Aus dem Off. Ruliac Ulterior. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ruliac Ulterior
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752904697
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      Ich bin ein Berliner!

      Nach einer siebenstündigen Nachtfahrt bin ich wohlbehalten in meiner neuen Heimat angekommen. Mein gesamter Hausrat befindet sich nun in der neuen Wohnung. Ich kann das alles immer noch nicht ganz glauben.

      Gerade sitze ich total ausgelutscht bei Petra am Rechner. Wann ich selbst Internet bekommen werde, das weiß ich noch nicht. Mein Antrag bei einem Provider, der Zugänge über das Telefon-Festnetz anbietet, läuft jedenfalls. Und telefonieren kann ich ja immerhin bereits. Eine Festnetz-Flatrate fürs Handy erleichtert vieles. Gleich erledige ich noch ein paar Kleinigkeiten, und dann gehe ich erst einmal richtig schlafen.

      Montag, 3. Dezember 2007, 18 Uhr 28

      Der heutige Tag hätte durchaus besser verlaufen können.

      Das Aachener Sozialamt wird den gesamten für Dezember an mich überwiesenen Betrag von mir zurückfordern, was mich nicht überraschte. Ich hatte dort erst nach meiner Ankunft in Berlin telefonisch meinen Umzug gemeldet und es ist nachvollziehbar, dass man in Aachen nicht für einen in Berlin ansässigen Empfänger zahlen will. Das Amt in Berlin will mir jedoch ebenfalls kein Geld für Dezember bewilligen, weil ich genug für den gesamten Monat auf meinem Konto hatte, als ich in Berlin ankam. Dass ich all das nach Aachen zurücküberweisen muss, spielt hierbei keine Rolle.

      Wenigstens die Rentenzahlung für Dezember kann mir niemand nehmen. Und die Sachbearbeiterin auf dem Berliner Amt stellte nicht nur in Aussicht, mir ab Januar Sozialhilfe zu bewilligen, sondern mir zudem für die Dezembermiete ein zinsloses Darlehen einzuräumen.

      Entgegen der verheißungsvollen Aussage seines Rektors habe ich von dem Kolleg eine Absage erhalten! Wie man mir mitteilte, darf man in der Erwachsenenbildung ein Semester nur ein einziges Mal wiederholen. Und damals in den Achtzigern hatte ich in Würselen das erste Semester zwei Mal erfolglos durchlaufen, bevor ich das dortige Kolleg verließ. Nachdem ich nun von dieser Regelung erfahren habe, ist es mir ein Rätsel, warum man mich in Würselen letztes Jahr trotzdem wieder aufgenommen hätte.

      In Aachen wird mir kein BAFöG gezahlt und hier werde ich stattdessen von keinem Kolleg aufgenommen. Doch trotz allem: Hauptsache, ich bin in Berlin.

      Donnerstag, 6. Dezember 2007, 17 Uhr 41

      Heute telefonierte ich per Handy mit dem Rektor des Kollegs, Herrn Theiss-Schmitz. Ich könne einen Härtefallantrag stellen, allerdings habe dieser nur geringe Aussicht auf Erfolg. Außerdem müsse ich dafür eine weitere Bescheinigung von meinem Aachener Hausarzt einholen, diesmal über meine krankheitsbedingten Beeinträchtigungen während meiner Zeit auf dem Würselener Kolleg. Und aufgrund der Dauer eines solchen Verfahrens könnte ich erst im Januar 2009 mit der Schule beginnen - wenn überhaupt.

      Ein Jahr später anfangen zu müssen, damit alleine hätte ich leben können. Doch alle übrigen Aspekte dieser Angelegenheit ließen mir die Haare zu Berge stehen. Verdammt, zwanzig Jahre sind vergangen seit meiner Zeit auf dem Würselener Kolleg! Damals stand ja sogar die Mauer noch!

      So verhielt ich mich während des Telefonats mit Herrn Theiss-Schmitz trotz dessen unbestreitbaren Engagements relativ bestimmend und ein wenig missmutig. Hätte ich damals eine Bank überfallen, hielt ich ihm vor, dann wäre das inzwischen schon längst verjährt. Aber so ist Deutschland. Sitzenbleiben und Mord sind nicht verjährungsfähig.

      Dienstag, 11. Dezember 2007, 12 Uhr 30

      Nach wie vor kann ich in meiner neuen Wohnung noch nirgendwo sitzen außer auf dem Bett, und auch Wäsche waschen kann ich immer noch nicht. Seit sechzehn Tagen mache ich von morgens bis abends rum und werde einfach nicht fertig.

      Heute konnte ich endlich meinen Antrag auf Sozialhilfe vervollständigen. Anfang Januar werde ich die erste reguläre Zahlung erhalten. Das Darlehen für die Dezembermiete ist sogar bereits bewilligt worden, auch wenn dessen Auszahlung noch etwas auf sich warten lassen dürfte. Meine neue Sachbearbeiterin scheint eine verständige und freundliche Person zu sein.

