Aus dem Off. Ruliac Ulterior. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ruliac Ulterior
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752904697
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sehr darauf, Selina wieder zu begegnen. Und darüber hinaus wird es mir bestimmt mal gut tun, eine Weile lang etwas anderes zu sehen.

      Auf gehts!

      Sonntag, 2. September 2007, 20 Uhr 32

      Die Zeit bei Selina in Tirol war eine echte Bereicherung für mich. Es ist eine unglaublich schöne Gegend, in der sie wohnt. Und Selina ist eine tolle Gastgeberin.

      Nun habe ich auch ihren Freund Martin kennengelernt. Er bestreitet seinen Lebensunterhalt zwar mit einer eigenen Autowerkstatt, hat jedoch auch einen Hochschulabschluss in Psychologie. Es mangelte uns dreien somit nicht an Gesprächsstoff.

      Am Abend meiner Ankunft grillten wir in Selinas Garten und während der darauf folgenden Woche unternahmen wir einige gemeinsame Autotouren durchs Umland sowie nach Innsbruck. Ich nahm zahlreiche Inspirationen und Eindrücke nach Hause mit.

      Die Erholung hat sich jedoch nicht lange gehalten. Es ist wie nach dem Forentreffen in Berlin. Der Abgrund öffnet sich wieder. Nach solch einem schönen Erlebnis voller Gemeinsamkeit und menschlicher Wärme spüre ich meine Isolation stets besonders stark. Erneut ertappe ich mich dabei, sinnlos herumzusitzen und in die Gegend zu starren. Ich muss weg aus dieser verschissenen Stadt, um meine Einsamkeit zu durchbrechen. Jedoch befürchte ich, dass mir genau diese Einsamkeit und Isolation zuvor den Rest gegeben haben wird. Wenn all das nur endlich ein Ende nehmen würde! Ein plötzlicher Herztod im Schlaf, den wünsche ich mir.

      Donnerstag, 6. September 2007, 19 Uhr 12

      Die Entwöhnung vom Zucker fällt mir mehr als schwer. Von Kindheit an trank ich nur Säfte und Limonaden, niemals Wasser. Erst im Rahmen meiner ersten Erfahrungen mit einer kohlenhydratlosen Ernährung stieg ich auf Wasser um. Lange musste ich würgen, wenn ich Wasser trank, derart fixiert war ich auf zuckerhaltige Getränke. Heute stille ich meinen Durst fast nur noch mit Wasser. Aber manchmal brauche ich einfach etwas Süßes! Da böte sich am ehesten Obst an. Das kann ich jedoch in der Übergangsphase, bis sich meine Verdauung wieder reguliert hat, nicht essen. Jetzt hängt alles davon ab, ob ich es schaffe, vom Zucker loszukommen und wie lange es dauert, bis sich meine Verdauung so weit regeneriert hat, dass sie wieder etwas mehr belastet werden kann.

       Montag, 24. September 2007, 22 Uhr 10

      Bis letzte Woche Donnerstag war es Stück für Stück bergab gegangen mit mir. Ich hatte keine Hoffnung mehr, in absehbarer Zeit diese verfickte Stadt zu verlassen. Ein Leben ohne Perspektive, ohne Hoffnung. Doch an jenem Donnerstag geschah etwas Unfassbares.

      Kurz nach meiner Rückkehr aus Österreich hatte mir Selina per E-Mail berichtet, dass Martin ebenso wie ich zu der Einschätzung gelangt sei, dass ich schleunigst aus Aachen heraus muss. Und am genannten Donnerstag kündigte Martin an, mir zweitausend Euro zu leihen, damit ich den Umzug nach Berlin realisieren kann. Ich soll dieses Darlehen im Laufe der nächsten Jahre mit Hilfstätigkeiten in seiner Werkstatt abarbeiten. Und heute ist das Geld tatsächlich auf meinem Konto eingegangen.

      Das ist ein echtes, gottverdammtes Wunder! Dass es so einen Menschen überhaupt gibt! Dass mir jemand so viel Vertrauen entgegenbringt! Anfangs reagierte ich darauf mit einem schlechten Gewissen. Doch der schwarze Abgrund, auf den ich zuvor in Zeitlupe, aber dennoch unweigerlich zugeschlittert war, zerstreute diese Bedenken schließlich. Vielleicht ist es an der Zeit für mich, das Annehmen zu üben.

       Heute habe ich ein Einschreiben an meinen Vermieter abgeschickt, mit dem ich meine Wohnung kündige. Ende Dezember werde ich sie räumen, mit einem gemieteten Lieferwagen die Nacht über nach Berlin fahren und meinen Hausrat bei einer Einlagerungsfirma unterbringen. Dann begebe mich dort in Berlin auf die Suche nach einer Wohnung. Schlafen werde ich wohl in einer Jugendherberge.

