»Warum nicht gleich Beryllträger?«, bohrte der Magier weiter, sehr zum Vergnügen von Heribert. Anscheinend griff er die Bemerkung der anderen auf. »Oder wie wäre es einen Korundträger vorzugeben?«
Sonnenorden Junior sah ihn herablassend und drohend an. Vigor wich dem Blick aus und sah auf seine Füße.
»Eure hohen Aspirationen sind offensichtlich. Schließlich stellt Ihr sie hier mit einem Brillantschliff zur Schau.«
Heribert lachte laut auf. Sonnenorden Junior kümmerte es nicht. Vigor schoss Heribert einen finsteren Blick zu. Aber er ärgerte sich auch über sich selbst. Der protzige Schliff sah schon ziemlich toll aus. Er hätte sich denken müssen, dass sich das gegen ihn wenden würde.
»Nun könnt Ihr das auch beweisen?«, fuhr der Magier fort.
Vigor sah Sonnenorden Junior an. Der Blick des Jungen war herausfordernd. Er sollte ihn testen, statt Theorien aufzustellen, die niemandem weiterhalfen.
»Folge mir!«
Sonnenorden wandte sich ab. Der Neue schien ein Störenfried zu sein. Wenn er nicht aussah wie ein Lausbub bei einem Streich, dann hatte er einen arroganten Blick. Doch der Magier wusste, was er zu tun hatte. Er führte Vigor durch das Torhaus im Schatten des Bergfrieds geradeaus durch das nächste Tor hinaus in die Hinterburg. Daneben stand ein Gebäude, dass nachträglich eingefügt worden war. Mit seinen großen, rechteckigen Fenstern passte es so gar nicht, zu der alten Verteidigungsarchitektur ringsum. Vigor folgte dem Mann quer über den weitläufigen Rasen. Auf der rechten Seite konnte Vigor die Festhalle mit ihrem spitzen Satteldach und die Küche daneben erkennen, dahinter die Südmauer mit ihren Türmen und einem großen Gebäudeblock. Sie liefen weiter auf eine andere Gebäudegruppe im Osten zu. Sie schienen sich um einen hohen Turm zu sammeln. Umso näher Vigor den Häusern kam, umso deutlicher wurde, wie weit sie voneinander entfernt waren. Das nächste Gebäude lag mittig zwischen dem Turm und der Halle. Auf diese Baracke liefen sie zu. Der Bau war zum größten Teil unterirdisch und das Waffenlager.
Sonnenorden Junior und Vigor betraten die großes Halle, die viele Säulen hatte und mit Waffen, Schildern und Rüstungen voll gestellt war. Vigor fiel auf, dass nirgendwo auch nur eine Menschenseele arbeitete. Der Junge folgte dem Magier eine schmale Wendeltreppe nach unten. Es roch nach nassem Stein und altem Holz. Sie waren nun tief unter der Erde. Sonnenorden Junior öffnete eine schwere Eichentür mit einem dicken Schlüssel. Vigor fiel spontan die Gefängnistür im Waisenhaus ein. Der Mann stieß ihn hindurch.
»Der Sonnenorden weiß, wie er mit Hochstaplern umzugehen hat.«
»A..aber«, stammelte Vigor. »Ich bin kein Hochstapler.«
Er verstand die Welt nicht mehr. Wieso war dieser Mann so gemein zu ihm? Wusste er nicht, warum man ihn für die Zaubereiausbildung vorgeschlagen hatte?
»Ich habe einen Jungen geheilt«, erklärte er. »Deswegen bin ich hier.«
»Das sagen alle.«
Sonnenorden Junior schlug die Tür hinter ihnen zu und sperrte das Licht damit aus. Der Knall hallte laut durch die Dunkelheit.
»Außer der Aussage deiner Freunde hast du keinen Beweis.«
»Es ist so dunkel hier drin«, bemerkte Vigor plötzlich. Der fensterlose Raum war schwarz wie die Nacht. Nur durch den Türspalt fiel ein schwacher Lichtschein hinein. Es war gerade genug, um die Umrisse des Magiers auszumachen, einem Schatten gleich. Vigor stolperte rückwärts. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Er hatte Angst.
»Außerdem ist ein Heiler die unterste Stufe magischer Veranlagung«, bemerkte der Magier. »Ich dachte du wärst Quarzträger?«
Vigor antworte nichts. Es war ihm alles egal. Er fühlte Kälte und trotzdem schwitzte er. Die große Gestalt vor dem Jungen fing an ihn zu gruseln. Es war wie ein Albtraum.
»Darf ich gehen?«, fragte er schließlich halb flehend.
