Bitte, gib nicht auf.. Denise Docekal. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Denise Docekal
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752923889
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ganzes Zeug eingeräumt. Es fehlten nur noch die Umzugskartons, die in meinem Zimmer gestanden waren, und die sollte ich nun ausräumen. Genauso wie meinen Koffer mit Klamotten.

      Aber ich konnte mich nicht dazu überwinden. Denn es tat weh. Es tat weh zu wissen, dass ich mir vor sechs Monaten noch mit meinem besten Freund eine Wohnung geteilt hatte – das erste Mal, dass wir uns kein Zimmer teilten – und ich nun in diesem neuen Apartment ganz allein war.

      Mein Schlafzimmer war kaum der Rede wert. Es gingen sich gerade so mein Einzelbett – meine Eltern meinten, dass ich vor der Ehe kein Doppelbett benötigen würde – mein Schrank, die kleine, weiße Kommode und ein Schreibtisch aus. Wirklich viel bewegen konnte ich mich nicht mehr. Dazu fehlte nun wirklich der Platz.

      Seufzend erhob ich mich und ging aus dem Zimmer und landete damit direkt im Wohnzimmer. Dieses war ein wenig größer, wodurch sich ein großes Ecksofa ausging, ein Wohnzimmertisch und ein Schrank, auf dem der Fernseher stand. Darüber hing ein riesiges Kreuz, das mich jedes Mal fast zum Schreien brachte, wenn ich es sah. Am liebsten hätte ich es abgenommen, aber meine Eltern hatten es angeschraubt und ich besaß hier kein Werkzeug. Damit würde ich jetzt jedes Mal, wenn ich hier saß, diesen verzerrten Blick von Jesus sehen.

      Großartig.

      Genau das, was ich wollte.

      Ich trat nach draußen in den Vorraum, in dem noch überall die Umzugskartons gestapelt waren. Von hier aus ging eine Tür in die Küche – kaum nennenswert, seitdem ich sowieso nicht kochen konnte, auch wenn meine Mutter jahrelang versucht hatte, es mir beizubringen – und eine weitere ins Bad, wo sich eine Dusche und eine Toilette befanden.

      Alles in allem war das hier wirklich keine „umwerfende“ Wohnung, aber sie war okay. Für mich allein, würde sie reichen.

      Nur, dass ich nicht allein sein wollte. Sobald ich allein war – also wirklich ganz allein, ohne Eltern einen Stock tiefer – fühlte ich, wie mich der Schmerz beinahe auffraß. Als würde mir mein Herz in der Brust zerrissen werden.

      Ich konnte jetzt nicht auspacken. Ich musste so schnell wie möglich hier weg. Mit diesem Gedanken packte ich mir nur meine Schlüssel, zog mir die alten Birkenstock an, die direkt vor meiner Nase lagen und flüchtete aus der Wohnung. Ich konnte hier nicht sein.

      Ich wohnte zwar im selben Bezirk wie vor sechs Monaten, allerdings in einer völlig anderen Gegend. Nach nur ein paar Schritten war ich einer wirklich schönen Straße, in der es unglaublich viele Einkaufsmöglichkeiten gab. Von Lebensmittelgeschäften über teure Boutiquen bis zu Krimskrams-Läden. Aber was mir besonders stark ins Auge fiel war ein kleiner Buchladen. Kein Buchladen einer großen Kette, sondern ein privat geführter. Sofort steuerte ich auf ihn zu. Ich hatte lesen schon immer geliebt. Markus auch. Wir hatten zwar einen unterschiedlichen Geschmack was die Genres betraf, aber trotzdem sind wir oft zusammen gesessen und haben uns darüber unterhalten, was in den Büchern geschah, die wir gerade lasen. Oft beim Sonntagsbrunch – wenn wir uns mal wieder davor drücken konnten, zu unseren Eltern nach Hause zu fahren, um in die Kirche zu gehen – oder wenn wir uns vom Lernen ablenken wollten.

      Bevor ich wieder zu viel über Markus nachdachte, betrat ich den Buchladen. Er war genauso, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Die Wände waren bis oben mit Büchern vollgestellt. In der Mitte standen auch diverse Wannen mit Büchern im Abverkauf. Egal, wohin man blickte, überall konnte man Bücher erkennen.

      Ein wahrer Traum.

      Aktuell war der Laden sehr leer, nicht mal eine Verkäuferin konnte ich ausmachen. Also ließ ich in Ruhe den Blick streifen und ging zum ersten Regal. Darüber stand „Belletristik“, eines meiner bevorzugten Genres. Das erste Mal seit Monaten fühlte ich, wie sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen schlich. Hier standen viele Bücher, die ich bereits gelesen und in die ich mich unsterblich verliebt hatte. Aber es gab auch welche, von denen ich noch nie zuvor gehört hatte.

      Ich war mir jetzt schon sicher, dass dies mein neuer Lieblingsladen werden würde. Als ich mich nochmal umblickte entdeckte ich sogar eine kleine Ecke mit einer Kaffeemaschine und Sitzmöglichkeiten, sodass man sich offenbar einen netten Tag hier machen konnte.

