Erben der Macht. Christine Stark. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Stark
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742777645
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Viertel unsicher machen!“

      Carl und Shorty – Nummer eins und zwei seines Gefolges – nickten begeistert. Wobei Shorty nach einiger Zeit für ihn sicher harten Nachdenkens ungläubig fragte:

      „Was? Du willst zu Fuß gehen?“

      Victor legte seinen Arm um Shortys Schulter und zog den kleinen, mausartigen Kerl zu sich heran.

      „Ist es schon zu spät für dich? Hast du Fußschmerzen? Oder muss mein Kleiner etwa ins Bett?“

      „Nein, Vic! Natürlich nicht. Aber du bist der Patron, da dachte ich…“

      „Nicht denken, Shorty.“

      Victor hob den Kopf und blickte in die kleine Runde.

      „Ich hab einfach Bock drauf. Lasst uns sehen, was in dieser Ecke sonst noch so geboten ist.“

      Scar bemerkte, wie Victors Augen glänzten. Es sah nach Vorfreude aus. In Scars Magen bildete sich ein bitterer Klumpen. Victor hatte wirklich noch nicht genug. Er wollte mehr. Mehr Angst, mehr Schrecken, Adrenalin, vielleicht ein wenig Blut. Scar hoffte inständig, dass er sich irrte und er heute nicht gezwungen sein würde, eine von Victors Eskapaden zu verhindern.

      „Los kommt schon!“, rief sein Bruder ihm und Elias zu. Scar seufzte und leerte sein Bier. Dann folgte er Victor zum Ausgang. Er glaubte, ganz deutlich wahrzunehmen, wie hinter ihnen ein kollektives Ausatmen durch den Keller ging. Sie traten hinaus in die kalte Nachtluft und wandten sich nach rechts. Scar checkte kurz die Lage. Auf den Straßen war nicht viel los. Die meisten Läden und Häuser waren bereits dunkel. Doch das musste noch nichts heißen. Auch in einem dunklen Viertel – oder gerade dort – konnte viel passieren. Dabei machte sich Scar weniger Sorgen um die Sicherheit seines Bruders. Carl und Shorty waren mehrfach bewaffnet und folgten Viktor wie zwei Schatten. Nein, ein solches Viertel würde vielmehr den Einzelnen, die hier herumliefen, nicht viel Schutz bieten. Hier konnte Victor in aller Seelenruhe kaputtmachen, was immer er wollte. Und wenn es nur ein altes Auto, ein kleines Schaufenster oder ein Kieferknochen war. Niemand würde davon erfahren.

      „Was ist los? Warum bist du so angefressen?“, wollte Elias wissen, der, wie so oft, neben ihm herging. Scar blieb stumm. Wenn Scar überhaupt so etwas wie einen Freund hatte, dann war es wohl Elias. Sie hatten ihn vor zwei Jahren von einem Drogendealer-Ring „geerbt“, der versucht hatte, im Mocovic-Gebiet Fuß zu fassen. Victor hätte nach der Zerschlagung des Rings am liebsten alle getötet, doch Scar hatte ihm klar gemacht, dass es sich auszahlen würde, die Talentiertesten der Organisation am Leben zu lassen. Und Elias war wirklich ein begnadeter Verhandlungskünstler. Zu Scars Verwunderung hatte er sich nicht bei Victor angebiedert, wie die meisten es versucht hätten, sondern hatte sich lieber mit ihm abgegeben. Elias war angenehm. Klug, loyal, unaufdringlich. Meistens zumindest.

      „Komm schon. Liegt es an der Kleinen von vorhin?“, versuchte es Elias erneut. Scar warf ihm einen prüfenden Blick zu. Natürlich.

      „Du hast sie geschickt“, stellte er fest.

      Elias zuckte mit den Schultern.

      „Na und?“

      „Ich brauche das nicht, klar? Ich brauche niemanden, der mir die Nutten organisiert.“ Scar merkte, wie versteckte Wut ich ihm hochkroch. Elias schien das nicht zu bemerken.

      „Meinetwegen. Ich dachte nur, du könntest mal wieder eine Frau gebrauchen. Außerdem hättest du sie ja jederzeit wegschicken können. Was du ja nicht getan hast…“

      Scar schwieg. Es war doch sinnlos, ihm zu erklären, wie es sich anfühlte, ein Monster zu sein.

      „Dann war sie also nicht die Richtige für diesen Job?“, wollte Elias wissen. Der Schalk blitzte hinter seinem Lächeln hervor.

