JOHN ETTER - Stummer Schrei. John Etter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: John Etter
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745083880
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Freund. Nur überstürze nichts. Selina ist über Jahre zu den Dingen gezwungen worden, die eigentlich schön sein sollten und du bis auch wieder ein Mann …“

      „Ich werde ihr Zeit lassen. Und du bist die beste Hilfe, die zur Unterstützung auch noch da ist.“

      „Das ist eine gute Einstellung, denn jetzt braucht sie einen Freund.“

      Es klingelte. Eine junge Frau, nicht viel älter als Selina stand vor der Tür. Sie hielt ein Klemmbrett in der Hand.

      „Guten Morgen! Anita Weber vom Jugendamt.“ Sie streckte ihm eine schmale Hand entgegen, deren Druck überraschend fest war.

      „John Etter und das ist Nina Bär!“

      „Ich bin die Psychologin, die sich um Selina und Lea kümmern wird.“

      „Oh, für das Kind würden wir einen Psychologen bestellen. Wir haben da unsere eigenen Vorstellungen, von wem die Behandlung erfolgen soll.“ In Natura klang ihre Stimme nicht so sympathisch wie am Telefon.

      „Ich bin auf Traumatherapie spezialisiert!“, mischte sich Nina mit einem hochnäsigen Ton, den John noch nicht kannte, ein.

      „Ich dachte, das Kind wirkte unversehrt.“

      „Wirken ja, doch es wird wohl nicht spurlos an Lea vorbeigegangen sein, dass sie immer eingesperrt war.“

      „Wir werden sehen, was bestimmt wird“, lenkte Anita Weber ein.

      „Jetzt will ich das Haus begutachten.“

      „Ich fahre zu Selina. Wir sehen uns später, John!“ Nina zwinkerte ihm zu.

      „Ja und falls du vor mir mit Bruno telefonierst, grüß ihn von mir.“

      „Mach ich!“ Nach einem kurzen Blick zu Anita Weber verließ Nina das Haus.

      „Am Telefon sagten Sie, dass Sie alleine leben.“

      „Nina ist die Frau meines ehemaligen Partners bei der Polizei, Bruno Bär. Der ist im Übrigen der ermittelnde Beamte in dem Fall.“

      „Es bleibt also alles in der Familie?“, fragte sie spitz. John atmete tief durch, das Gespräch schien schwieriger zu werden, als er dachte.

      „Warum auch nicht? Ich habe mir Tipps bei Nina geholt, wie ich am besten mit Selina umgehe, wenn ich mit ihr spreche. Daher war sie schon in dem Fall drin. Warum soll sie sich dann nicht direkt um Selina und auch ihre Tochter Lea kümmern? Zumal sie einen fast gleichaltrigen Sohn hat, der für Lea zum Spielkameraden werden könnte.“ Wieder seufzte die Jugendamtsmitarbeiterin, wie schon am Tag zuvor am Telefon.

      „Sie scheinen ja schon Pläne gemacht zu haben.“

      „Wieder muss ich fragen, warum ich das nicht soll. Sowohl Selina als auch Lea brauchen Sozialkontakte.“

      „Gut, da muss ich Ihnen recht geben.“ Während des Gespräches waren sie durch das Erdgeschoss gelaufen. Immer wieder hatte sich die Beamtin Notizen gemacht.

      „Jetzt die oberen Räume!“ John ließ ihr auf der Treppe den Vortritt. Die erste Tür, die sie öffnete, führte in sein Arbeitszimmer. Hier war auch der einzige Raum des Hauses, in dem eine gewisse Unordnung herrschte. Und auch das schien sie zu notieren. John schluckte, am liebsten hätte er einen Blick auf die Aufzeichnungen geworfen. Die nächste Tür verbarg sein Schlafzimmer.

      „Für wen ist dieser Raum gedacht?“

      „Das ist mein Schlafzimmer, und bevor Sie meinen, sich hier genauer umsehen zu wollen, muss ich Ihnen sagen, dass wohl weder Selina, noch Lea diesen Raum je betreten werden.“ John konnte eine leichte Schärfe nicht verbergen.

      „Sehen Sie mich bitte nicht als Feindin, Herr Etter. Ich arbeite noch nicht lange beim Jugendamt und dieser Fall ist sehr verstörend, da möchte ich nichts falsch machen.“

      „Auch ich möchte im Bezug auf Selina und Lea nichts falsch machen.“

      „Sie waren bei der Polizei, haben Sie noch Waffen hier?“ Wechselte sie abrupt das Thema.

