Aus dem Off. Ruliac Ulterior. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ruliac Ulterior
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752904697
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von Plänen überhaupt irgendeinen Sinn hat. Aber es ist wohl menschlich, dem Chaos des Lebens eine gedankliche Struktur entgegenzusetzen. Und Ziele braucht man einfach. Jedenfalls ich. Sie geben mir Orientierung.

      Wie sehen meine Wünsche und Ziele für 2007 aus? Als Erstes will ich einfach nur gesunde Kniegelenke kriegen. Keine wie immer geartete Wankelmütigkeit darf mich von der Verfolgung dieses Zieles abbringen. Das nächste große Thema für 2007 ist mein Exodus aus diesem verfluchten Kaff, in dem es so häufig regnet. Es ist jedoch wahrlich nicht vor allem das Wetter, das mich zu einem Wohnsitzwechsel treibt, sondern meine hier erlebte Vergangenheit sowie diese klebrige, unerwünschte Art von Vertrautheit, die mir meine Geburtsstadt vermittelt. Wenn ich alte Verhaltensmuster weiter überwinden will, muss ich hier einfach endlich weg. Ein neuer Anfang in einem neuen Umfeld. Keine Personen aus früheren Tagen mehr, keine negativen Assoziationen mehr an jeder Häuserecke. Neue Menschen, eine neue Umgebung. Als zukünftigen Wohnort habe ich Berlin anvisiert. Im Herbst werde ich dort hoffentlich mit der Wohnungssuche beginnen können.

      Das liest sich hier alles immer so kontrolliert und rational! Dabei sieht es in meinem Inneren eigentlich völlig anders aus. Ich bin verzweifelt und ein Stück weit auch verbittert. Die Rationalität ist wohl meine Zuflucht. Vielleicht hat mich vor allem dieser mentale Reflex vor noch Schlimmerem im Leben bewahrt. Meine Pläne und Vorsätze sind mein roter Faden. Ohne sie wäre ich rettungslos verloren.

      Freitag, 12. Januar 2007, 11 Uhr 25

      Ich bin nur noch von Mauern umgeben und sie rücken immer näher. Es schnürt mir förmlich alles die Luft ab: meine Psyche, meine Einsamkeit, meine finanzielle Situation und nun auch noch meine körperliche Verfassung. Seit ich mit dem Kampfsport aufhören musste, geht es psychisch stetig bergab mit mir. Ich hatte mich ein Stück weit selbst gefunden und gerade etwas Hoffnung geschöpft, meine Isolation mit Hilfe eines durch den Sport stabilisierten Ichs durchbrechen zu können. Stattdessen werde ich - zusätzlich zu meiner desolaten seelischen Verfassung - nun auch noch körperlich zum Wrack. Alles, wofür ich in den letzten Jahren gekämpft habe, zerbröselt mir in den Händen.

       Bis zur Wohnungssuche im Herbst muss ich den Dispokredit abbezahlt haben. Und das nur, um diesen Verfügungsrahmen dann für den Umzug erneut ausschöpfen zu können. Ich werde also auch in der nächsten Stadt auf Jahre hinaus gefesselt sein. Denn auch diesen Schuldenberg werde ich dann wieder abhungern müssen. Und danach werde ich zwei weitere Jahre älter sein und einfach nur woanders wohnen, sonst nichts.

      Seit zwei Tagen kann ich endlich wieder auf der rechten Hüfte liegen. Das ist immerhin etwas.

      Samstag, 13. Januar 2007, 12 Uhr 15

      Durch das Niederschreiben von dem allem hier und durch Rückmeldungen darauf aus meinem Hauptforum löste sich in mir ein Knoten. Ich habe einige Entscheidungen getroffen.

      Auf Anraten meines Hausarztes habe ich mir von ihm wegen des Knies Entzündungshemmer verschreiben lassen. Außerdem muss ich meinem Knie mehr Bewegung verschaffen, und zwar schonende. Die Schmerzen, die ich in der Anfangsphase meines Lauftrainings habe, lassen mich nichts Gutes erahnen. Doch seit dem Sturz auf der Brücke im letzten Monat steht für mich fest, dass dieser Winter mein letzter auf dem Rad ist. Als Alternative dazu fällt mir nur das Schwimmen ein.

      Zur nächstgelegenen Schwimmhalle ist es von meiner Wohnung aus nur ein etwa zwanzigminütiger Fußweg. Zudem ist es diejenige Halle, in der ich mich am wohlsten fühle, zumindest im Vergleich zu den anderen in Aachen. Denn ich schwimme in Hallen nicht gerne. Es ekelt mich dort. Außerdem kann ich nicht besonders gut schwimmen. Als Kind war ich zwar eine Weile in einem Schwimmverein, habe daran aber nur unangenehme Erinnerungen. Ich war der Dicke, der stets als Letzter den erlösenden Beckenrand erreichte. Aber vielleicht finde ich doch mit der Zeit noch Geschmack am Schwimmen und werde auch besser darin.

