Kaum hatte ihn das Menschenmeer ausgespuckt, stand er verwirrt im Nichts. Plötzlich war es leer, er hatte Platz – –
Jetzt stand er direkt am Hafen, vor ihm, lagen die drei Schiffe. Wie kleine Wellen am Strand sich verlaufen und dann wieder zurück ins Meer flüchten, schwappte auch immer ein kleiner Teil aus der Masse heraus, schaute verwirrt um sich, bewunderte die großen Schiffe und stürmte wieder zurück in den Schutz der Masse, die ihn dankbar wieder verschluckte. Während er selbst noch von dieser Verwirrung eingenommen war, starrte er auf eine Gruppe, die im gebrochenen Chor nach einem Zurückgebliebenen rief, bis schließlich eine junge Frau den Verlorengegangenen an der Schulter packte und zurück zur Gruppe schleifte.
Er blickte, sich langsam um-sich-selbst-drehend, suchend umher und versuchte, sich nun wieder zu erinnern, was er eigentlich gehofft hatte hier zu finden. Hinter ihm lagen die großen Schiffe, heroisch, fast gewaltsam, ragten sie aus dem Wasser zum Hafen hinauf. Er drehte seinen Kopf und schaute sie über seine Schulter blickend an –
›Das soll meine Heimat werden – dieses Ungeheuer?‹
Von unten hinauf-schauend drückte sich ihre Gewalt noch stärker aus, als sie es sowieso schon tat. Jeden Augenblick drohten sie über ihn herzufallen, ihn zu verschlingen. Er wusste nicht, welches dieser Schiffe seine neue Heimat werden sollte, doch in diesem Moment waren es keine drei, sondern bloß ein einziges Schiff: sein neues Zuhause.
–
Es waren nur Sekunden gewesen, die er sie gesehen hatte, doch für ihn stand die Zeit immer noch still. Dabei hatte er sie gar nicht richtig gesehen. Eigentlich sah er nur einen Schatten in der schimmernden Sonne. Kein dunkler Schatten, wie er an der Wand hängt, sondern ein heller, ein brennender Schatten, der alles um sich herum in Dunkelheit hüllt.
Verschlossen lag seine Tasche in einer Ecke der kleinen Kajüte. Er lag auf dem kleinen Bett und streckte sich. Dabei machte er sich so lang, dass er sich mit seinen Armen an der Wand, die am Ende seines Bettes lag, abdrücken konnte. Dann ließ er die Wand los und verschränkte seine Arme über seiner Stirn. Sein Magen knurrte. Langsam machte sich der wenige Schlaf und das nicht stattgefundene Frühstück bemerkbar. Sein Atem dämmte sich. Er konnte spüren, wie seine Gedanken langsam von ihm wichen und in den Raum hinausflogen – er war kurz davor einzuschlafen. Dann richtete er sich wieder auf und setzte sich an den Rand des Bettes. Gekrümmt saß er da, seine Ellenbogen auf die Knie gestützt, so dass sich rote Flecken auf ihnen bildeten, und versteckte sein Gesicht hinter seinen Händen. Er hatte keine Zeit zu schlafen, er musste gleich auf dem Deck sein. Langsam richtete er sich auf und stolperte in den dunklen Flur. Wieder knurrte sein Magen.
›Seekrank am ersten Tag – und das obwohl wir noch nicht mal abgelegt haben.‹
Am Ende des Flures waren noch drei Stufen hinauf zum Deck zu bewältigen. Langsam drückte er sich die erste Stufe hoch, dann die zweite … dann grinste ihn die Sonne breit ins Gesicht. Reflexartig kniff er seine Augen zu und blieb stehen. Ungehindert brannte die Sonne auf das Deck und ließ es in der vor Hitze schwebenden Luft schwimmen.
»Willst du hier noch länger stehen bleiben oder gibt’s du noch den Weg frei?«
Ein breites Lächeln strahlte ihm entgegen.
»Danke.«, antworte das Lächeln und drückte sich an ihm vorbei. Leicht streiften sich ihre Körper, ein frischer Duft drang in seine Nase.
