JOHN ETTER - Stummer Schrei. John Etter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: John Etter
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745083880
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      „Nein, der wird es nicht erfahren. Und seine Schwester wird bestraft, weil sie euch nicht gut behandelt hat.“

      „Und er nicht? Dann kann er uns doch von dir weg holen.“

      Nun sah er die Angst, die immer in Selinas Augen stand auch im Blick ihrer Tochter und das Herz wurde ihm schwer.

      „Nein, das kann nicht passieren. Er ist nicht mehr da, sonst wäre er auch bestraft worden.“

      „Nicht mehr da? Hat Gott ihn bestraft?“ John war verwundert, ein kleines Kind, das nie sein Dachbodengefängnis verlassen hatte, von Gott sprechen zu hören.

      „Was weißt du denn von Gott?“, fragte er interessiert.

      „Mami hat erzählt, dass Gott uns irgendwann mal hilft und wir wohin kommen, wo es schön ist und wo uns keiner mehr wehtun kann. Und dass Gott böse Menschen bestraft.“

      „Ja, man kann schon sagen, dass Gott den bösen Mann bestraft hat und euch so geholfen hat.“ Dann trat Anita Weber ein und setzte sich zu den beiden an den Tisch.

      „Ich werde in den nächsten Tagen vorbeikommen und mal schauen, wie Selina und Lea sich eingelebt haben. Sie müssen noch mit der Ernährungsberaterin sprechen, für alle Fälle. Es gibt noch einiges, was die beiden jungen Frauen aufholen müssen.“ Dann stand sie auch schon wieder auf und verschwand.

      „So, dann können wir jetzt zu deiner Mami gehen.“ John hob Lea auf seinen Arm und trug sie zu dem Krankenzimmer ihrer Mutter zurück.

      Selina zog ihre Tochter in ihre Arme.

      „Mami, hab Kakao getrunken, war lecker. Und da gibt es ganz viel zu essen.“

      „Ja, erzähl mal, was alles.“

      „Weiß gar nicht, wie das alles heißt. John hat mir so ein gebogenes weiches Ding mit Wurst und Salat drauf gegeben. Hat gut geschmeckt.“

      „Das ist ja schön.“ Verwirrt sah sie John an.

      „Ein Croissant mit Salami.“ Erklärte er. Selina gab einen Laut von sich, der halb Lachen, halb Schluchzen war.

      „Ja, das habe ich früher auch gerne gegessen. Bevor ich bei dem bösen Mann gewohnt habe.“

      „Wo war das? Hast mir nie erzählt, dass du nicht immer bei dem bösen Mann gewohnt hast.“ Lea löste sich von ihrer Mutter und sah sie interessiert an. Selina wurde blass.

      „Ich möchte nicht darüber sprechen. Es ist kein schönes Märchen.“

      „Mag aber Geschichten hören.“

      „Ich bringe euch nachher noch Bücher mit. Dann kannst du Geschichten hören, Lea.“

      „Das ist fein!“, nickte die Kleine.

      „Selina, du hattest Nina Bär ja schon kennengelernt.“ Es fiel John schwer, Selina zu fragen, ob sie Nina mochte.

      „Ja, sie ist nett. Glaube ich zumindest.“

      „Ja, hat mir ein Buch mitgebracht.“

      „Gut. Nina und ihr Mann, Bruno, sind regelmäßig bei mir zu Gast, denn ich habe früher mit Bruno zusammengearbeitet. Und wir sind gute Freunde. Aber es ist mir wichtig, dass du dich auch wohl fühlst.“ Sie lächelte.

      „Es wird schon gehen.“

      „Wir müssen auch über einige Dinge reden, doch das hat Zeit bis später. Jetzt spreche ich aber wirklich erst mit einer Ärztin, wann ich euch mit nach Hause nehmen kann.“ Während er die Tür schloss, hörte er Leas Stimmchen.

      „John ist nett.“ Selinas Antwort wartete er jedoch nicht ab.

      Im Stationszimmer traf er wieder auf die Ärztin, mit der er schon zweimal gesprochen hatte.