       Meine Pläne für den Umzug nach Berlin werde ich vorläufig auf Eis legen müssen. Mein Einkommen langt einfach nicht für so etwas. Das muss ich endlich akzeptieren.

      Donnerstag, 18. Januar 2007, 19 Uhr 49

       Im Anschluss an mein heutiges Training im Fitness-Studio fuhr ich zur Schwimmhalle, seit Ewigkeiten zum ersten Mal. Eine halbe Stunde lang war ich im Wasser. Nach jeder geschwommenen Bahn sah ich mich genötigt, eine kleine Pause einzulegen - und das, obwohl es in ganz Aachen bloß Bahnen mit einer Länge von nur fünfundzwanzig Metern gibt. Eigentlich hatte ich mich für relativ fit gehalten. Vielleicht waren es die ungewohnten Bewegungsabläufe, die ihren Tribut forderten. Letztlich hat mir das Schwimmen aber gut getan. Ich denke, das ist ein bedeutsamer und richtiger Schritt für mich gewesen.

      Montag, 5. Februar 2007, 22 Uhr 32

      Meine Prioritäten liegen von jetzt an vorläufig auf der Erlangung körperlicher Gesundheit und innerer Ausgeglichenheit.

       Nach meinem Eindruck werde ich allmählich erfolgreicher darin, die quälenden Flashbacks sozialer Peinlichkeiten und ehemaliger eigener Charaktereigenschaften abzublocken. Ich bin der, der ich jetzt bin. Mein Weg liegt vor mir und ich forme mich nun selbst. Lernen kann ich aus dem Blick zurück über meine Schulter nichts mehr. Er ist nur noch destruktiv. Irgendwann muss man ein Tuch über all dieses Elend legen und sich nach vorne wenden. Sonst endet man wie Lots Frau, die zur Salzsäule erstarrt, als sie auf die untergehende Stadt Sodom zurücksieht.

      Doch ganz so einfach ist die Sache leider nicht. Immer wieder tauchen vor meinem inneren Auge und vor allem Ohr all jene auf, denen ich in meinem Leben begegnet bin und bemühen sich darum, mir ihre Sicht der Dinge aufzudrängen oder mir meine angeblichen Schwächen und Fehler vorzuhalten. Und man kann nicht behaupten, dass sie sich dabei respektvoll verhalten würden. Zudem gibt es andere, nicht weniger unangenehme Entitäten, die ich keiner mir bekannten Person zuzuordnen vermag. Glücklicherweise existieren zwar auch positive innere Anteile, die mich stützen und mir positive Rückmeldungen geben. Doch aufgrund der Eindringlichkeit auch ihrer Präsenz beunruhigen diese mich ebenfalls.

      Eine solche Ansammlung von Pseudo-Persönlichkeiten wird oft als das innere Parlament bezeichnet. Ein solches existiert auch innerhalb gesunder Menschen, wenn auch in einer kaum wahrnehmbaren Variante. In meinem Fall gesellen sich zu den bereits genannten Störenfrieden diverse primitive Impulse sowie das sogenannte Über-Ich, dessen gesunde Variante vielleicht auch als das Gewissen bezeichnet werden könnte. In seiner verzerrten, übersteigerten Form stellt es einen feindlichen inneren Pol dar, dessen fortgesetzten Attacken ich täglich ausgesetzt bin. Diese Angriffe können eine seelische Pein auslösen, deren Ausmaß bis an die Grenze zu körperlichem Schmerz heranreicht.

      Auch wegen all dem versuche ich so verzweifelt, wenigstens körperlich gesund zu werden. Denn während des Sports und für eine Weile danach herrscht in meinem Inneren Ruhe.

      Freitag, 16. Februar 2007, 23 Uhr 30

       Soeben habe ich das Kündigungsschreiben für das Fitness-Studio geschrieben und versandfertig gemacht. Es geht nicht mehr. Die einjährige Mindestlaufzeit für den Vertrag ist in sechs Wochen vorüber, und ich kann und will nicht mehr diese ständigen inneren Widerstände überwinden. Jedes Mal, wenn ich wieder in das Studiotraining einsteige, geht es zwar eine Zeitlang gut, aber schließlich werden die psychischen Symptome von Mal zu Mal schlimmer. Und irgendwann kostet es zu viel Kraft. Ich war wohl einfach noch nicht so weit.

      Der Weg sei da, wo die Angst ist, heißt es oft. In seiner Pauschalisierung ist das jedoch ein ziemlich dummer Spruch. Belastende Situationen können ebenso auch retraumatisieren. Ein stabileres Ich kann man unter solchen Bedingungen jedenfalls nicht aufbauen. Mein Problem ist auch nicht mangelnder Mut, sondern dass ich mir immer wieder zu viel aufbürde. Auf diese Weise erhält man vom Leben keine positive Rückmeldung.

      Ich brauche mein Eisentraining. Aber ich habe alles dafür unbedingt Notwendige im Keller stehen.

      Dienstag, 20. Februar 2007, 21 Uhr 45

      Das Schwimmen