Aus dem Off. Ruliac Ulterior. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ruliac Ulterior
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752904697
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Blutdruck zu senken. Und es ist mir im Moment auch einfach alles zu viel.

      Den Gedanken an einen Wegzug aus Aachen schiebe ich vorläufig weit weg. Ich weiß, dass es irgendwann dazu kommen wird, aber jetzt muss ich erst einmal hier mit allem besser klar kommen. Und ich sollte versuchen, das zu genießen, was ich habe. Die Sonnenuntergänge, die ich hier von meinem Balkon mit dieser wundervollen Aussicht erleben darf, die sind fantastisch!

      Donnerstag, 27. Juli 2006, 23 Uhr 57

      Nach langem inneren Ringen begann ich mit dem Hanteltraining zwar, schaffte aber aufgrund des schwülen Wetters nur eine Art Minimalprogramm mit den allerwichtigsten Übungen. Früher oder später werde ich wohl doch wieder in einem Studio trainieren müssen. Das mit der Schrägbank hier zu Hause ist letztlich nur eine Notlösung. Zwar habe ich noch bis zum April des nächsten Jahres bei einer bestimmten Filialkette von Fitness-Studios einen Vertrag laufen, für den ich natürlich monatlich Geld bezahlen muss. Aber ich schaffe es im Moment einfach nicht, dort hinzugehen. Ich breche innerlich regelrecht zusammen, sobald ich einen dieser Läden betrete.

      Jahrelang trainierte ich in solchen Studios. Beim letzten Mal ging es dann schief, als ich über meine Erwerbsunfähigkeit und die Gründe dafür sprach. Vielleicht habe ich deswegen gerade so einen Horror davor, es wieder anzugehen? Aber ich will mir diese Terrain wieder zurückerobern! Vielleicht im Oktober, wenn ich auch wieder mit dem Kampfsport weitermache? Eines nach dem anderen.

      Dienstag, 1. August 2006, 19 Uhr 56

      Eben habe ich wieder die Schrägbank abgebaut, sie sorgfältig verpackt und dann vier Etagen hinunter in den Keller getragen, ebenso wie die Hantelstangen und die dazugehörigen Gewichtscheiben.

      Das Gleiche machte ich bereits Anfang April, als ich den Vertrag für das Training im Fitness-Studio unterschrieb. Aber zwei Monate später schleppte ich alles wieder hinauf in die Wohnung, weil ich mich wegen meiner soziophobischen Attacken dazu entschlossen hatte, doch wieder zu Hause zu trainieren. Und nun habe ich mich für einen weiteren Anlauf im Fitness-Studio entschieden. Vermutlich werde ich übermorgen dorthin gehen.

      Runterschleppen, raufschleppen, runterschleppen. Borderline halt.

      Donnerstag, 3. August 2006, 18 Uhr 53

       Ich war im Studio und zog mein Training durch. Die Entscheidung für das Studio ist richtig gewesen. Doch ich werde darauf achtgeben müssen, meine Aufenthalte unter Menschen zu dosieren, sonst wird der Schuss wieder nach hinten losgehen. Das eigentliche Training tat mir aber unglaublich gut. Als ich aus der Filiale herauskam, brannte mein gesamter Körper wieder auf diese unvergleichlich angenehme Weise. Und die Geräte dort im Studio sind eben wirklich kein Vergleich zu einer einfachen Schrägbank.

      Für heute habe ich genug getan.

      Freitag, 11. August 2006, 15 Uhr 14

      Es sieht so aus, als hätte ich so etwas wie eine neue virtuelle Heimat gefunden. Nach dem Niedergang meines Selbsthilfe-Forums fühlte ich mich lange heimatlos. Meine Gegenstrategie bestand darin, mich in jedem Borderline-Forum anzumelden, dessen ich habhaft werden konnte. Wirklich heimisch wurde ich aber leider nirgends. Zum Glück hat sich dann jedoch der größte Teil der Truppe aus dem alten, zerstörten Forum in einem neu gegründeten zusammengefunden, und dort halte ich mich jetzt auch bevorzugt auf. Doch werde ich in Zukunft nicht mehr nur in einem einzigen Forum aktiv sein, sondern versuchen, mir mehrere Standbeine aufbauen.

      Sonntag, 20. August 2006, 20 Uhr 7

      Heute ist mir wieder bewusst geworden, wie erdrückend im Grunde meine gesamte Situation ist. Meine Ziele sind Herausforderungen, über die andere nur lachen können. Ja, natürlich, wären die in meiner Situation, die würden sich das Höschen einnässen, aber was bringt mir dieses Wissen? Stolz darauf, bis hierhin gekommen zu sein? Das verschafft mir auch keine wirkliche Erleichterung.