»Es gibt kein Gehen.«
Der Magier ging auf ihn zu. Vigor stolperte rückwärts. Seine Kehle war trocken. Seine Schritte hallten durch die wohl leere Halle. Er stolperte über seine eigenen Füße und stürzte. Der Stab glitt ihm aus der Hand und klapperte hallend über den kalten Sandstein. Der Junge sah die Gestalt auf sich zukommen. Er schüttelte sich als ein Schauer seinen Rücken hinunter jagte. Vigor merkte, dass er Tränen in den Augen hatte.
»Lasst mich gehen.«
Der Magier näherte sich weiter.
»Bitte...«, flehte Vigor. Er schob sich nach hinten. Die Gestalt zog ein langes Messer. Es blitzte im Licht des Türspalts kurz auf. Der Junge weinte bitterlich. Er krabbelte rückwärts zur Seite.
»Nein, bitte nicht.«
Die Gestalt war direkt vor ihm. Vigor hatte solche Angst. Seine Finger berührten ein Rundholz auf dem Boden.
»Bitte, nein...«
Die Gestalt beugte sich über ihn. Der Junge packte den Stab. Der Kristall blitzte auf. Er fühlte, die drohende Nähe der Gestalt. Er zog den Stab vor sich. Seine Tränen blendeten ihn. Da war das Messer. »Dictum Vigorus.« Das Ende des Stabs stieß gegen eine Säule. Ein roter Energiekreis entstand an dem eckigen Stein. Ein Windhauch schien kurz durch die Halle zu wehen. Der Zauberspruch spukte Vigor noch durch den Kopf. Das Messer war dicht vor seinem Hals. Dann löste sich die Energiewelle mit Wucht aus dem Stab. Vigor konnte das Holz in seinen Fingern beben fühlen. Es schien ihm die Luft zum Atmen zu nehmen. Ihm wurde schwarz vor Augen. Der Junge verlor die Besinnung und klappte zusammen.
»Incantatus de...« Sonnenorden Junior stockte ungläubig, als er den purpurroten Energiering sah. Er hatte durchaus mit einem Ringzauber wie dem weißen Energiering, einem Feuerring oder Eisring gerechnet. Doch am Farbton erkannte er, dass es eine deutlich machtvollere Inkarnation war. Der Magier wusste, dass er sie nicht brechen konnte. Er schwor sofort einen verstärkten Schild herauf, um sich vor dem Gewaltwortzauber, Dictum Manus, zu schützen. Die dicken Säulen galten als magiesicher. Sie waren also dick genug um der Zerstörungskraft von mächtiger Magie stand zu halten, selbst dem Leitspruchzauber des Ordens der Feuerglut. Doch Vigor hatte etwas ganz anderes gemurmelt und der Gewaltwortzauber war weinrot und eben nicht purpur. Die Welle zerriss die erste Säule. Als Sonnenorden Junior dem gewahr wurde, hatte sie ihn bereits erfasst. Die beiden runden Zauber berührten sich und lösten eine kleine Gegenexplosion aus. Sonnenorden Juniors Schildzauber brach unmittelbar zusammen. Die Kleidung auf seiner Haut fing Feuer. Er spürte, wie das Holz seines Zauberstabs riss und splitterte. Das Messer in seiner Hand glühte, die Klinge verbog bereits. Er ließ es fallen. Die Wucht schien an seinen Gliedmaßen zu reißen. Der Magier wurde rückwärts durch den Raum geschleudert. Sonnenorden Junior prallte mit dem Rücken hart gegen die Außenwand nahe der Tür. Er traute seinen Augen nicht, als die Welle auf ihn zuraste. Sie hatte den ganzen Raum in ein purpurrotes Licht getaucht. Die dicken Sandsteinsäulen zerbarsten wie Glas. Eine nach der anderen zerplatze, während sich der Ring ausdehnte. Benommen richtete sich der Magier auf und teleportierte sich davon, fast im gleichen Augenblick traf die Energiewelle bei ihm ein.
Sonnenorden Junior fand sich eine Sekunde später in seinen Gemächern im Schloss am See wieder. Er prallte hart auf den dicken, silberfarbenen Teppich am Boden. Einen Augenblick brauchte der Mann um vollends zu sich zu kommen.
Daher sah er nicht, was der Zauber in der Hinterburg anrichtete. Ein dumpfes Grollen kündigte ihn an. Dann schoben sich Sandsteinbrocken durch die Erde ins Gras nach oben. Plötzlich explodierte der Erdboden kreisrund um die Baracke. Die Grasnarbe, Erde und Steine wurden in die Luft geschleudert. Während eine riesige Staubwolke emporstieg, sackte das gesamte Depot auf einmal ein und brach zusammen. Das zerreißende Ziegeldach verschwand im Loch.
Schließlich stand Sonnenorden Junior auf und zog einen Bannkreis sowie mehrere Abwehr- und Tarnzauber um das Zimmer. Dabei deutete er in alle Himmelsrichtungen. Die beiden weißen Zimmertüren