Bitte, gib nicht auf.. Denise Docekal. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Denise Docekal
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752923889
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freien Plätze mehr und die Menschen drängten sich jetzt schon aneinander. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich nicht wieder aussteigen sollte, aber dann würde ich den Beginn der Vorlesung verpassen. Ich war jetzt doch schon spät dran, weil mein Abstecher zum Buchladen länger gedauert hatte als geplant.

      Ich hatte es in solchen Situationen meistens ganz gut. Ich war nicht groß und nahm dadurch in überfüllten Straßenbahnen nicht viel Platz ein. Adam hingegen war nicht nur unglaublich groß, sondern auch breiter gebaut. Daher standen wir, als die Bahn wieder losfuhr, sehr eng beieinander.

      Das würde bedeuten, dass er mich wahrscheinlich noch länger über meinen Bruder ausfragen würde. Daher startete ich diesmal das Gespräch: „Was hast du eigentlich vor der Uni im Buchladen gemacht?“

      Adam zuckte mit der Schulter: „Ich habe noch eine Stunde gearbeitet. Ich kann jeden Cent gut gebrauchen. Außerdem wohne ich direkt überm Laden, daher fällt es mir nicht schwer da mal schnell auszuhelfen.“

      Verdammt, Adam wohnte hier? Das heißt, wir würden uns jetzt jeden Morgen vor der Uni treffen? Geistig notierte ich mir, dass ich ab sofort früher zu meinen Vorlesungen aufbrechen würde, um zu verhindern, dass ich ihm täglich über den Weg lief.

      „Aha.“, murmelte ich nur.

      Adam wollte gerade noch etwas sagen, da blieb die Straßenbahn abrupt stehen und ich verlor das Gleichgewicht. Während ich hörte, wie der Fahrer laut fluchte und den Grund für unser abruptes stehenbleiben wüst beschimpfte, fing Adam mich auf, um zu verhindern, dass ich auf den dreckigen Boden knallte.

      „Danke.“, murmelte ich leise. Dabei starrte ich auf seine Hände, die er um meine Arme gelegt hatte. Sie waren stark und groß. Und gut gebräunt. Offenbar war er im Sommer im Urlaub oder einfach viel draußen gewesen. Der Glückliche.

      „Nichts zu danken.“, war seine Antwort, bevor er mich wieder losließ.

      Die Straßenbahn fuhr weiter und ich hielt mich wieder an einem Griff an der Tür an.

      „Hast du schon immer in der Gegend gewohnt?“, wollte Adam wissen: „Ich habe dich bisher noch nie gesehen und wir hatten die meisten Vorlesungen immer gemeinsam.“

      Kopfschüttelnd starrte ich auf meine Füße: „Nein. Ich bin erst am Samstag hierhergezogen. Ich habe früher zwar auch in diesem Bezirk gewohnt, aber woanders.“

      Nickend fuhr Winter weiter: „Wohnst du jetzt etwa allein?“

      Oh nein, falsches Thema. Panisch überlegte ich, wie ich das Thema möglichst souverän wechseln konnte, ohne dabei über meinen Bruder reden zu müssen: „Ähm – das Apartment ist recht klein.“

      Toll, Mary., innerlich klatschte ich mit einem Schwall Ironie für mich.

      Also wenn er mich bis jetzt noch nicht für eine Idiotin hielt, dann würde er das spätestens ab dieser Antwort tun.

      „Was ist mit dir?“, redete ich schnell weiter, bevor er mir noch weitere Fragen stellen konnte: „Wohnst du allein?“

      „Nein, ich habe einen Mitbewohner. Ein guter Freund.“

      „Bist du aus Wien?“, fragte ich, diesmal wirklich interessiert.

      „Ja.“, ich merkte, wie sich Adams Hand fester um die Halterung der Straßenbahn schlung: „Bin aber mit achtzehn ausgezogen. War einfacher so.“

      Wahrscheinlich ein kürzerer Weg zum Pendeln. Viele, die in Wien aufgewachsen waren, waren in einem der Außenbezirke zu Hause gewesen und für das Studium weiter hineingezogen.

      Außerdem bedeutete ausziehen so etwas wie Freiheit. Das wusste ich besser als jeder andere.

      „Und du? Woher bist du eigentlich?“, Adam kratzte sich am Hinterkopf: „Komisch. Obwohl wir uns schon zwei Jahre kennen, weiß ich so gut wie nichts von dir.“

      „Weil wir uns nicht mögen.“, erinnerte ich ihn. Ich verstand ja auch nicht, warum wir uns die ganze Zeit unterhalten mussten.

