JOHN ETTER - Stummer Schrei. John Etter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: John Etter
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745083880
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Matratze und ihr war kalt. Ihr Rucksack war nicht da, obwohl sie meinte, dass ihr Entführer ihn auch mitgenommen hatte. Grau verputzte, glatte Wände umgaben sie und nur in einer Ecke war ein Vorhang. Sie stand auf und schlich vorsichtig dorthin. Es war eine Toilette und ein Waschbecken. Das einzige Licht in diesem Verlies kam von einer nackten Glühbirne, die von der niedrigen Decke baumelte. Fenster gab es in diesem Raum keine. Außer der Matratze gab es keine anderen Möbel und die Tür, die sie entdeckte, konnte man nur von außen öffnen.

      Quietschende Schritte auf einer Treppe ließen sie zurück zur Matratze laufen. Doch die Tür öffnete sich, noch bevor sie diese erreicht hatte. Der Mann, der nun eintrat, wirkte auf das Mädchen riesenhaft. Zitternd wich sie zur Wand zurück.

      „Aufs Bett“, knurrte er. Selina schüttelte den Kopf und presste sich noch dichter gegen die kalte Wand.

      „Zum Bett hab ich gesagt! Du hast mir zu gehorchen!“ Er wurde lauter. Doch auch jetzt blieb das Mädchen stehen. Er kam auf sie zu, packte sie am Arm und zerrte sie zu der Matratze.

      „Wenn ich dir etwas befehle, hast du es auch zu tun!“ Mit diesen Worten stieß er sie hinunter. Tränen rannen über ihre Wangen.

      „Hör auf zu flennen!“

      „Ich will nach Hause“, schluchzte sie.

      „Das ist jetzt dein Zuhause. Deine Eltern haben dich an mich verkauft.“ Mit diesen Worten zerrte er an ihrer Kleidung und presste sie hinunter auf die Matratze. Selina weinte leise, doch dieses Mal schien es ihn nicht zu stören.

      Kapitel 4

      Juni 2013. Die geöffnete Bierflasche stand auf der Glasplatte des Couchtisches. John hatte jedoch noch nicht einen Schluck getrunken. Seine Gedanken kreisten um Selinas Worte. Er fragte sich, wer Sie war. Diese Selina wollte vom Mann wissen, wo SIE war. Es musste jemand sein, der dem Mädchen viel bedeutete. Eine Mitgefangene vielleicht. Sein Handy klingelte.

      „Ja, Susanne?“ Er lauschte, was seine Sekretärin über das Gespräch mit dem Klienten zu berichten hatte.

      „Egal, dann zahlt er eben nicht. Kopie vom Auftrag und der Rechnung ans Inkassobüro, wie immer in solchen Fällen. Den kleinen Verlust wegen der Gebühren, das nehme ich in kauf.“ John zündete sich noch eine Zigarette an. Es war die Vierte in den zweiundzwanzig Minuten, seit er sein Haus betreten hatte. Er hatte Alina zum Flughafen gebracht und sie schweren Herzens verabschiedet. Wieder einmal sagte er sich, dass er zu viel rauchte. Doch im Moment war es ihm egal.

      „Ach Susanne, kannst du mal bitte nach vermissten Mädchen suchen. Unsere Verletzte heißt Selina und ich schätze sie so auf sechzehn, siebzehn.“ Sie versprach es ihm. John legte auf und schaltete den Laptop ein. Er erstellte eine neue Datei und tippte langsam, mit vielen Pausen alles, was er bislang erfahren hatte. Eine Seite verwendete er für Fragen, die er Selina stellen wollte, sobald sie mehr Vertrauen zu ihm aufgebaut hatte. John seufzte und griff nun doch nach der Bierflasche. Doch noch bevor er einen Schluck trinken konnte, klingelte sein Handy. Er sah auf das Display. Eine ihm unbekannte Nummer wurde angezeigt. Keine fünf Minuten später verließ er sein Haus.

      Auf dem Parkplatz des Krankenhauses rauchte er noch eine Zigarette, bevor er das Gebäude betrat. Wie so oft wartete er nicht auf den Lift, sondern lief die Treppen hinauf. Vor dem Stationszimmer atmete er noch einmal tief durch. Warum ihn die behandelnde Ärztin sprechen wollte, konnte er sich nicht vorstellen. Schließlich war er nur Privatdetektiv und kein Polizist mehr. Zudem gab es ja auch noch die ärztliche Schweigepflicht. John schüttelte den Kopf, wie um jeden Gedanken zu vertreiben und klopfte.