      „Herr Etter, es ist gut, dass ich noch einmal mit Ihnen sprechen kann.“

      „Ich wollte eigentlich nur wissen, was die Untersuchung bei Lea ergeben hat.“ Das Blut rauschte in seinen Ohren.

      „Bei ihr ist soweit alles in Ordnung. Eine Unterernährung und daraus resultierende Mangelerscheinungen, die aber schnell in den Griff zu bekommen sind. Und das, was Sie befürchteten, ist nicht geschehen.“

      „Das ist gut! Was muss bei der Ernährung beachtet werden?“

      „Vitaminreiche Kost und viel frische Luft, dann dürfte sich das Problem von selber beheben. Nahrungsergänzung will ich eigentlich nicht verabreichen. Und das gilt für beide. Ein Medikament für die Mutter würde ich gerne mitgeben. Einmal eine Tablette am Morgen sollte reichen.“

      „In Ordnung, ich werde es beherzigen. Wann kann ich sie abholen?“

      „Wohin kommen die beiden denn?“

      „Zu mir. Ich habe bereits zwei Zimmer eingerichtet.“

      „Dann Morgen!“ Die Ärztin zwinkerte, so als wolle sie sagen, dass bei einem anderen Ort ihre Antwort anders gelautet hätte.

      „Da bin ich aber froh. Muss ich noch andere Dinge beachten?“

      „Nur Selinas labile Psyche. Und Lea sollten Sie genau beobachten. PTBS kann sich auch erst später äußern. Wobei ich glaube, dass Selina ihre Tochter gut beschützt hat.“ John nickte. Auch er hatte bereits bedacht, dass sich auch bei Lea später eine posttraumatische Belastungsstörung bemerkbar machen könnte.

      „Ich habe bereits eine Psychologin eingeschaltet, die Selina auch schon besucht hat.“

      „Das Problem mit Psychologen ist, dass sie nicht immer genau dann da sind, wenn der Patient sie dringend braucht.“

      „Nina Bär ist nicht nur Psychologin, sondern auch eine gute Freundin. Das wird also schon werden.“

      „Dann bin ich beruhigt. Was wissen Sie inzwischen über Selinas Eltern?“

      „Ich habe ihren Namen und gleich wohl auch die Adresse. Aber bevor ich etwas unternehme, will ich wissen, warum Selina sie nicht erwähnt hat. Wobei ich es verstehen kann. Sie wurde mit zehn Jahren entführt. Und jetzt ist sie zwanzig.“

      „Das ist ja noch länger, als ich vermutet hatte.“ Er konnte das Erschrecken in den Augen der Ärztin sehen und nickte.

      „Sie wird Zeit brauchen, um das alles zu verarbeiten.“

      „Halten Sie mich bitte weiterhin auf dem Laufenden. Ich möchte auf jeden Fall erfahren, wie es mit Selina weitergeht.“

      „Das werde ich machen. Im Übrigen werde ich mich persönlich um die Krankenhausrechnung kümmern.“

      „Das brauchen Sie nicht, dazu leben wir zum Glück in einem Sozialstaat.“

      Nun ging er noch einmal zu Selina.

      „So, gute Nachrichten, ich kann euch beide morgen früh abholen.“

      „Das ist schön!“ Aber Selinas Stimme merkte er an, dass sie noch nicht wusste, was sie davon zu halten hatte.

      „Soll ich euch trotzdem für heute noch ein Buch bringen?“

      „Ja! Mami kann mir dann wieder eine Gutenachtgeschichte vorlesen.“

      „Kann ich erst mit dir sprechen, John? Alleine?“ Er nickte und half ihr aus dem Bett. Die Sachen, die er für sie ausgesucht hatte, waren etwas zu groß, das fiel ihm sofort auf.

      „Worum geht es?“ Sie hatten sich vor die Zimmertür gestellt.

      „Was erwartest du, als Gegenleistung?“

      „Nichts, ich mache es gerne. Und was die Dinge angeht, die dir angetan wurden, Selina, darüber können wir irgendwann sprechen, wenn du bereit bist. Jetzt geht es darum, dass ihr beide zur Ruhe kommt.“ Er streckte die Hand aus und legte sie ihr auf die Schulter.

      „Ich kann gehen, wann immer ich will?“

      „Natürlich! Du kannst