„Das hast du nun davon“, sagte Jamshed außer Atem, und drückte meinen Kopf fester auf den Boden, sodass ich mir die Stirn aufriss. Plötzlich stürmte Bassam auf meinen Peiniger los, aber sein schmächtiger Körper wurde von Jamshed mit Leichtigkeit zurückgestoßen. Dabei stieß er ein hämisches Lachen aus, das durch die Wüste schallte.
„Mach ihn fertig!“, hörte ich einige Schüler rufen.
Endlich lockerte Jamshed seinen Griff. Schmerzverzerrt lag ich auf dem Rücken. Die Sonne schien mir grell ins Gesicht, als würde sie mich auslachen. Mein Schädel dröhnte. Alles tat mir weh. Die Gruppe verließ uns, allen voran Jamshed. Alle fürchteten ihn, sodass er automatisch das Oberhaupt unserer Klasse war. Zögernd näherte sich Bassam, während ich noch stöhnend auf dem Boden lag. Fürsorglich kniete er neben mir und versuchte mich hochzuziehen.
„Lass mich“, wehrte ich verärgert seine helfende Hand ab.
Mühsam richtete ich mich auf. Ich fuhr mir mit der Hand über mein Gesicht, das voller Dreck und blutverschmiert war. Bassam schien sich zu schämen, obwohl er keinen Grund dafür hatte. Grundlos war ich auch wütend auf ihn, da er mir an diesem Tag ungewollten Ärger gebracht hatte. Den Rest des Weges strafte ich ihn daher mit Schweigen.
„Es tut mir leid“, entschuldigte er sich mehrmals, aber ich ignorierte ihn.
Kurz vor unserem Haus bemerkte uns Elham, die gerade dabei war Wasser aus dem Brunnen zu ziehen. Sofort ließ sie den Strick los und rannte uns entgegen. Platschend fiel der Holzeimer ins Wasser.
„Du meine Güte“, klagte sie laut, als sie mir ins Gesicht sah. Mit dem Rand ihres Tschadors versuchte sie vergeblich das getrocknete Blut abzuwischen. Dann sah sie Bassam an.
„Was hast du getan? Warum bist du einfach davongelaufen?“, brüllte sie laut. Außer sich zog sie Bassam am Ohr ins Haus. Er schrie vor Schmerzen. Sie gab ihm noch einige Ohrfeigen, bevor er in seine Ecke kroch. Gekrümmt kauerte er neben dem Ofen und versteckte sein Gesicht reumütig hinter schmutzigen Händen.
„Warte nur ab, bis Siamak davon erfährt“, drohte sie giftig in Bassams Richtung.
„Bitte sag es ihm nicht, bitte.“ Man hörte seine Stimme kaum, da er sein Gesicht immer noch hinter den knochigen Händen versteckt hatte.
„Das hättest du wohl gerne. Kannst schon mal eine saftige Strafe erwarten.“
Mit einem nassen Tuch wischte mir meine Mutter übers Gesicht. Die Wunde an der Stirn brannte noch heftiger, als sie mit Wasser in Berührung kam. Meine Miene verzog sich zu einer Grimasse.
„Er kann nichts dafür“, sagte ich, da mir Bassam plötzlich leid tat.
„Und du nimm ihn noch in Schutz. Nein, er muss bestraft werden.“
Bei Sonnenuntergang sah man den dunklen Umriss meines Vaters, der sich unserem Haus näherte. Elham lief ihm entgegen. Durch die offene Tür konnte ich sehen, wie er ihr einen Kuss auf jede Wange gab. Sie schien ihm das Geschehene zu berichten. Denn abrupt änderte sich seine Körperhaltung. Angespannt hatte er seine Arme verschränkt und nickte bei jedem ihrer Worte. Dann kam er mit großen Schritten herbeigeeilt. Besorgt blickte ich zu Bassam, der immer noch reumütig in seiner Ecke kauerte. Mein Baba sah müde und gereizt aus. Auf seiner Stirn, auf der einige fettige Haare klebten, glänzte der Schweiß.
„Du verdammtes Hurenkind!“, brüllte er bereits kurz vor der Haustür.
