» Hey – «
Du siehst auf. Schief lächelnd halte ich dir meine Hand entgegen.
Wir tanzen im strömenden Regen, ohne unsere Verbindung auch nur einmal zerbrechen zu lassen. Wir haben keinen Takt, keine Form, kein Ziel. Wir haben nur uns, zwei durchnässte Körper, fest aneinander geschmiegt, einsam tanzend, zu einer aus der Tiefe dröhnenden, kaum erkennbaren Musik. Leicht schwebt unser Schatten verschwommen über den nassen Asphalt. Dieses vierbeinige Kind aus Licht, das immer wieder, an die Grenzen ihrer Existenz getrieben, in der Dunkelheit verschwindet.
Die Musik stoppt – wir fallen aus unserem taktlosen Tanz, stolpern kurz, bevor auch wir zum Stillstand kommen. Tief schauen wir uns an, aus Angst vor der Stille, aus Angst wieder in die einsamen Arme der Dunkelheit zurückgestoßen zu werden. Doch wir liegen sicher, halten uns gegenseitig fest.
Dann setzt wieder verschwommen die Musik ein. Leise, fast vor ihrer eigenen Stimme zitternd, flüstert sie uns zu. Noch fester schmiegen wir uns aneinander, greifen nach unseren Körpern. Kopf an Kopf, unsere Wangen aneinander geschmiegt, auf unseren Schultern ruhend, verlieren wir uns. Kalt läuft der Regen unsere Gesichter hinab, tropft von unseren Haaren in den Rücken des Anderen. Wir schauen uns an. Leicht zittern unsere Wimpern von den harten Schlägen des Regens. Doch wir lächeln, nein, wir lachen, sanft und ruhig. Warm spüre ich deinen Atem, der ganz seicht meine Wange streichelt. Sanft streichelt meine Nase ein letztes Mal, als würde sie sich verabschieden wollen, die Spitze deiner. Kalt rinnt der Regen an unseren heißen sich-suchenden Lippen hinab. Leicht schiebt sich deine Zunge hervor, streichelt die kleinen Regentropfen auf deinen sich langsam öffnenden Lippen. Ich spüre deinen warmen Atem
»Heach« – mit weit aufgerissenen Augen schreckte er, nach Luft suchend, auf. Kurz stand er vom Schreck gehalten in der Luft, bevor er, mit einem leichten Stöhnen, die gerade panisch eingesogene Luft wieder ausatmete und sich erschöpft zurück auf das Kissen fallen ließ.
»Ah«, seine Lippe brannte. Vorsichtig tastete er nach der brennenden Stelle. Blut – er hatte sich im Schlaf die Lippe aufgebissen. Er stöhnte und schloss, in der Hoffnung noch etwas Schlaf zu finden, sofern sich das überhaupt Schlaf nennen ließ, erneut seine Augen – – ohne Erfolg, der Schlaf war vorbei. Müde und schlapp richtete er sich auf, fuhr sich übers Gesicht und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn.
»He! Ah« – er hatte es schon wieder vergessen.
An der Bettkante sitzend, versuchte er sich zu erinnern – – aber es kam nichts, der Traum schien plötzlich ganz weit weg. Seine Ellenbogen auf seine Oberschenkel gestützt starrte er auf den glatten Boden. Er schielte zur Uhr, die auf der Kommode neben seinem Bett stand – zu früh, zwei Stunden, bevor er hätte aufstehen müssen. »Ouh« – er keuchte, drehte seinen Kopf wieder zurück und starrte, ruhig atmend, zur Decke, bevor er mit einem Satz aufstand und ins Badezimmer tappte.
–
Ein rauer Wind wehte vorne am Deck. Immer wieder schossen kleine salzige Spritzer zu ihm hinauf. Es war kalt. Nichts erinnerte an diesem Morgen noch an die Wärme der letzten Tage. Seine Kapuze über die Mütze auf seinem Kopf gezogen, die Arme tief in den Jackentaschen vergraben, die Schultern steif angezogen, starrte er regungslos aufs Wasser.
»Ich hab schon gehört, dass wir einen Romantiker an Bord haben sollen.«
Erschrocken von der plötzlichen Stimme in seinem Rücken, drehte er sich um.
»oder hab ich Sie in Ihrer Ruhe gestört.«
Er zögerte, immer noch leicht erschrocken – die Müdigkeit hielt ihn gefangen.
»Nein, mich hat mehr der Schlaf erschreckt, als die Sehnsucht nach der blauen Tiefe.«, gab er endlich zur Antwort. Die Müdigkeit hielt ihn auch noch vom Nachdenken ab, es war der Kapitän, mit dem er sprach. Er biss sich auf die Zunge.
