Aus dem Off. Ruliac Ulterior. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ruliac Ulterior
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752904697
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Meine Bewegungen im Wasser werden allmählich flüssiger und effizienter. Das Knie ist noch weit von einer Heilung entfernt, aber es fühlt sich nach dem Schwimmen jedes Mal für eine ganze Weile besser an als davor.

      Laufen, schwimmen, einkaufen, das alles spielt sich für mich nun in einer Art Schutzblase am westlichen Rand der Stadt ab. Alle meine regelmäßigen Ziele könnte ich zu Fuß erreichen, mit Ausnahme nur der Selbsthilfegruppe. Ich webe mich in meinem Kokon ein. Es wird sich zeigen, wer oder was am Ende daraus schlüpfen wird. Eigentlich habe ich darüber ziemlich genaue Vorstellungen, aber mein altes Leben ist so verdammt klebrig! Und auch dieser Entwicklungsschritt ist bloß eine weitere Zwischenstufe.

      Freitag, 9. März 2007, 18 Uhr 41

       Endlich habe ich mich dazu überwunden, die Schrägbank aus dem Keller heraufzuholen und zusammenzubauen. Wann ich sie benutzen werde, das weiß ich allerdings noch nicht. Das Training mit ihr ist eben doch nicht das Gleiche wie mit den Geräten im Studio. Aber solange ich weiter laufe und schwimme, werde ich mich bezüglich des Hanteltrainings nicht unter Druck setzen müssen, denke ich.

      Sonntag, 18. März 2007, 13 Uhr 39

       Ich befürchte, wohl doch akzeptieren zu müssen, kein Gemüse essen zu können. Der Internist meinte damals zwar, ich könnte, doch in den Selbsthilfeforen zum Thema wird einem das glatte Gegenteil vermittelt. Und mein wundes Hinterteil spricht für sich selbst. Es mutet schon seltsam an, dass ein Internist und Gastroenterologe in Personalunion nicht um die Risiken von Gemüse bei einer Fruchtzuckerunverträglichkeit weiß. Zugegeben, auch die im Netz erhältlichen Informationen bezüglich einzelner Gemüsesorten sind keineswegs einheitlich, weswegen ich nun lieber gleich auf sämtliches Gemüse verzichten werde. Aber diese absolute Sicherheit, mit der mir mein Arzt die frohe Kunde überbrachte, Gemüse essen zu können, die irritiert mich im Nachhinein sehr. Vor allem, weil er damals einen sehr kompetenten Eindruck auf mich machte, nachdem ich bei ihm endlich einmal eine saubere Diagnose und auch ein ausführliches Gespräch erhalten hatte.

      Dienstag, 20. März 2007, 23 Uhr 24

      In jüngster Zeit fällt es mir zunehmend leichter, mein altes Ich als das eines anderen wahrzunehmen. Ich wollte immer ich selbst werden. Aber ich hätte nicht gedacht, dass man sich dabei derart von sich selbst abspalten und abwenden muss - oder kann. Irgendwie hatte ich im Gegenteil die ganze Zeit über erwartet, dass sich meine vornehmlich durch meine Störung beeinflusste und unreflektierte Zeit irgendwann - ja, ich weiß gar nicht was - in Wohlgefallen auflöst? Zudem hatte ich meine Rückzugstendenzen immer als etwas kontraproduktives wahrgenommen. Sie waren wohl aber stattdessen notwendig.

      Meine Strategie der Fortentwicklung durch Konfrontation mit belastenden Situationen scheint in Teilen fehlerhaft gewesen zu sein. Zeitpunkt und Geschwindigkeit waren wohl falsch gewählt. Doch diese Erkenntnis war nicht anders zu gewinnen gewesen, als eben genau dadurch, diesen Weg eingeschlagen und sich dabei eine blutige Nase geholt zu haben.

      Früher oder später muss ich weg aus meiner Geburtsstadt. Lieber früher als später.

      Montag, 26. März 2007, 20 Uhr 8

      Seit ich kein Gemüse mehr zu mir nehme, haben sich sämtliche durch die Fruchtzuckerunverträglichkeit ausgelösten Beschwerden verflüchtigt. Und sogar meine psychischen Symptome haben sich zumindest gebessert. Die Depressionen und die innere Anspannung führte ich bisher ausschließlich auf meinen Psychoschaden zurück. Wie ich nun durch meine Recherchen im Netz erfuhr, wird in Folge einer Unverträglichkeit gegenüber Fruchtzucker das Eiweiß Tryptophan vermindert aufgenommen. Tryptophan ist der Ausgangsstoff für die Hormone Serotonin und Melatonin. Diese werden also dann bei einer Fruchtzuckerunverträglichkeit nicht in ausreichender Menge vom Organismus erzeugt. Jetzt wird mir einiges klar. Und es reichte wohl einfach nicht, dass ich unter einem frühkindlichen Trauma leide. Nein, zusätzlich durfte ich mich auch noch mit einem hormonellen Mangelzustand herumschlagen. Hoffentlich bleibt das alles jetzt so stabil. Ein Jahr Durchfallfreiheit muss ich hinkriegen, dann könnte es überstanden sein.