Als Bassam seine zornerfüllte Stimme hörte, igelte er sich noch mehr ein. Mein Baba betrat energisch das Haus. Grob versuchte er Bassam zu greifen, aber der setzte sich zur Wehr. Wild trat er um sich. Schließlich packte Siamak seinen Fußknöchel und schleifte den Jungen aus dem Haus. Bassam schrie, als er über den groben Boden gezogen wurde. Die Haut am Rücken war aufgerissen und hinterließ eine dünne Blutspur. Erschrocken rannte ich hinterher, aber ich traute mich nicht, mich für Bassam einzusetzen. Zu groß war die Wut meines Babas, dass ich befürchtete, Siamak würde auch mich strafen, wenn ich es wagen sollte, mich einzumischen. Bis zum Brunnen zog er Bassam, dessen qualerfüllter Schrei mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.
„Aufstehen!“, schrie ihn mein Baba an. „Steh auf, du dreckiges Tier!“
Erst ein kräftiger Tritt gegen den Brustkorb brachte Bassam dazu, sich aufzurichten. Benommen vor Schreck taumelte er, wie ein Betrunkener. Über sein ganzes Gesicht liefen Tränen, während er sich schmerzverzerrt seinen aufgerissenen Rücken hielt und um Atem rang.
„Bitte Simak, ich werde nie wieder weglaufen“, flehte er. Dabei hatte er die Hände wie zum Gebet gefaltet.
„Dreh dich um!“, befahl mein Baba.
Diesmal hörte Bassam sofort auf ihn und stützte sich mit beiden Händen am Rand des Brunnens ab. Schon vom Haus aus konnte ich seinen lauten Atem hören, der sich zunehmend beschleunigte. Ruckartig riss mein Baba einen langen Ast von einem der Sträucher ab. Mit kräftigen Hieben schmetterte er ihn abwechselnd auf Bassams Waden. Es bildeten sich Risse und das warme Blut lief ihm die Beine runter. Bei jedem Schlag schrie Bassam kurz auf und drohte einzuknicken. Mein Baba verausgabte sich so sehr, dass er am ganzen Leib schwitzte. Zwischenzeitlich musste er sogar eine Pause einlegen, damit er sich den Schweiß vom Gesicht wischen konnte. Irgendwann schrie Bassam nicht mehr, sondern winselte nur noch leise. Der Stock war am anderen Ende blutverklebt, als mein Baba ihn achtlos in den Sand warf. Ohne sich weiter um Bassam zu kümmern, der nun erschöpft auf den Boden sackte und mit dem Rücken an der Außenwand des Brunnens lehnte, ging er ins Haus. Bassam blieb dort sitzen, bis es dunkel wurde. Schweigend blickte er den sternenbedeckten Himmel hoch. Keiner von uns kam auf den Gedanken, ihn ins Haus zu holen. Mein Baba war zu geschafft von der Arbeit und schnell auf der Pritsche eingeschlafen. Elham schlich sich hinaus, um Bassams Wunden zu behandeln. Ich begleitete sie und fand mit ihr einen Bassam vor, der apathisch zum Himmel blickte, als wenn er sich wünschen würde auf einen dieser zahlreichen Sterne zu sein.
Mit einigen Kräutern, die sie vorbereitet hatte, wickelte sie beide Waden und ein Teil des Rückens ab. Mehrmals zog Bassam misstrauisch seine Beine weg.
„Jetzt hab dich nicht so. Ich will dir doch helfen“, murrte sie leise.
Obwohl sie Bassams Wunden versorgte, bemerkte ich bei meiner Mutter keine Spur von Reue. Sie war der Meinung gewesen, richtig gehandelt zu haben und war sich keiner Schuld bewusst. Gemeinsam mit ihr stützte ich Bassam ab und brachte ihn leise ins Haus zurück. Er wog kaum etwas. An meiner Schulter spürte ich seinen Arm, der fast nur noch aus Knochen bestand.
Mitten in der Nacht wurde ich wach. Ich hörte Bassam in seiner Ecke winseln.
„Sei still“, flüsterte ich mehrmals zu ihm rüber, aber es half nichts.
Irgendwann stand mein Baba auf und zündete die Kerze auf dem Tisch an. Das Feuer im Ofen war bereits erloschen. Im dumpfen Schein konnte ich erkennen, wie er Bassam einige Male gegen die Beine trat.
„Ich kann wegen dir nicht schlafen. Jetzt gib endlich Ruhe“, schimpfte er. Dann gab Bassam endlich keinen