»Oha, große Worte. Na ich seh schon, dat Meer spricht zu Ihnen. Aber seien sie vorsichtig, es ist viel kälter und tiefer als die Oberfläche preisgeben mag.«
»Vielleicht ist es gerade das, was mich so an ihr reizt.«
Darauf lachte der Kapitän, mit einem kontrollierten, sehr bewussten Lachen, klopfte ihm väterlich auf die Schulter und ging in Richtung der Tür. Doch kurz bevor er hinter dieser verschwand – die Türklinke schon fest in der Hand hielt – drehte er sich noch einmal um.
»So wie es aussieht, werden wir heute Abend den Hafen erreichen. Ich habe Sie für die Wache eingeteilt … aber, dass Sie dann auch aufpassen und nicht nur die Aussicht genießen.«
Dann verschwand er lächelnd.
Seine Augen hingen noch eine ganze Weile an der Tür, bevor er sich wieder zum Meer wandte.
–
Er lehnte sich an das weiße Geländer und schaute zum Hafen hinaus. Warum hatte er nichts gesagt? – Warum sich nicht gewehrt? – Warum nicht nach einer anderen Möglichkeit gefragt? Wenn er nicht so dreist und arrogant gewesen wäre, sich besser unter Kontrolle gehabt hätte, hätte ihn der Kapitän bestimmt nicht mit dieser Aufgabe gestraft. War es denn eine Strafe? Er fühlte sich gedemütigt, verletzt, wie ein kleines Kind – auch wenn er wusste, dass es albern war. Wahrscheinlich wollte der Kapitän ihm nur sein Vertrauen aussprechen oder ihn nicht vom Meer trennen und selbst wenn, hätte er nicht das Recht gehabt, ihn wie einen unerfahrenen Anfänger zu behandeln? War er denn keiner? Oder wollte er, dass es eine Strafe war? Immerhin würde es ihn irgendwie aus der Verantwortung nehmen oder etwa nicht? Aber welcher Verantwortung?
Langsam atmete er aus und schaute sich den Hafen an. Es war dunkel. Den ganzen Tag hatte es nicht wirklich aufgeklart. Auch wenn es noch früh am Abend war, brannten bereits die Lichter in den Fabriken und in den wenigen Geschäfte, die am Hafen lagen. Dazu nieselte es noch, so dass selbst der graue Asphalt eine dunklere Farbe als gewöhnlich annahm. Nur ein paar Arbeiter, die ihre Kapuzen über ihre Köpfe gezogen hatten, Anweisungen gaben und die wenigen Kisten, die aus welchen Gründen auch immer, nicht maschinell transportiert werden konnten, von einem Ort zum Anderen trugen, waren zu sehen. Im Ganzen kam ihm der Hafen mehr wie eine große Fabrikhalle vor und nicht wie das Tor ins Unbekannte.
Da stand er also nun, an der Brücke und passte auf, dass alles glatt verlief. Was das zu bedeuten hatte, hatte er erst am Nachmittag erfahren: größten Teils an, nicht vor der Brücke stehen und beobachten. Falls es Probleme geben würde, solle er den Zuständigen Bescheid geben, weil er selbst keine Autorität besitze – vielleicht war es ja gerade dieser Punkt, der ihn wie ein kleines Kind fühlen ließ, die Unfähigkeit zur eigenen Handlung. Er stieß sich von der Reling und ließ sich auf eine kleine Bank fallen, steckte seine Hände in die Jackentaschen und lehnte seinen Kopf, unaufmerksam zum Hafen hinaus starrend, an die Wand. Langsam verschwammen die lauten Geräusche des Hafens mit dem ruhigen Klängen des Wassers, das sanft gegen die Seiten des Schiffes schwappte. Er gähnte. Den ganzen Tag über war er nicht richtig wach geworden. Das zu frühe Aufstehen und die graue Wolkendecke, die sich fast bis zum Boden streckte und die ganze Welt in ein nass-graues Tuch hüllte, hatten sicher ihren Teil dazu beigetragen. Diese Wand drückte gegen seinen Kopf. Er konnte geradezu spüren, wie sie in ihn eindrang und langsam seine Sinne vernebelte. Plötzlich tauchte ein schwarzer Fleck vor seinen Augen auf. Eine große Krähe hatte sich am Geländer festgekrallt. Ihre Krallen klapperten am nassen Metall, während sie krächzend mit ihren Augen den Boden absuchte. Sie schaute auf und heftete ihre schwarzen Augen auf ihn. Er erwiderte ihren Blick, ohne sich dabei zu bewegen. Für einen kurzen Augenblick starrten sich beide stumm an –
»Genau euer Wetter, wa? – dieses ewige Grau.«
Mit einem Satz sprang die Krähe auf, so erschrocken von dem plötzlichen Lärm, dass sie direkt auf ihn zu fiel, doch gerade noch rechtzeitig den Bogen bekam und er den starken Schwung ihrer Flügel spürte. Doch nicht nur die Krähe hatte