Stimme aus der Tiefe. Byung-uk Lee. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Byung-uk Lee
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738075007
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Kopf schützte und mit schmerzverzerrter Miene die Schläge über sich ergehen ließ.

      „Siamak, komm wieder ins Bett“, sagte meine Mutter mit schläfriger Stimme.

      „Du bist jetzt still“, warnte mein Baba Bassam ein letztes Mal, bevor er der Bitte meiner Mutter nachging.

       Die Zärtlichkeiten, die meine Eltern austauschten, wenn sie dachten, dass ich bereits schlafe, verwirrten mich ebenfalls. Wie konnten sie miteinander so liebevoll umgehen und Bassam so lieblos behandeln? Bis heute kann ich mir keine Antwort auf diese emotionale Zerrissenheit geben.

       Wieder hörte man ein Geräusch, aber es war nicht Bassam. Irgendetwas bewegte sich am Boden. Bassam hatte es auch bemerkt und zog sich den Sack über den Kopf. Ein dunkler Schatten huschte durch den Raum. Ich fürchtete mich, aber wollte meine Eltern nicht wecken.

      „Bassam, hast du das gesehen?“, flüsterte ich. „Da am Boden.“

       Ich bekam nur ein Nicken von ihm, während sein Kopf noch von dem Sack bedeckt war. So lag ich fast die restliche Nacht hellwach auf der Pritsche.

       Die Sonne ging schon auf, als mein Baba sich seine verschwitzte Arbeitskleidung anzog, Bassams Kette löste und das Haus verließ. Am Brunnen wusch er sich das schmutzige Gesicht, bevor er in der Ferne verschwand. Elham schlief noch tief und fest. Ich warf einen Blick unter die Pritsche, aber das unheimliche Ding war nicht zu sehen.

       Das Frühstück fiel bei uns immer sehr dürftig aus. Meist gab es nur trockenes Brot und dazu ein Glas Wasser. Bassam bekam gar nichts zu essen, stattdessen wurde er von Elham mit einer Aufgabe beschäftigt. Ich saß am Tisch und sah ihm dabei zu, während ich auf dem zähen Stück Brot kaute, das ich mit einem Schluck Wasser gerade noch runterwürgen konnte. Meine Mutter fühlte sich an diesem Tag nicht so gut und legte sich wieder hin, um sich auszuruhen. So konnte ich mich mit Bassam ungestört unterhalten. Er humpelte leicht. Sein Fußknöchel war ganz wund, aber er hatte sich nie über die Schmerzen beschwert.

      „Was war das gestern Nacht?“, fragte er mich, während er neues Holz in den Ofen legte, da es immer noch sehr kühl war.

      „Irgendein Tier, denke ich.“

       Bassam setzte sich im Schneidersitz vor mir auf den Boden, sodass ich mich etwas runterbeugen musste. Verwirrt blinzelte er zu mir hoch. In solchen Momenten fand ich ihn ganz liebenswürdig.

      „Ich muss in die Schule“, sagte ich.

      „Ist gut“, meinte Bassam mit gesenktem Kopf.

      „Was hast du?“

      „Kannst du nicht heute zu Hause bleiben?“ Voller Hoffnung sah er mir ins Gesicht.

      „Das geht nicht. Wieso fragst du?“

       Eine Antwort blieb er mir schuldig, stattdessen stand er auf und ging in seine Ecke, wo er sich wieder hinlegte. Als ich zur Tür hinausgehen wollte, hörte ich noch mal seine Stimme:

      „Wann kommst du wieder?“

       Seufzend drehte ich mich um. Wieder dieser Blick reiner Unschuld.

      „Das weißt du doch. Immer zur gleichen Zeit.“ Eine absurde Antwort von mir, da im Haus keine Uhr hing. Ich war der einzige, der so etwas besaß. Ein Geschenk meiner Eltern. Es war eine elektronische Armbanduhr und ich dachte, sie würde mindestens eine Million Rial kosten. Wenn mein Baba pünktlich zur Arbeit musste, dann piepste sie leise.

       Ich hatte den Brunnen schon fast erreicht, als Elham aufwachte.

      „Was liegst du hier faul in der Ecke!?“, schimpfte sie.

       Bassam stand auf und ließ sich Arbeit geben.