      „Herr Etter, die Patientin hat mir ihr ausdrückliches Einverständnis gegeben, mit Ihnen zu sprechen. Warum mit Ihnen und nicht mit der Polizei sagte sie nicht.“

      „Das ist auch nicht unbedingt notwendig. Dinge, die für die Ermittlungen relevant sind, bespreche ich mit dem ermittelnden Beamten. Ich war früher selber bei der Polizei.“

      "Ich bin mir nicht sicher, ob die junge Frau damit einverstanden sein wird, doch ich kann Sie verstehen.“

      „Das werde ich mit ihr klären. Aber, worum geht es?“ Er spürte das Kribbeln in seinem Körper, das sich schon früher immer eingestellt hatte, wenn es einen schwierigeren Fall zu lösen gab.

      „Die junge Frau ist in einem schlechten Gesundheitszustand, kein Sonnenlicht über längere Zeit, mangelhafte Ernährung und nur schlecht verheilte Verletzungen. Alles in allem gehe ich davon aus, dass sie seit Jahren eingesperrt war und nicht gut behandelt wurde.“

      „Das dachte ich mir bereits, als ich sie das erste Mal sah. Auf wie alt schätzen Sie Selina, Frau Doktor?“

      „Schwer zu sagen, achtzehn höchstens. Zumindest von ihrem gesundheitlichen Zustand her. Aber deswegen hatte ich Sie nicht hergerufen, das hätte ich Ihnen auch am Telefon berichten können.“

      „Und weswegen sollte ich kommen?“

      „Es geht um etwas, das ich bei der Untersuchung herausgefunden habe.“ Hier stockte die Ärztin. John war es so, als fiele es ihr schwer, über ihre Untersuchungsergebnisse zu sprechen.

      „Es gibt Anzeichen für anhaltenden sexuellen Missbrauch“, flüsterte sie dann endlich. John stockte der Atem.

      „Aber das ist noch nicht alles. Nach meinen Erkenntnissen hat das Mädchen ein Kind geboren. Und das schon vor einigen Jahren. Mindestens drei oder vier.“

      Wenig später stand John vor der Tür zu Selinas Krankenzimmer. Er wusste noch nicht, wie er mit ihr über sein Wissen sprechen konnte. Als er es nicht länger aushielt, klopfte er an. Sofort erklang Selinas matte Stimme.

      „Hallo, ich hatte dir ja versprochen, dass ich noch einmal zurückkomme.“

      „Ich hätte nicht gedacht, dass Sie ihr Versprechen halten.“ Sie zuckte mit den Schultern.

      „Darf ich fragen, warum du die Ärztin mir gegenüber von ihrer Schweigepflicht entbunden hast?“ John setzte sich wieder neben das Bett.

      „Sie wollen doch wissen, was los ist. Sagt das Untersuchungsergebnis nicht alles?“ Sie war beinahe noch abweisender als zuvor.

      „Zum einen sag doch auch du und John zu mir, Selina. Und dann müssen wir uns unterhalten.“

      „Ich will keine Vertraulichkeiten. Und wir brauchen nicht mehr zu sprechen, es ist zu spät.“

      „Ich weiß von deinem Kind, Selina. Wolltest du deswegen von ihm wissen, wo eine bestimmte sie ist. Geht es darum, dass er noch immer deine Tochter in seiner Gewalt hatte, als ihr durch die Stadt gelaufen seid?“ John hatte Mühe, ruhig zu sprechen.

      „Ja, meine Tochter Lea. Sie ist noch in seinem Haus. Seine Schwester ist bei ihr. Was sie meiner Kleinen antun wird, wenn wir nicht zurückkommen …“. Selina konnte nicht mehr weitersprechen, so stark wurde ihr ausgemergelter Körper von Schluchzern geschüttelt. John konnte sich nicht länger zurückhalten. Er setzte sich auf die Bettkante und nahm das Mädchen, das sich aufgesetzt hatte und seine Tochter hätte sein können, in den Arm. Und obwohl sie ihn zuerst abwehren wollte, schien ihr die freundliche Geste doch gutzutun.

      Lange brauchte sie, um sich zu beruhigen.

      „Jetzt erzähl mir alles, was dir einfällt. Wie lange warst du bei ihm?“

      „Viel zu lange. Mehr will ich dazu nicht sagen.“

      „Wie alt ist Lea?“

      „Vor drei Tagen fünf geworden.“

      „Und wie alt bist du?“

      „Heute ist mein Geburtstag.“

      „Dann meinen Glückwunsch, du hast die Freiheit geschenkt bekommen.“

      „Freiheit. Aber ohne Lea!“, wisperte sie, schon wieder den Tränen nahe.

      „Sag mir doch, wie alt du heute geworden bist.“

      „Zwanzig!“ Damit hatte John jetzt nicht gerechnet. Schließlich