      Das wäre vielleicht eine gute Möglichkeit, um meiner kalten und einsamen Wohnung zu entkommen. Gerade als ich mir schon geistig ausmalte, wie ich hier täglich saß und ein Buch nach dem anderen verschlang, fiel mir eine weitere Aufschrift eines Regals ins Auge.

      „Thriller“ stand in großen Lettern auf dem Regal mir gegenüber. Ich schluckte hart. Markus‘ absolutes Lieblingsgenre. Er war vernarrt gewesen in Thriller. Hatte sie verschlungen wie einen köstlichen Cheeseburger.

      Augenblicklich schossen mir dicke Tränen in die Augen. Nein, ich konnte hier keinen Nervenzusammenbruch erleiden. Das erlaubte ich mir einfach nicht.

      Ich atmete dreimal tief durch und es schien wirklich zu helfen. Mein rasender Herzschlag beruhigte sich allmählich wieder und ich hatte das Gefühl, freier atmen zu können.

      In dem Moment, in dem ich mich von dem Thriller-Regal – ich konnte mich einfach noch nicht dazu durchringen hinzugehen – abwenden wollte, wurde die Tür daneben geöffnet. Sie führte offenbar zu einem Hinterzimmer, in dem die Besitzer wahrscheinlich die Abrechnung oder so machten. Ich wollte mich schon wegdrehen, da ich keine Lust hatte, mich mit Menschen zu unterhalten, da erkannte ich die große Gestalt, die hervortrat. Er musste sogar seinen Kopf einziehen, um durch die niedrige Tür zu kommen.

      „Entschuldigen Sie, ich war gerade noch-“, er brach den Satz mittendrin ab und sah mich mit großen Augen an: „Mary?“

      Vor mir stand Adam Winter.

      Einer der letzten Menschen, die ich gerade sehen wollte. Beziehungsweise einer der letzten Menschen, die mich gerade sehen sollten. Ich sah aus wie eine Obdachlose in meiner kurzen Stoffhose und einem alten, schlabbrigen T-Shirt von Markus. Dazu meine Birkenstock und meine ungewaschenen Haare. Wann war ich überhaupt das letzte Mal duschen gewesen?

      Ich bekam keinen Ton heraus. Adam – oder Winter, wie ihn die meisten nannten – sah unglaublich gut aus. Seine Haare trug er in einem Zopf und sein Bart war ein wenig gewachsen, seitdem ich ihn das letzte Mal vor sechs Monaten gesehen hatte.

      „Mary Vogel. Ich dachte du wärst in einer Klapse oder tot, nachdem du ein ganzes Semester verschwunden warst.“, die anfängliche Überraschung war aus seinem Blick gewichen und nun grinste er mich an. Er war eindeutig wieder darauf aus, dass wir uns einen verbalen Kampf lieferten. Seitdem ich vor zwei Jahren zum Studieren begonnen und Winter kennen gelernt hatte, waren wir alles andere als Freunde geworden.

      Eigentlich eher das Gegenteil. Ich hatte bald bemerkt, dass mein erster Eindruck – dass er überaus überheblich und arrogant war – keine Fehleinschätzung war. Jedes Mal, wenn er mich sah – was oft war, da wir fast jeden Kurs gemeinsam hatten – versuchte er mich zu provozieren. Und ich ließ das im Normalfall nicht auf mir sitzen. Dadurch waren wir in unseren Kreisen und Kursen als die Streithähne schlechthin bekannt geworden.

      Markus hatte sogar einmal gesagt, dass, wenn er es nicht besser wüsste,vermuten würde, dass wir uns insgeheim wirklich gerne hatten, da wir nie ein gutes Haar am anderen ließen.

      Und jetzt stand er vor mir. Seine Aussage wiederholte sich in meinem Kopf ein paar Mal: „Mary Vogel. Ich dachte du wärst in einer Klapse oder tot, nachdem du ein ganzes Semester verschwunden warst.“

      In einer Klapse war ich beinahe gelandet. Tot war mein Bruder. Ich wollte ihn anschreien. Ihn beschimpfen. Ihn fragen, was er sich dabei dachte, mich so etwas zu fragen. So viele gemeine Worte und Beleidigungen für ihn lagen mir auf der Zunge. Aber als ich meinen Mund öffnete, um Konter zu geben, fing ich heftig an zu schluchzen.

      Ich wollte mich schnell wieder zusammenreißen, mir nicht die Blöße geben vor Winter zu heulen, aber es ging einfach nicht. All meine Wut, die ich für ihn, für meine Eltern, für Markus und für die Welt empfand, kamen durch meine Tränen zum Ausdruck. Sie wandelte sich in eine schmerzende Trauer, die ich nicht zurückhalten konnte.

      „Fuck, Mary?“, Winter stand direkt vor mir und legte eine Hand auf die Schulter.

      Sofort