Er stand immer noch auf der letzten Stufe. Schweiß lief ihm über die Stirn, die Nase, das Gesicht. Er verlagerte sein Gewicht auf sein rechtes Knie und schaute ihr nach. Doch er sah sie nicht, zumindest nicht richtig. Alles was er sah, war ein verschwommener Umriss, ein verschwommener Schatten, der in der Sonne tanzte, anfing sich zu drehen und das ganze Deck dabei mit sich riss. Die ganze Welt drehte sich –
»Na kommst du auch endlich mal? Was war das denn da vorne?«
Er stand auf dem Deck, auf seinem Platz in der ordentlich aufgereihten Mannschaft. Verlegen nickte er nur mit dem Kopf. Im selben Moment begann der Kapitän mit der Begrüßung der Mannschaft. Erst jetzt bemerkte er, dass sie direkt vor ihm stand. Leicht links nur ein kleines Stück von ihm entfernt, direkt zwischen einem großen breiten Kerl und einer anderen Frau. Sie drehte leicht ihren Kopf in seine Richtung – – da war es wieder das Lächeln, dieses viel zu stille, vollkommen beruhigende Lächeln. Plötzlich fing er wieder an zu schwitzen. Sein Blick begann wieder zu schwanken. Langsam löste sich ihr Gesicht vor ihm auf, floss einfach in alle anderen Farben über. Nur die Sonne schien direkt auf ihn hinab. Ein kleiner greller Kreis. Ungebremst knallte sie auf ihn, schrie ihn an – oder lachte sie? Jetzt stieg auch der Schwindel wieder in ihm auf. Er konnte merken, wie er Sekunde um Sekunde die Kontrolle über sich verlor und immer wieder brüllte sein Magen dazwischen. Immer noch starrte er in ihre Richtung, obwohl er nicht mehr erkennen konnte, ob sie auch noch in seine starrte. Eigentlich wusste er gar nicht so genau in welche Richtung er überhaupt sah, waren seine Augen überhaupt noch geöffnet? Deutlich konnte er sie vor sich sehen. Sie lächelte ihn an: Hey alles in Ordnung bei dir?
»Hey,« leicht stupste jemand an seine rechte Schulter, »alles in Ordnung bei dir?«
Hektisch schüttelte er seinen Kopf und kam wieder zur Besinnung. »Ja, alles gut.«
»Bist du sicher, du siehst nämlich ganz schön fertig aus?«
Die Worte holten ihn wieder in die Gegenwart zurück. Er nickte kurz.
Er hoffte nur, dass er sich noch bis zum Ende zusammenreißen konnte und nicht schon vorher zusammenklappen würde. Doch dann war der Kapitän fertig und die Mannschaft löste sich wieder in Richtung der Kajüten auf.
»Hey, wo willst du denn so schnell hin?«, in seinem Rücken hörte er ihn noch lachen.
Wieder stolperte er, von einer Seite zur nächsten geworfen, den Flur entlang. Sein Atem keuchte vor ihm her, endlich die Tür – – –
Eine weiche Stimme schlägt gegen mein Ohr, rauscht in ihrer Muschel ewig fort. Sie blendet mich. Ich halte meine Hand schützend vors Gesicht. Langsam gewöhnen sich meine Augen an ihr grelles Licht. Ich sehe mich um – doch ich finde keinen Ton. Da ist kein Ton! Mein Blick fällt zu Boden, er strahlt, ganz weiß – Schnee? Nein, Sand, weißer Sand, von der Sonne reflektiert, erbleicht seine Farbe. Vor mir liegt eine kalte Wüste, ihr weißer Sand gärt wie Salz unter einem hell brennenden Himmel, einem sprechenden Himmel: » Na willst du hier ewig stehen? « Ein Lachen fliegt durch den Sand. Ich sehe dich nicht! Ich sehe mich um, aber ich sehe dich nicht!
Zwei kalte Hände stoßen in meinen Rücken, ich stolpere – Wo ist der Boden? – Mein Schritt rutscht, ich falle – Wo ist der Boden? Ein kalter Schlag trifft meinen Rücken, panisch reiße ich meinen Mund auf – Stille. Eine dicke Flüssigkeit füllt meine Lunge. Ein bitterer Geschmack von Chlor und Salz dringt in meine Nase ein, brennt in meinen Augen. Ein tiefes Blau umschlingt mich mit seinen gewaltigen Armen, zieht mich immer tiefer in seinen dunklen Schlund herunter. Ich falle, getragen von ihren warmen Armen, die mich nach unten ziehen. Seifenblasen fliegen an mir vorbei, zerbersten am kargen salzigen Himmel.
Dann stoße ich auf den Grund. Weiße, saubere Fließen bedecken ihn. Mit fest an meinen Bauch gezogenen Knien schaue ich zum Himmel. Ich sehe die Sonne; ihr verzerrtes Gesicht spiegelt sich auf der Oberfläche. Ein grelles Auge, das direkt hinter der Decke steht, mich beobachtet. Kleine Strahlen aus