Aus dem Off. Ruliac Ulterior. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ruliac Ulterior
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752904697
Скачать книгу
zu kämpfen!

      Freitag, 1. Februar 2008, 15 Uhr 41

      Am heutigen Morgen kauften Petra und ich mit ihrem Auto Lebensmittel ein. Im Supermarkt konnte sie zum ersten Mal die Symptomatik meiner Erythrophobie besichtigen. Jetzt wird sie mich zumindest nicht mehr damit zutexten, dass ich eigentlich gar keine Sozialphobie mehr hätte.

      Derzeit werde ich von Tag zu Tag instabiler und angespannter. Die fehlende Struktur und die ganzen Ungewissheiten machen sich zunehmend bemerkbar.

      Doch immerhin verfüge ich seit heute endlich über eine gültige Fahrkarte für das Netz des öffentlichen Berliner Nahverkehrs.

      Sonntag, 3. Februar 2008, 15 Uhr 20

      Die ganzen Eindrücke, die ich in letzter Zeit von Berlin habe, kann ich im Moment noch nicht wirklich zusammenfassen. Es kommt mir immer noch alles unwirklich vor und manchmal habe ich diffuse Ängste, irgendwer oder irgendwas würde mich wieder nach Aachen zurückzwingen. Entsprechende nächtliche Albträume in dieser Richtung hatte ich auch bereits. Ich kann mein Glück wohl einfach noch nicht ganz glauben.

      Gestern war ich in der Kreuzberger Filiale einer Handelskette für Elektroartikel, um mich nach preisgünstigen Tintenpatronen für meinen Drucker umzusehen. Beim Rausgehen hatte ich einen psychischen Absturz, als ich mit einer Verkäuferin zu tun hatte, die mir eine Barriere öffnen musste, da es keinen Ausgang für Kunden gibt, die nichts gekauft haben und an den Kassen riesige Schlangen waren. Als ich dann mit hochrotem Kopf auf die Straße hinaustrat, war ich erstmal wieder für eine Weile außer Gefecht gesetzt.

      Montag, 4. Februar 2008, 15 Uhr 24

       Zum ersten Mal seit einem Jahr war ich wieder im Fitness-Studio. Spontan hatte ich doch wieder einen Vertrag unterschrieben. Ursprünglich hatte ich nachts trainieren wollen, weil zu dieser Zeit das Studio am leersten ist. Doch das hätte sich auf die Dauer sogar mit meinem ungewöhnlichen Schlafrhythmus zu sehr geschnitten. Vorläufig versuche ich es weiter mit dem Vormittagstraining, auch wenn der Publikumsandrang heute sogar zu dieser Zeit ziemlich grenzwertig war.

      Mittwoch, 6. Februar 2008, 16 Uhr 6

       Auf ein Schreiben meines Providers warte ich nun nicht mehr. Am späten Vormittag des heutigen Tages habe ich in einem Internetshop hier in der Nähe einen Auftrag für WiMAX Funk-DSL unterschrieben. Bereits am frühen Nachmittag wurde ich auf dem Handy angerufen, um einen Installationstermin mit mir zu vereinbaren. Morgen Nachmittag kommt ein Techniker, prüft die Empfangsmöglichkeiten in meiner Wohnung und installiert bei einem positiven Ergebnis direkt die erforderliche Hardware. So schnell kann das gehen, Ihr verdammten Vollpfosten!

      Donnerstag, 7. Februar 2008, 15 Uhr 25

      Ich bin wieder online! Endlich! Nur etwa dreißig Stunden nach Unterzeichnung meines Auftrags surfe ich nun von meinem heimischen Schreibtisch aus durch das Internet. Jetzt bin ich wirklich angekommen in Berlin!

      Freitag, 8. Februar 2008, 23 Uhr 27

      Soeben bin ich von einem Treffen meiner neuen Selbsthilfegruppe zurückgekehrt. Diesmal ist es keine Gruppe für Borderliner, sondern eine für Sozialphobiker.

      Ich kam schon etwas vorbelastet dort an. Der Raum, in dem die Treffen stattfinden, liegt im Stadtteil Prenzlauer Berg. Das ist nicht gerade um die Ecke. In der U-Bahn hatte ich zwei Mal derselben Frau auf die Füße getreten und im Gebäude des Selbsthilfezentrums musste ich doch tatsächlich nach der Selbsthilfegruppe für Sozialphobiker fragen - als Sozialphobiker. Es grenzt an ein Wunder, dass man mich akustisch überhaupt verstehen konnte.