      Scar holte tief Luft. Er dachte an die blonden Haare, an die festen Brüste und das feuchte, heiße Glück zwischen ihren Schenkeln. Und an den versuchten Kuss.

      „Sie hatte Angst vor mir.“

      „Angst? So hat sie aber nicht ausgesehen, als sie aus dem Separee gekommen ist.“

      Dann lachte er laut auf.

      „Sie sah eher so aus, als hätte sie ein Bus gestreift.“

      Was? Scar starrte Elias verständnislos an.

      „Du meine Güte! So wie die aussah, mein Lieber, schätze ich, dass sie sich jederzeit wieder von dir Angst einflößen lassen würde. Oder auch etwas anderes…“

      Scar konnte es selbst nicht einordnen, aber irgendwo in seinem Inneren fiel eine kleine Last irgendwo herunter und löste sich auf.

      „Victor, das ist langweilig hier“, hörte er Shorty weiter vorne nörgeln.

      Victor war stehen geblieben und schien etwas in einiger Entfernung zu fixieren. Dann drehte er sich zu Shorty um – ein diabolisches Grinsen im Gesicht.

      „Gib mir deinen Schlagstock.“

      „Soll ich dich nicht doch noch bis nach Hause begleiten?“ Rudi atmete schwer. Der kurze Fußmarsch von Lucas Kneipe bis zu seinem Gemüseladen hatte den großen, dicken Mann deutlich angestrengt. Er schnaufte wie eine Dampfmaschine.

      „Rudi, du machst jetzt, dass du ins Bett kommst, klar? Und versuch dich das nächste Mal nicht ganz so sehr aufzuregen. Das ist ungesund.“ Und langwierig, ergänzte Maya in Gedanken.

      „Oh, aber diese Friesens, die bringen mich auch immer wieder zur Weißglut!“, schimpfte Rudi wie auf Kommando.

      „Schhhh! Ist ja okay, Rudi. Das wissen wir alle mittlerweile ziemlich genau. Mach’s gut.“ Sie wandte sich zum Gehen.

      „Soll ich dich wirklich nicht begleiten?“

      Maya drehte sich kurz um.

      „Sei mir nicht böse, aber ich bin schneller zu Hause, als du dich in Bewegung setzen könntest.“

      Rudi murmelte gekränkt in sein Doppelkinn.

      „Schon gut.“

      „Gute Nacht, Rudi.“

      „Gut‘ Nacht, Maya.“

      Maya hörte noch seine Schlüssel scheppern, als sie nach links in ihre Straße einbog. Die Luft war für eine Frühsommernacht erstaunlich warm. Sie hatte ihren grünen Parka ausgezogen und teilweise in ihre Umhängetasche gestopft. Der Reißverschluss kratzte bei jedem Schritt an ihrer Jeans. Maya war vollständig platt. Immer noch schwirrte ihr der Kopf von den unnötigen Diskussionen. Sie griff nach hinten und löste ihren Pferdeschwanz. Schon besser. Alles was sie wollte, war in ihr Bett zu kriechen und endlose Stunden zu schlafen. Hoffentlich gab es keinen Zusammenstoß mit Rocco mehr. Das würde sie heute nicht auch noch aushalten. Aber sie hatten sich nicht mehr versöhnt, bevor Maya zu dem Treffen aufgebrochen war. Rocco hatte sich schmollend ins Café verzogen und Maya hatte ihn in Ruhe gelassen. Na ja, immerhin war er an die Arbeit gegangen. Maya sah das als Indiz dafür, dass sich seine Wut bereits ein wenig verzogen hatte. Maya fragte sich, was er wohl mit seinem Bild machen würde. Es verstecken? Es zerstören? Oder wenn alle Teufel ihn ritten, es ausstellen?

      Wenige Meter von ihrem Café entfernt sah sie die Antwort. Aus ihrem nachts mit einem kleinen Spot beleuchteten Schaufenster blickten ihr fünf weiße Gesichter entgegen. Er hatte es ausgestellt. Im Fenster ihres Cafés. Schlagartig war sie hellwach.

      „Rocco, du…“ ihr fiel kein Schimpfwort ein, dass auch nur annähernd ihre Wut ausgedrückt hätte. Sie rannte die letzten Meter, sperrte hastig die Tür zum Café auf und stürmte hinein.

      „Rocco!“, rief sie. Das Blut stieg ihr in den Kopf.

      „Rocco, du Feigling! Was hast du dir dabei gedacht?“

      Mit ein paar schnellen Schritten war sie im Atelier, knipste das Licht an und sah sich um. Er war nicht da.

      „Rocco!“, versuchte sie es ein letztes Mal.

      „Na