Erben der Macht. Christine Stark. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Stark
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742777645
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sein Glück versuchen, wenn sein Bruder und dessen Freunde doch viel attraktiver waren und so bereitwillig zahlten?

      „Oh, Verzeihung!“, entgegnete Tanja in gespielt erschrockenem Ton. „Ich wusste ja nicht, dass es verboten ist, sich neben dich zu stellen.“

      „Ach, komm schon.“ Warum redete er überhaupt mit ihr? Ihr kurzes Kleid glitzerte golden und das passte wirklich wunderbar zu ihren langen glatten Haaren.

      Moment, glitzern? Er hatte sie doch nicht mehr alle.

      „Vielleicht will ich mich nur ein bisschen unterhalten.“

      Natürlich wollte sie das. Eine Unterhaltung mit ihm gehörte mit Sicherheit zu den besten Beschäftigungen hier im Club. Scar verzog spöttisch den Mund.

      „Hat dich mein Bruder geschickt?“ Er war sich sicher, dass sie nicht freiwillig hier war. Doch sie spielte ihren Part bravourös, das musste er zugeben. Ihre Augenbrauen fuhren überrascht in die Höhe und ihre Lippen formten einen beleidigten Schmollmund. Er wollte so gerne in diese Lippen beißen.

      „Nein, niemand hat mich geschickt“, protestierte Tanja pflichtschuldig. „Hör mal, ich muss nicht hier rumstehen und…“

      „Wie viel nimmst du?“, unterbrach er sie. Tanja hielt inne. Dann atmete sie erleichtert aus. Noch ein kleiner stilistischer Schlenker:

      „Was meinst du?“

      „Ich will wissen, wie viel es kostet.“

      Tanja lächelte ein süßes Lächeln, kam ihm ganz nah und ihre Haare kitzelten auf seiner Haut, als sie ihm ihre Bedingungen ins Ohr raunte. Dann war ihr Atem an seinem Hals verschwunden. Sie war ein kleines Stück von ihm abgerückt und blickte ihn erwartungsvoll an. Diese verdammten Lippen. Er nickte.

      Tanja griff nach seiner Hand und war ihm plötzlich wieder ganz nah.

      „Dann komm.“

      Scar folgte ihr in eines der kleinen Separees im hinteren Teil des VIP-Bereichs. Die schweren Vorhänge, die Scar hinter sich zuzog, ließen die Musik nur noch gedämpft herein. Es klang wie ein schneller Puls. Der Raum war ausgestattet mit einigen niedrigen Sesseln und einem ebenso niedrigen, runden Tisch. Doch Scar hielt sich nicht lange mit der Möblierung auf. Seine Augen ruhten auf Tanjas Rücken, über den die dünnen Träger ihres Kleides verliefen. Und als sie sich zu ihm umdrehte, ließ er seinen Blick über ihre Brüste, ihre Hüften und wieder zurück zu diesen Lippen schweifen. Tanja schenkte ihm ein verführerisches Lächeln. Ihre Augen leuchteten. Einem heftigen Impuls folgend, packte er sie, drückte sie an sich und drängte sie rückwärts gegen die Wand. Seine Hände vergruben sich in ihren Haaren, als er sich hinab beugte, um sie endlich zu küssen.

      Sie zuckte zurück.

      Nur einen winzigen Augenblick und nur wenige Millimeter. Aber Scar nahm es so deutlich wahr, als hätte sie ihm eine Ohrfeige verpasst. Natürlich. Wie hatte er vergessen können, wie er aussah? Sein innerer Panzer verschloss sich fest. Noch immer war er ihrem Gesicht so nah, dass er ihren schnellen Atem spüren konnte. Tanja blinzelte verwirrt.

      „Scar?“

      Sie sah ihn als Monster. Sie sollte das Monster bekommen. Mit einem frustrierten Stöhnen griff er grob nach ihren Schultern und drehte sie mit dem Gesicht zur Wand. Tanja schrie überrascht auf, als er sie in den Nacken biss und seine Hände unter ihr Kleid schob.

      Bitte, bitte, bittebittebitte aufhören! Maya wand sich auf ihrem Stuhl. Wie lange dauerte das denn noch? Wie konnte man sich nur so lange mit Details quälen, wenn noch nicht einmal das Grundgerüst feststand? Maya hatte den Fehler gemacht, sich nicht nahe genug an den Ausgang zu setzen. Jetzt saß sie eingekeilt zwischen Rudi, dem korpulenten Gemüsehändler und einem ihr nicht näher bekannten Betreiber eines Boxclubs, der sich alle paar Sekunden Erdnüsse in den Mund warf und schmatzend darauf herumkaute. Es waren knapp 40 Leute in Lucas Bierkneipe versammelt. Alle waren sich einig, dass ein Straßenfest stattfinden sollte: Nach einigem Hin und Her hatten sie sogar schon einen Termin festlegen können. Oliver, der einen kleinen Reparaturservice für Elektrogeräte betrieb und außerdem ein Händchen für Organisation hatte, war vorher bereits einstimmig zum Chef der Versammlung bestimmt worden. Und als solcher hatte er sich dann pflichtbewusst eine Menge Ideen zum Rahmenprogramm notiert. Danach wäre es für den heutigen Abend eigentlich genug gewesen. Die Teilnehmer hätten versprochen, die einzelnen Themen bis zum nächsten Treffen auf Machbarkeit zu überprüfen, sie hätten noch einen Termin für dieses Treffen ausgemacht und der Abend hätte ein annehmbar frühes Ende gefunden. Einige wären sicher noch bei Luca auf ein letztes Glas Bier geblieben. Andere, wie Maya, hätten sich aus dem Staub machen können.

