloss, nahe dem Brunnen anzuhalten. Auf der Schlossseite durfte wahrscheinlich nur der Goldene Magier stehen bleiben.

      »Bleibt hier«, meinte der Dorfschulmeister, als er vom Wagenbock stieg und Vigor bereits aufstand. »Ich muss kurz im Palast etwas abgeben.«

      »Können wir nicht mit?«, fragte Volker, noch schneller als Vigor.

      »Nein, das würde die Sache nur verzögern.«

      Die beiden Jungen sahen ihn fragend an.

      »Ihr seid weder mächtige Herrscher noch Mitglieder der Sonnenakademie«, erklärte der Dorfschulmeister. »Ohne Audienz kommt ihr an den Wachen hier nicht vorbei.«

      Er deutete, mit einem gerollten Papier in der Hand, auf die mit langen Hellebarden bewaffneten Wachposten in gelben Uniformen, die links und rechts des Haupteingangs vor den mannsdicken, runden, fast schwarzen Marmorsäulen standen. Vigor verstand nun den Sinn der halbrunden Fenster. Das besagte Stockwerk bildete auf dem Gipfel des Hügels das Erdgeschoss und die Fenster passten zum Eingangstor. Der Lehrer schritt zügig zu den beiden Wachen hinüber. Diese machten schon von weitem eine abweisende Geste, indem sie die Hellebarden kreuzten. Der Dorfschulmeister schien aber unbeirrt zu sein. Er griff in seine Tasche und zog an einer Kette eine Goldmünze hervor, welche er dem rechten Wächter zeigte. Der Wächter nickte und die Hellebarden wichen zurück. Nun standen beide Männer stramm, bis der Dorfschulmeister an ihnen vorbei und hinter der dicken Eichentür verschwunden war. Dann widmeten sie ihre Aufmerksamkeit wieder der Straße.

      Die Jungen musterten das Schloss, um sich die Zeit zu vertreiben. Viel passierte auf dem Schlossplatz nicht. An allen drei Eingängen standen zwei Wachposten. Die Fenster- und Türgewände, sowie die Simse waren mit einem sehr verspielten, aufwendigen Muster behauen. Jeder Stein hatte einem Ziegler wohl mehrere Tage Arbeit gemacht. Die große Terrasse über dem Erdgeschoss umschlang das Schloss mit einem weiß bemalten, schmiedeeisernen Geländer. Das gleiche Kunstwerk des Schmiedehandwerks krönte die kuppelförmigen Dächer der vier Türme. Überhaupt hatte Vigor schon viele geschmiedete Geländer, Zäune und sonstige Abgrenzungen bemerkt. Offenbar verstanden in Sonnensee nicht nur die Ziegler, sondern auch die Eisenschmiede ihre Arbeit. Die Menschen die über dem Schlossplatz huschten, fielen Vigor und Volker nicht sonderlich auf. Es schienen mehr Wohlhabende darunter zu sein, denn ihre Kleidung war bunt und gepflegt. Aber das war schon alles. Vom Schlossplatz aus konnten die Jungen die Eisenbrücke entlang sehen. Die Anwesen auf der entfernten Seite ragten über die alten Bäume und bekräftigten mit ihrem Prunk erneut Vigors Verdacht, es wäre ein Villenviertel. Schließlich erschien der Dorfschulmeister aus dem Palast.

      »So Jungs, dann geht es jetzt weiter«, sagte er, ohne ein Wort darüber zu verlieren, was er eigentlich gerade getan hatte. Vigor dachte sich, dass der alte Lehrer nicht darüber reden wollte. Volker dachte sich das auch, allerdings wollte er es nicht dabei bewenden lassen.

      »Was hattet Ihr den zu erledigen?«, fragte er, während er auf Obsidan, neben dem Wagenbock her ritt.

      »Ach...«, fing der Dorfschulmeister an. »Ich habe nur Vigors Kurswechsel beantragt. Der Hafenmeister sagte mir, dass ich den Sohn des Golden Magiers im Palast finde. Er ist für die Akademie zuständig.«

      »Ach...«, meinte Volker, »so.« Er wunderte sich, was der Dorfschulmeister verheimlichte. Vigor grinste, wenn sie schon mal beim Bohren waren, dann könnte er ja auch dicke Bretter versuchen.

      »Herr Lehrer, was ist das eigentlich für ein Medaillon an dieser Kette?« Vigor deutete auf die Hose des Dorfschulmeisters.

      »Euch Zweien entgeht auch nichts, oder?«

      Der alte Lehrer lachte und zog das Goldmedaillon aus der Tasche. Es war ein sehr großes Goldstück mit einer eingravierten Sonne in einem zwölfstrahligen Stern