       ***

      „Wie geht’s dem Stinktier von Teheran?“ In der Pause stand plötzlich Jamshed vor mir, hinter ihm sein übliches Gefolge aus zwei, drei Schülern. Obwohl alle den großen Jungen fürchteten, tat ich es nicht. Zu sehr hatten meine Eltern mein Selbstbewusstsein gestärkt, dass ich es nicht für nötig hielt, klein beizugeben. Stolz kann sehr gefährlich sein.

      „Lass mich in Ruhe, Jamshed“, zischte ich ohne jede Regung.

       Hinter ihm munkelten einige Schüler etwas. Ob sie es vor Erstaunen oder aus Ehrfurcht taten, wusste ich nicht. Verunsichert blickte Jamshed auf seine Anhängerschaft. Er packte mich am Arm.

      „Geh nicht zu weit, Hussein. Oder benötigst du eine zweite Tracht Prügel?!“ Der säuerlich warme Atem Jamsheds schlug mir entgegen und mir wurde kurzzeitig übel.

      „Und du rede nicht so über Bassam“, antwortete ich und riss mich los.

       Jamshed richtete sich wieder auf und stand mit verschränkten Armen vor mir. Seine Größe beeindruckte mich allerdings nicht.

      „Diese Missgeburt heißt also Bassam“, fluchte er laut lachend.

       Ich spürte, wie die Wut in mir immer größer wurde. Meine Armmuskeln spannten sich. Das höhnische Lachen Jamsheds drang in mein Ohr, wie eine unverschämte Beleidigung.

      „Deine ganze Familie stinkt, Hussein!“, rief Jamshed.

       Ruckartig, ohne lang zu überlegen, schüttete ich ihm Wasser aus meiner Flasche ins Gesicht. Meine Mitschüler standen erschrocken hinter ihm, als konnten sie nicht glauben, was ich getan hatte. Auch Jamshed war zunächst sprachlos. Das Wasser tropfte von seinem kurzen, schwarzen Haar auf die Schultern und sein nasses Gesicht glänzte in der heißen Mittagssonne. Mit trägen Bewegungen wischte er sich mit den Ärmeln über die Augen.

      „Du kleiner Bastard!“, brüllte er, während er mich am Kragen packte und auf den Boden warf. Jeden spitzen Stein spürte ich schmerzhaft an meinem Rücken, als ich mit voller Wucht unten aufschlug.

      „Steh auf!“, schrie er. „Steh auf!“

       Es hatte sich schnell ein Kreis aus Schaulustigen gebildet. Alle feuerten sie Jamshed an. Keiner traute sich meinen Namen zu rufen.

       Langsam richtete ich mich auf und wollte für die Ehre meiner Eltern und die Bassams kämpfen. Ich verspürte Furcht, aber auch Stolz. Einfach aufgrund der Tatsache, dass ich bereit war, die harten Schläge Jamsheds und jeden Schmerz zu ertragen, um meine Familie zu verteidigen. Jamshed holte aus und traf mich mit der Faust auf den Wangenknochen. Die Erschütterung war so stark, dass ich wieder rückwärts zu Boden fiel.

      „Wenn du schlau bist, bleibst du lieber liegen“, höhnte Jamshed. Er spuckte mir ins Gesicht.

       Ich schnellte hoch und versuchte ihn mit all meinem Gewicht nach unten zu reißen.

       Zu meiner Überraschung gelang es mir.

      „So redest du nie wieder über meine Familie!“, schmetterte ich keuchend die Worte in sein überraschtes Gesicht, während ich seinen Hinterkopf auf die Erde drückte.

       Jamshed hustete, da er Staub schluckte. Nun hatte ich ihn im Schwitzkasten. Die Anfeuerungsrufe für Jamhsed waren schon lange verstummt. Alle standen sie erstaunt um uns. Ich glaube, dass die meisten meiner Mitschüler sehr verwundert darüber waren, wie viel Widersetzungswillen ich zeigte. Mein Griff wurde immer fester und der Schweiß tropfte mir von der Stirn auf Jamsheds haarigen Nacken.

       Jemand packte mich von hinten und riss mich weg. Es war Nersy.

      „Verflucht noch mal! Was macht ihr da!?“

       Der Kreis löste sich langsam und die dichte Staubwolke, die sich während unserer Rauferei gebildet hatte, legte sich. Jamshed lag immer noch auf dem Boden. Blut lief ihm