      Wenn nur Oliver sich nicht unglücklicherweise hatte erkundigen müssen: „Gibt es noch Fragen?“ Längeres, erleichterndes Schweigen. Dann, kurz bevor Maya sich ihre Tasche umhängen und aufstehen konnte, war tatsächlich noch eine Frage in den Raum geworfen worden. Und dann noch eine. Und noch eine. Silvia und Fiona aus der Bäckerei „Zuckerzeug“ interessierten sich für Details der besonderen Art. Wie etwa die Länge der Tische, eine einheitliche Dekoration und die Frage der Abendbeleuchtung. Kerzen oder Lampions? Obwohl Oliver sofort erwiderte, dass derlei Kleinzeug erst später besprochen werden sollte, übergingen ihn die Friesens aus der anderen Bäckerei des Viertels komplett. Diese starteten eine Diskussion, inwieweit das Straßenfest denn „normiert“ werden müsste und ob es nicht sinnvoller wäre, wenn jeder ganz allgemein und die vom „Zuckerzeug“ im Besonderen sich um seine eigenen Ideen und ihren eigenen Kram kümmerte. Das wiederum fand Fiona gar nicht lustig.

      Seit geschlagenen anderthalb Stunden befanden sie sich nun in diesem Drama. Mayas Hintern tat weh. Sie wollte hier raus. Am liebsten hätte sie laut aufgeschrien, wäre über den Tisch gestiegen und hätte die Kneipe polternd verlassen. Aber es war einfach nicht Mayas Ding, Aufmerksamkeit zu erregen. Sich leise im Hintergrund zu halten war ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Nicht einmal bei so banalen Treffen konnte sie diese Angewohnheit ablegen. Der Weg rechts über den Boxer war versperrt. Der saß so ungünstig in einer Ecke, dass er Maya schon über sich hinwegheben hätte müssen. Und Rudi auf ihrer anderen Seite zu bitten, mal kurz Platz zu machen, funktionierte ebenfalls nicht. Denn Rudi hatte die Gelegenheit genutzt, seine persönliche Fehde gegen die Friesens in die Diskussion mit einfließen zu lassen. Rudi hatte schon einen hochroten Kopf von den ganzen geplärrten Vorwürfen, die er dem Bäcker und seiner Frau vor den Latz knallte. Maya fürchtete ernsthaft, Rudi könnte in den nächsten Minuten eine lebenswichtige Ader platzen und sein massiger Körper würde tot neben ihr von der Bank gleiten. Wenigstens wäre dann der Weg frei, dachte sie zynisch, lehnte sich zurück und schloss resigniert die Augen.

      „Hey, sag mal schläfst du?“ Elias boxte ihn in die Seite. Scar zuckte genervt.

      „Was denn?“, knurrte er zurück. „Ich hab doch die ganze Zeit die Augen offen.“

      Elias grinste.

      „Es gibt Leute in dieser Stadt, die beim Leben ihrer Mutter schwören würden, dass Scar Mocovic immer mit offenen Augen schläft.“

      „Keine, die ich kenne.“ Scar hatte keine Lust sich mit Elias zu unterhalten. Er war müde und frustriert. Sein Bruder hatte „nur mal schnell“ in diesen neuen Club gehen wollen. Das „Fix“ war ein dunkler Keller, ohne Glamour und Getue. Eigentlich gefiel es Scar in solchen Clubs besser, als in den VIP-Bereichen der Nobeldiscos. Doch ihre Bekanntheit hatte in den kleinen Kellerbuden ihren Pferdefuß. Die Leute erwarteten einfach nicht, dass plötzlich der Patron mit seinem Gefolge einmarschierte. Hier im "Fix" war es nicht anders gewesen. Die Gäste hatten aufgehört zu tanzen und waren möglichst unauffällig zu ihren Freunden gehuscht. Der Besitzer war förmlich vor ihnen gekrochen und hatte ihnen mehrfach versichert, er werde alles tun, damit sie sich wohlfühlten. Die Musikauswahl hatte gewechselt - von speziell zu austauschbar und die Frauen hatten nervös an ihren Klamotten herumgezupft und zu Boden geblickt. Kurz: Die Mocovics hatten Angst verbreitet. Und genau das war es, was seinen Bruder daran reizte, einen solchen Club auszusuchen. Die halbe Stunde voller Befangenheit und Angstschweiß gefiel ihm. Dann war sein Ego entweder befriedigt, oder angestachelt. Heute, so vermutete Scar, würde