      Meine Schwester Franka hat diese Phase, in der ich ab Januar ohne richtigen Ruhe- und Rückzugsraum als Sozialphobiker im winterlichen Berlin eine Bleibe suchen werde, in einem Telefongespräch mit mir als eine voraussichtlich «spannende Zeit» umschrieben. Da dürfte sie Recht haben. Franka wird mir bei all dem nicht helfen können, sie lebt in Bochum. Petra wird jedoch netterweise in Berlin bis zu meiner Ankunft Wohnungen für mich besichtigen, falls ich im Netz fündig werde und sie bei ihr in der Nähe liegen.

      Ich erblühe gerade innerlich.

      Kapitel IV - Winterhalbjahr 2007/2008

      Montag, 1. Oktober 2007, 19 Uhr 2

      Derzeit entwickle ich ungeahnte Energien. Statt sogar meine Minimalpläne von einem Tag auf den nächsten zu verschieben, erledige ich neuerdings Dinge, die für einen späteren Zeitpunkt angedacht waren. Jeden Tag bereite ich zum Beispiel meinen Exodus ein wenig vor, indem ich Hausrat ausmiste, sortiere und verpacke.

       Und in der Schwimmhalle war ich heute auch endlich wieder. Die Auszeit seit dem letzten Mal war viel zu lang gewesen. Körperliche Gesundheit, Fitness und das Gefühl, mich körperlich verteidigen zu können, das ist für mich ein Stück Urvertrauen. Ohne das werde ich nicht weiterkommen. Es muss mir gelingen, das Schwimmen nachhaltig in mein Leben zu integrieren - erst recht, nachdem ja zuletzt das Radfahren meinen Kniegelenken nicht gut getan hat. Meine letzten Besorgungen hier in Aachen werde ich alle mit dem Bus oder zu Fuß machen. In Berlin werde ich eh vermutlich alles mit der S-Bahn erledigen.

      Samstag, 13. Oktober 2007, 23 Uhr 11

      Ich habe nun endlich sämtliche Unterlagen für eine Wohnungsbewerbung beisammen: den Wohnberechtigungsschein, die Bescheinigung meines jetzigen Vermieters über meine Mietschuldenfreiheit, und seit dem morgendlichen Gang zu meinem Briefkasten auch meine Schufa-Auskunft. Wie befürchtet, ist die erfolgte Restschuldbefreiung darin aufgeführt. Und entsprechend den gesetzlichen Vorgaben wird das bis Anfang 2011 auch so bleiben.

      Anlässlich der Kalkulation meiner Fixkosten habe ich auch Überlegungen darüber angestellt, wie mein Leben in Berlin verlaufen soll, welche Pläne ich habe. Geradezu reflexhaft kamen mir dabei das Abitur und ein Wiedereinstieg in den Kampfsport in den Sinn. Doch an beidem würde ich derzeit noch scheitern. Anstatt mir ständig neue und hochgesteckte Ziele zu setzen, sollte ich mir eine Weile etwas Selbstfürsorge gönnen. Die Rückzahlung der Schulden und die Erlangung körperlicher Gesundheit, das sind an sich ja schon Ziele, denen man einen gewissen Ehrgeiz nicht absprechen kann.

      Mein altes Problem: Ich sehe zu weit nach vorne und stolpere dabei über die eigenen Füße. Und außerdem ziehe ich mir vorher zu enge Schuhe an, indem ich immer alles schon von vornherein auf Kante kalkuliere. Der Neuanfang in einer anderen Stadt ist ein guter Anlass, mit solchen Traditionen zu brechen.

      Montag, 15. Oktober 2007, 10 Uhr 12

       Über das Internet habe ich eine Wohnung in Berlin aufgespürt. Sie liegt nicht weit entfernt von einem Wald und außerdem in relativer Nachbarschaft von Petra, die diese Wohnung morgen für mich besichtigen und fotografieren wird. Eine Zusage durch die vermietende Wohnungsgesellschaft wäre zum Glück auch dann möglich, wenn ich mir die Wohnung vorher nicht noch persönlich ansehen würde. Mal eben nach Berlin zu fahren wegen eines Besichtigungstermins mit ungewissem Ausgang, das ist für mich nämlich finanziell keinesfalls drin. Einziehen könnte ich im Erfolgsfall schon Anfang Dezember. Das ist zu schön, um wahr zu sein!

       Dienstag, 16. Oktober 2007, 19 Uhr 5

       Petra sah sich die Wohnung für mich an und schoss dabei auch Bilder. Die Wohnung wäre ziemlich genau das Richtige für mich. Ein paar Fragen darüber hätte ich zwar noch gehabt, diese gerieten mir jedoch in Vergessenheit im Chaos des heutigen Tages.

      Denn die bei der Wohnungsgesellschaft mochten es kompliziert. Nein, es würde nicht ausreichen, die für meine Bewerbung notwendigen zehn Seiten an Bescheinigungen noch heute in den Briefkasten zu werfen. Nein, diese müssten ihnen sofort per Fax zugeschickt werden. Das Ganze