      Telefonisch bat ich meinen ehemaligen Aachener Hausarzt um die Zusendung der Bescheinigung für das Kolleg über meine früheren «krankheitsbedingten Beeinträchtigungen». Er nahm daraufhin meine Patientenakte zur Hand und fand darin zahlreiche Krankschreibungen wegen depressiver Zustände und dergleichen vor, die aus dem maßgeblichen Zeitraum stammten. Somit sah er kein Problem darin, meiner Bitte zu entsprechen.

      Auf Anraten von Herrn Theiss-Schmitz formulierte ich meinen Härtefallantrag in Form eines Widerspruchs gegen den Ablehnungsbescheid der Schule. Ich begründete diesen Widerspruch damit, dass ich damals in Würselen bereits durch meine - zu jener Zeit noch nicht diagnostizierte - psychische Behinderung beeinträchtigt gewesen war. Die ärztlichen Bescheinigungen über meine Schulfähigkeit zum jetzigen und meine gesundheitlichen Probleme zum damaligen Zeitpunkt fügte ich bei. Gleich werde ich das alles im Kolleg abgeben. Der Rest ist dann wohl Schicksal.

      Immerhin bin ich in Berlin und komme letztlich doch irgendwie voran mit meinen Angelegenheiten.

      Mittwoch, 19. Dezember 2007, 17 Uhr 32

      Seit fast drei Wochen wohne ich nun schon in Berlin!

      Doch mein designierter Internet-Provider hat sich bisher immer noch nicht gemeldet. Notdürftig behelfe ich mir, indem ich die Terminals der nächstgelegenen Filiale der öffentlichen Bibliothek benutze, so wie auch jetzt gerade. Aber auf Dauer ist so etwas natürlich kein Zustand. Und außerdem hänge ich an meinem Job als Moderator im Forum, den könnte ich auf diese Weise nicht mehr weitermachen.

      Nach wie vor habe ich auch noch keinen Bescheid vom Berliner Sozialamt erhalten. Die ausstehende Miete für diesen Monat habe ich somit immer noch nicht begleichen können. Und vom Kolleg kommt ebenfalls nichts.

       Den öffentlichen Nahverkehr kann ich mir nicht leisten, zumindest bis auf Weiteres. Oft habe ich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen! Das Einzige, das mich davon abhält, in die Wutschiene abzugleiten, ist die Tatsache, dass es immerhin besser ist, in Berlin gefesselt zu sein als in Aachen. Normalerweise hätte ich noch mehrere Jahre warten müssen, um überhaupt nach hier kommen zu können.

      Jetzt sitze ich also offline in einer Köpenicker Wohnung mit Mietzahlungsrückstand und warte auf Post. Frohe Weihnachten, verdammt!

      Donnerstag, 27. Dezember 2007, 14 Uhr 49

      Vorgestern, am ersten Weihnachtstag, lief ich zum ersten Mal meine neue Standardstrecke. Vier Wochen ist es her gewesen, dass ich in Aachen zuletzt gelaufen war. Die neue Strecke hat eine Länge von etwas mehr als acht Kilometern. Sie verläuft fast vollständig durch ein Waldgebiet, dazu noch zu großen Teilen entlang des Ufers der Spree und des Müggelsees. Und das Wetter war zudem total schön.

      Wie ich ein paar Tage vorher von einem Spaziergänger erfahren hatte, sollte man den Wald bei Dämmerung meiden, da man sonst riskiert, von einem Wildschwein attackiert zu werden. Laut dem Lokalfernsehen ist hier im Ortsteil letztens bei dem Versuch, einem über die Straße laufenden Wildschwein auszuweichen, ein Bus von der Fahrbahn abgekommen und umgekippt. Und mit so einer Wildsau, die ihren Nachwuchs beschützt, oder einem aggressiven Keiler ist echt nicht zu spaßen, glaube ich.

      Heute erhielt ich auf dem Amt meinen Sozialhilfebescheid und die erste Zahlung, Letzteres ausnahmsweise in Bar, um einen beschleunigten Ablauf zu ermöglichen. Mir ist wirklich ein Stein vom Herzen gefallen. Die Miete für Dezember zahlte ich dann sofort persönlich bei der Wohnungsgesellschaft ein. Jetzt fühle ich mich hier in Berlin schon ein gutes Stück weit angekommen.

      Selina und Martin wollen mich mit Selinas Sohn über Silvester besuchen. Am Sonntag kommen sie an. Ich freue mich darauf.

      Freitag, 4. Januar 2008, 18 Uhr 49

      Die Drei aus Tirol waren hier und es war sehr schön.

      Am Müggelsee fütterten