       Lebend von einer Erwerbsunfähigkeitsrente, die durch das Sozialamt auf das Existenzminimum aufgestockt wird. Durch die Sozialphobie überwiegend auf die eigenen vier Wände beschränkt. So gut wie keine menschlichen Kontakte. Depressionen, und dabei gleichzeitig vor Energie fast platzend. Selbstabwertende Persönlichkeitsanteile, deren höhnisches Lachen mir durch den Schädel hallt. Jeden Tag. Jahr für Jahr. Eine Existenz ohne Leben.

      Es stellt sich die grundsätzliche Frage, warum ich weiter derart viel Energie in die Verbesserung meiner Lebensumstände stecken soll, wenn dies aufgrund der harten Fakten nicht nachhaltig zu erreichen ist. Mittlerweile wünsche ich mir, mit dem Kämpfen aufhören zu können, wieder im süßlich sedierenden Kiffersumpf zu versinken. Aber ich kann nicht anders, als zu kämpfen. Und das Kiffen ist auch einfach zu teuer.

      Dienstag, 5. September 2006, 23 Uhr 25

      Während der vergangenen Tage habe ich das Betriebssystem meines Laptops neu installiert. Im Vorfeld dessen musste ich die Festplatte aufräumen und Backups machen. Eine solche Grundinstallation eines Computers einschließlich aller Nachwehen nimmt jedes Mal mehrere Tage in Anspruch. Eine unproduktive und ermüdende Tätigkeit. Manchmal frage ich mich, ob der Computer mir wirklich als Werkzeug und Arbeitshilfe dient oder ob es stattdessen Sinn meiner eigenen Existenz ist, ihn wieder und wieder zum Laufen zu bringen und ihn zu pflegen.

      Seit einigen Monaten schwanke ich nun zwischen zwei beruflichen Identitäten. Da wäre zum einen das Schreiben eines Drehbuches, zum anderen das Programmieren. Und wie üblich, kann ich es mit dem Bauch nicht entscheiden, drehe mich im Kreise. Fest steht, dass ich mich zwar mein ganzes Leben schon mit dem Gedanken trage, etwas zu schreiben, aber faktisch über lange Zeiträume hinweg nahezu täglich bis zu zwölf Stunden am Rechner hockte und programmierte - in meiner Freizeit! Wäre ich nicht an die Computer geraten, wäre ich vielleicht Autor geworden. Aber wäre die Katze ein Pferd, dann könnte man damit die Bäume hinaufreiten.

      Als Programmierer kann man direkt sehen und objektiv beurteilen, ob man eine Aufgabe erfolgreich bewältigt hat. Syntaktische Programmfehler zeigt einem der Computer an und logische Fehler machen sich durch ein nicht wunschgemäß arbeitendes Programm bemerkbar. Beim Verfassen einer Filmszene erfolgt keine derartige Rückmeldung. Hier bin ich alleine auf meine eigene Urteilskraft angewiesen.

      Meine bisherigen Ansätze, ein Drehbuch zu schreiben, kommen mir unbeholfen, hölzern und klischeebeladen vor. Manchmal denke ich, hierbei wieder das Opfer meiner Minderwertigkeitsgefühle zu werden, manchmal aber glaube ich, diesbezüglich einfach eine gesunde Selbsteinschätzung zu haben. Schließlich tippte ich während all der vergangenen Jahre keine Drehbücher, sondern Programme, auch wenn ich im Geiste immer mal wieder an einem bestimmten Plot spann, der mich schon seit meiner Kindheit begleitet. Zudem sind zum Entwickeln von Dialogen soziale Kompetenzen und Erfahrungen erforderlich, sogar in einem besonders hohen Maß. Ich befürchte, damit kann ich als isolierter Sozialphobiker nicht dienen.

      Dies alles sind sowieso wohl eher hypothetische Überlegungen, angesichts meiner Erwerbsunfähigkeit. Augenblicklich kann es bei beiden Alternativen sowieso nur darum gehen, mir eine sinnvolle Beschäftigung zu verschaffen, damit ich geistig nicht total versumpfe. Langfristig könnte man natürlich die Hoffnung haben, das Drehbuch an einen Produzenten zu verkaufen oder stattdessen mittels autodidaktischen Lernens Anschluss an die technische Entwicklung im Bereich der Programmierung zu finden, um dann eventuell über ein Praktikum wieder ins Berufsleben zu gelangen. Welches dieser beiden Szenarien ist das realistischere? Wahrscheinlich kann ich beide vergessen. Zunächst einmal müsste sich meine psychische Situation verbessern.

      Vorläufig werde ich es dabei belassen, weiter meinen Sport durchzuziehen und viel zu lesen.

      Mittwoch, 6. September 2006, 23 Uhr 26

      Wie immer kostete es mich auch heute viel Überwindung, an der Selbsthilfegruppe teilzunehmen. Aber wie fast immer ging ich dann schließlich doch wieder hin. Das Treffen hat mir gut getan, auch wenn ich jetzt