      Kapitel III - Sommerhalbjahr 2007

      Montag, 2. April 2007, 12 Uhr 55

       Mein Tag begann mit einer ausgeprägten Darmsymptomatik, und das nicht zum ersten Mal seit meinem letzten Eintrag, der doch so hoffnungsvoll war. Ich weiß nicht, wo das plötzlich wieder herkommt. Weiterhin habe ich den Fruchtzucker gemieden und zudem ernähre ich mich neuerdings möglichst fettarm. Außerdem wurde ich beim Internisten mit Ausnahme des Fruchtzuckers auf alles Mögliche mit negativem Ergebnis getestet: Laktose, Gluten, Allergien - nichts! Und nachdem ich angeblich Gemüse hätte vertragen sollen, weiß ich auch nicht, was ich mit dem Mann noch zu bereden hätte.

      Die Selbsthilfegruppe übermorgen werde ich mir schenken, zum wiederholten Male. Ich bin derzeit einfach zu aggressiv. Und für die Probleme der anderen dort habe ich gerade kein Ohr, fürchte ich.

      Mittwoch, 11. April 2007, 21 Uhr 17

      Es will einfach nicht mehr besser werden mit den Verdauungsproblemen. Ich habe mich jetzt zu extremeren Maßnahmen entschlossen. Die einzigen Zeiträume, in denen ich während der letzten Jahre verlässlich durchfallfrei war, waren jene, in denen ich eine ketogene Diät einhielt, bestehend nur aus Eiweiß und Fett. Durch Zufall hatte ich irgendwann festgestellt, dass nicht nur die Durchfälle, sondern auch die Fettstühle verschwanden, wenn ich einige Tage lang keine Kohlenhydrate zu mir nahm. Die Menge des aufgenommen Fettes spielte dabei keinerlei Rolle. Der Internist hatte die Fettstühle auf eine verminderte Funktionsfähigkeit meiner Bauchspeicheldrüse zurückgeführt, für die er wiederum den durch mein Borderline-Syndrom ausgelösten Dauerstress als Ursache ansah. Meinen Einwand, dass ich unter der oben beschriebenen Diät keine Probleme mit der Fettverdauung hätte, hatte er gekonnt ignoriert.

      Sich kohlenhydratfrei zu ernähren, bringt einige Vorteile mit sich. Weil kein Insulin ausgeschüttet wird, verspürt man weniger Hunger. Somit eignet sich diese Ernährungsweise hervorragend zum Abspecken. Unter Bodybuildern ist sie als anabole Diät bekannt, unter der ein größerer Muskelzuwachs zu verzeichnen ist. Es dauert allerdings eine Weile, bis der Körper sich von der Kohlenhydrat- auf die Fettverwertung umgestellt hat. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit und die seelische Verfassung. Außerdem muss man anfangs eine längere Phase der Verstopfung über sich ergehen lassen. Die Bezeichnung ketogen rührt übrigens daher, dass das Fett in einen Glucose-Ersatz, die Ketone, umgewandelt werden muss, um verwertet werden zu können.

       Doch leider endeten solche Keto-Diäten bei mir bisher jedes Mal mit Muskelkrämpfen, wenn auch erst nach ein bis zwei Wochen. Selbst die Einnahme von Magnesiumtabletten half dagegen nicht. Aber bis diese Muskelkrämpfe kommen, werde ich meinem Darm immerhin ein wenig Ruhe verschaffen können. Ab morgen werde ich also täglich zwei Dosen erhitzten Thunfisch mit zerlaufenem Käse darauf zu mir nehmen. Mehr ist finanziell nicht drin. Eine ketogene Lebensweise ist verdammt teuer. Man muss dabei einen Haufen Geld ausgeben, um auf seine zweitausend Kalorien am Tag zu kommen. Aber ich will ja sowieso auch abnehmen.

      Freitag, 13. April 2007, 12 Uhr 21

       Nach nur einem Tag mit ausschließlich Thunfisch und etwas Käse als Nahrung habe ich diesen heroischen Selbstversuch beendet. Bei der psychischen Belastung, die derzeit auf mich einhämmert, ist so etwas nicht zu realisieren. Um eine Keto-Diät werde ich jedoch letztlich nicht herumkommen. Ich liege deutlich über meinem Wohlfühlgewicht. Seit letztem Herbst nahm ich immer mal wieder einige Kilo ab, doch haben sich diese Erfolge nicht halten oder gar fortführen lassen. Zudem baue ich körperlich immer mehr ab. Immerhin kann ich aber inzwischen auf den Entzündungshemmer für meine Kniegelenke verzichten. Das habe ich soeben erleichtert zur Kenntnis genommen. Vielleicht besteht doch noch Grund zur Hoffnung.

      Die Borderline-Foren ertrage ich nicht mehr. Aber eine