      Es kamen mehr als ein Dutzend Leute, die ausnahmslos alle nach mir eintrafen. Am schlimmsten war die Wartezeit bis zum eigentlichen Beginn der Sitzung. Einige wenige, deren Blicke sich gegenseitig auswichen. Schweigen. Unangenehm. Nachher gings aber dann. Wie üblich sprudelte es geradezu aus mir heraus, als ich die ersten Hemmungen überwunden - oder besser: ignoriert - hatte. Im späteren Verlauf nahm ich mich dann wieder zurück, und das, obwohl es einige lange Schweigephasen gab. Die Runde dauerte zwei Stunden und die ganze Zeit über stand ich unter Hochspannung. Ein paar Konflikte gab es auch. Ich glaube, bereits jemanden ausgemacht zu haben, mit dem ich besser zukünftig sehr behutsam umgehen sollte. Aber ich werde dort nächste Woche wieder hingehen.

      Samstag, 9. Februar 2008, 21 Uhr 19

      Nachdem mein letztes Lauftraining vor zehn Tagen zu einem dicken Knie sowie zu tagelangem und schmerzhaftem Humpeln geführt hatte, traute ich mich heute wieder und lief los. Es scheint gutgegangen zu sein.

      Mein Vorhaben, gestern zum zweiten Mal ins Fitness-Studio zu gehen, musste ich allerdings fallen lassen. Ich war beim letzten Mal ein wenig zu ehrgeizig gewesen und kann deswegen erst heute die Arme wieder halbwegs strecken. Auch einer der vorgeschädigten Sehnenansätze am rechten Ellbogen schmerzt etwas. In jungen Jahren übertrieb ich es mit den aufgelegten Gewichten, womit ich mir beidseitige Golf- und Tennisarme einhandelte. Es ist eine der betroffenen Sehnen, die sich nun wieder zurückgemeldet hat. Ab übermorgen müsste aber wieder ein vorsichtiges Training möglich sein.

       Im Internet-Forum der Selbsthilfegruppe erhielt ich die Rückmeldung, mein Auftreten während des Treffens sei «imposant und dominant» gewesen. Dabei war ich nur froh darüber gewesen, endlich wieder mit jemandem über meine Probleme reden zu können. Der Ausdruck «imposant» verstört mich zudem ein wenig. Einen solchen Begriff vermag ich nicht mit meiner Person in Verbindung zu bringen.

       Ich merke immer mehr, dass ich einfach nach Berlin gehöre. Mit jedem Tag fühle ich mich hier wohler. Und jetzt kann ich sogar wieder mögliche Ziele für meine Ausflüge über einen eigenen Netzzugang auskundschaften, in aller Ruhe. Ich bin so zufrieden mit meinem Funk-DSL, das tut schon fast weh. Ich hatte das ja so vermisst, nach Hause zu kommen und gespannt zu sein auf mögliche E-Mails und Forenbeiträge!

      Montag, 11. Februar 2008, 22 Uhr 43

      Das heutige Training im Studio fiel erneut aus. Im Umkleideraum merkte ich, dass ich die Trainingshose zu Hause vergessen hatte. Ich hatte auch nicht den Nerv, ausschließlich deswegen den Weg nach Hause und wieder zurück zu fahren. Außerdem wäre ich dadurch in die Feierabendzeit hineingeraten und ich fand es selbst am Mittag schon relativ voll im Studio. Es hatte mich viel Überwindung gekostet, dort überhaupt hineinzugehen. Mit den allermeisten Leuten da verbindet mich außer dem Training nichts. In solchen Studios fällt es mir besonders schwer, meine Identität aufrecht zu erhalten.

       Ich glaube, die Zeit vor und nach dem Umzug hat mich ausgebrannt. Ich kriege mich zu nichts mehr aufgerafft, bin einfach nur den ganzen Tag müde und antriebslos. Selbst zu so etwas Genussvollem wie einem Wannenbad muss ich mich zwingen.

      Ich weiß noch nicht, ob ich morgen schon wieder einen neuen Anlauf zum Studiotraining machen soll. Vielleicht wollte mir mein Unterbewusstsein etwas damit sagen, als es mich die Trainingshose vergessen ließ.

      Donnerstag, 14. Februar 2008, 0 Uhr 57

      Bisher bin ich immer noch nicht wieder im Fitness-Studio gewesen. Seit meinem Erstbesuch dort sind jetzt zehn Tage vergangen. Die zahlreichen fehlgeschlagenen Wiedereinstiegsversuche während der letzten Jahre haben wohl doch seelische Spuren hinterlassen. Ich frage mich ernsthaft, ob ich diese Art von Training auf Dauer überhaupt noch schaffen kann. Es kostet mich jedes Mal eine unglaubliche Überwindung, überhaupt nur das Gebäude zu betreten. Aber ich will jetzt noch nicht aufgeben. Vielleicht würde ich das tun, wenn ich vertraglich nicht gebunden wäre. Aber unter den gegebenen Umständen werde ich dieses Jahr der Vertragsbindung im Studio trainieren und erst danach eine Entscheidung fällen.

      Samstag, 16. Februar 2008, 9 Uhr 29

       Mittlerweile hat mein