      Ein breites Grinsen entstand auf Adams Gesicht: „Ach ja, habe ich ganz vergessen.“, er zwinkerte mir zu: „Du Ziege.“

      Wow, das war eine seiner schlechtesten Beleidigungen, die er mir je an den Kopf geworfen hatte.

      So schlecht, dass ich sogar kurz lachen musste. Wirklich nur kurz, da ich sofort wieder ein schlechtes Gewissen bekam und meine Lippen zu einem schmalen Strich zusammenpresste.

      Adam beobachtete mich dabei die ganze Zeit. Er schob seine Brauen zusammen und schien zu überlegen. Sein Blick wirkte gerade unglaublich konzentriert, als ob er irgendein Rätsel lösen müsste.

      Zum Glück kamen wir in genau diesem Moment bei unserer Station an. Erleichtert murmelte ich ein „Bis später“ und verließ fluchtartig die Straßenbahn.

      Oh ja, ab sofort würde ich sehr viel früher für die Uni aufbrechen.

      Von der Vorlesung bekam ich so gut wie war nichts mit. Obwohl, nein, das war gelogen. Ich hatte gar nichts mitbekommen.

      Susi schrieb die ganze Zeit neben mir wild mit und war hochkonzentriert. Ich konnte aber nicht mal verstehen, was die Dozentin vor mir erzählte. Es war, als ob sie eine mir völlig fremde Sprache sprechen würde.

      Als sie die Vorlesung beendete und alle fluchtartig ihre Plätze verließen, saß ich immer noch auf meinem Platz und kritzelte kleine Zeichnungen in meinen Block. Erst als mich Susi an der Schulter antippte, merkte ich, dass der Hörsaal schon fast völlig leer war. Nur noch Susi, ich und ein paar Leute, die an uns nicht vorbeikamen und frustriert schnaubten, waren noch da. Als ich mich erhob und nach meinen Sachen griff, merkte ich, dass noch jemand den Saal noch nicht verlassen hatte.

      Winter stand mit verschränkten Armen an der Tür und starrte mich unentwegt an.

      Na toll, was wollte der denn jetzt noch?

      Selbst als ich ihn auch anstarrte – und mein Blick war alles andere als freundlich – ließ er seine Augen auf mir ruhen. Sowas wie Scham oder Verlegenheit kannte der Kerl wohl einfach nicht.

      „Willst du mit mir Mittagessen gehen? Hier in der Nähe hat ein echt süßer Asiate aufgemacht. Also, das Lokal ist süß. Obwohl dieser eine Kellner auch.“, Susi wurde sofort rot im Gesicht.

      „Nein, ich muss noch meine Wohnung ein wenig einrichten.“, gab ich zurück.

      Was an sich auch stimmte. Das musste ich wirklich. Ich hatte nur nicht vor, es heute zu erledigen.

      Der Tag an der Uni war zwar kurz gewesen, aber dafür umso anstrengender. Und frustrierender als erwartet.

      „Okay.“, meine Freundin versuchte sich die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, aber ich erkannte sie ganz deutlich: „Dann vielleicht ein andermal.“

      „Ja, bestimmt.“, mit diesen Worten und einem kurzen Winken verabschiedete ich mich von Susi und lief zur Straßenbahnstation. Ich wollte die verdammte Bahn erwischen, bevor Winter da war und er mich wieder zehn Minuten über mein Leben ausfragen wollte.

      Als die Straßenbahn einfuhr jubelte ich innerlich. Winter war weit und breit nicht zu sehen und es standen wenig Leute herum. Wenn ich Glück hatte, würde ich sogar einen Sitzplatz ergattern.

      Erleichtert ließ ich mich dann auch in der Straßenbahn auf einen fallen und starrte aus dem Fenster.

      Früher waren Markus und ich immer gemeinsam zur oder von der Uni gefahren und haben ein kleines Spiel in die Welt gesetzt.

      Wir beobachteten die Menschen und überlegten, was für eine Geschichte sie wohl hatten. Wo sie wohl gerade hinfuhren und wer sie waren.

      Hin und wieder hatten wir das ein wenig zu laut gemacht, wodurch wir schon des Öfteren böse Blicke geerntet hatten. Aber das war es uns wert gewesen. Wir hatten immer einen unglaublichen Spaß dabei gehabt.

      Lächelnd erinnerte ich mich daran. Wir hatten es „Menschen-Kenner-Spiel“ getauft und uns über diesen überaus kreativen Namen totgelacht.