      „Ja, in einem Tresor in meinem Arbeitszimmer, der sowohl durch einen Schlüssel, als auch ein Zahlenschloss verriegelt ist.“

      „Gut! Dann würde ich gerne die Räumlichkeiten sehen, die Sie für Selina und Lea herrichten wollen.“ Wieder hatte sie sich Notizen gemacht. John führte sie in den Raum, den er erst am vergangenen Abend in einem netten apricot gestrichen hatte. Dazu gab es luftige Gardinen und einen Schrank aus hellem Holz, der zu dem Himmelbett passte.

      „Sie sagten doch, dass Sie die Gästezimmer herrichten wollen, aber jetzt …“, Anita Webers Stimme stockte. John lächelte.

      „Ich habe es direkt gestern erledigt. Dies wäre Selinas Zimmer, wenn sie bei mir einziehen dürften. Und nun zu Leas Zimmer. Das liegt direkt gegenüber.“ Auch hier konnte er die Überraschung im Blick der Beamtin sehen.

      „Gut, dann habe ich noch eine Frage.“

      „Fragen Sie!“

      „Sie sagten, dass Sie Privatdetektiv sind. Wie finanzieren Sie dieses Haus?“

      „Ich habe es geerbt. Dazu kommt, dass ich immer sparsam gelebt habe und so Rücklagen schaffen konnte. Ich kann also gut eine Mutter mit einem Kind ernähren. Darauf zielte Ihre Frage doch ab, oder?“ Anita Weber schluckte.

      „Nein, ich wunderte mich nur. Und ich frage mich, warum Sie aus dem Polizeidienst ausgeschieden sind.“ John seufzte. Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet.

      „Zuerst, um meiner Mutter bei der Pflege meines kranken Vaters zu helfen. Nach dem Tod der beiden wollte ich etwas anderes machen. Doch es zog mich zurück zur Ermittlungsarbeit.“

      „Danke für Ihre Offenheit. Im Übrigen war bereits eine Entscheidung getroffen, bevor ich zum Hausbesuch kam. Mein Chef kennt Sie von früher und er ist der Meinung, dass Sie mit Ihrer ruhigen, besonnenen Art dazu beitragen können, das Trauma von Selina zu lösen. Wissen Sie inzwischen eigentlich, wie sie mit vollem Namen heißt?“ John schüttelte verwundert den Kopf.

      „Noch nicht, aber meine Sekretärin arbeitet daran. Aber darf ich Sie auch etwas fragen?“

      „Warum nicht.“ Nun schwang ein Lachen in ihrer Stimme mit, das John schon besser gefiel.

      „Was haben Sie die ganze Zeit aufgeschrieben, wenn dieser Besuch nicht zur Begutachtung des Hauses und meiner Person diente?“

      „Oh, ich habe mir schon Notizen über Sie gemacht. Es hätte ja sein können, dass der Eindruck, den Sie während Ihrer Arbeit hinterlassen hatten, falsch war. Aber ich muss sagen, dass ich angenehm überrascht bin. Wir werden uns bestimmt später noch bei Selina sehen, denn auch mit ihr muss ich sprechen und später wohl auch das Kind begutachten.“

      Sie sprachen noch über seine neue Partnerschaft mit Alina, die später auch noch befragt werden würde. Dann verabschiedete sie sich. John setzte sich an den Küchentisch, nachdem er sie hinausbegleitet hatte. Erleichterung machte sich in ihm breit.

      Kapitel 8

      Bevor John ins Krankenhaus fuhr, machte er an seinem Büro halt. Susanne saß an ihrem Schreibtisch und hämmerte auf der PC-Tastatur herum. Es war John noch immer ein Rätsel, wie jemand so schnell schreiben konnte. Nach eigenen Angaben, die sie in ihren Bewerbungsunterlagen gemacht hatte, waren es fast dreihundert Anschläge in der Minute. Und jedes Mal, wenn er sie tippen sah, glaubte er das auch. Mit einem herzlichen Lächeln begrüßte sie ihn.

      „Guten Morgen, Chef! Ich wollte dich schon anrufen. Vor fünf Minuten habe ich einen Namen gefunden, der zu der jungen Frau passen könnte.“

      „Und der wäre?“

      „Selina Hächler, sie verschwand vor fast zehn Jahren auf dem Schulweg.“

      „Da war sie zehn. Soll das heißen, dass sich dieser …“, noch rechtzeitig stoppte John. Er wusste, dass er es nicht aussprechen durfte, was er dachte.