Aus dem Off. Ruliac Ulterior. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ruliac Ulterior
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752904697
Скачать книгу
Monat. Laut Aussage der Verbraucherzentralen geht es bei mehr als der Hälfte aller Problemfälle, die in deren Beratungsstellen zum Thema gemacht werden, um Firmen der Telekommunikations-Branche. Es wunderte mich nicht, das zu lesen. Dafür nutze ich Internet und Telefon schon zu lange.

      Dienstag, 19. Februar 2008, 23 Uhr 58

       Im Studio bin ich immer noch nicht gewesen. Seit zwei Wochen geht das nun schon so. Und heute hat sich die Erkenntnis bei mir durchgesetzt, dass meine inneren Widerstände gegen das Studiotraining sogar noch wachsen. Vielleicht sollte ich das einfach akzeptieren und die Konsequenzen daraus ziehen. Ich weiß es nicht. Was ist eine unüberwindliche Grenze und wann gibt man zu früh auf? Ich sollte mir wohl mehr Zeit geben. Nicht jeder mit so einer Vorgeschichte wie ich kriegt überhaupt seinen Alltag geregelt.

      Der ewig graue Himmel verstärkt meine depressiven Tendenzen. Und die rechteckige Eintönigkeit der Plattenbausiedlung, in der ich wohne, verleiht diesem Effekt eine besondere Tiefe und Nachhaltigkeit. Doch ich werde mir hier irgendwann einen beständigen Lebensrhythmus geschaffen haben. Trotz allem.

      Donnerstag, 21. Februar 2008, 0 Uhr 47

       Ich habe die Kündigung für das Fitness-Studio geschrieben und sie auch bereits am Postschalter abgegeben. Es geht einfach nicht, das habe ich jetzt eingesehen. Mein Kopf sagt mir, dass es unsinnig ist, mir das nun als Versagen vorzuwerfen. Andere Leute haben nicht die geringsten Probleme damit, so etwas aus purer Faulheit zu beenden. Unterschwellig mache ich mir dennoch Vorwürfe. Allerdings weichen sie langsam Gefühlen der Erleichterung und des Befreitseins, auch wenn ich vertraglich dazu verpflichtet bin, noch zehn Monate lang weiter Beiträge zu zahlen. Aber was nicht geht, das geht halt nicht. Und ich habe im Keller eine sorgsam verpackte Schrägbank samt Hantelstangen und Gewichten liegen.

      Die rothaarige Kassiererin im Supermarkt begegnete mir heute zwischen den Regalen und begrüßte mich lächelnd mit einem «Hi!» Na, so etwas! Charlie Brown und sein kleines rothaariges Mädchen.

      Montag, 25. Februar 2008, 22 Uhr 48

       Zum ersten Mal war ich in Berlin schwimmen. Es war ziemlich anstrengend. Denn hier gibt es zum Glück auch Hallenbecken mit einer Länge von fünfzig Metern, und mein letztes Schwimmtraining war etwa drei Monate her. Auf dem letzten Viertel jeder Bahn waren meine Schultermuskeln völlig gefühl- und kraftlos. Nachher konnte ich unter der Dusche kaum die Arme über den Kopf heben. Meine Pumpe schlug auch immer ziemlich heftig, wenn ich nach einer durchschwommenen Bahn den Beckenrand erreichte.

      Aber ich habe mir durch diese Form körperlicher Anstrengung keine schmerzhaften Andenken geholt, so wie es bei meinem Wiedereinstiegsversuch im Fitness-Studio der Fall war. Der Sehnenansatz am rechten Ellbogen schmerzt immer noch etwas, und das nach drei Wochen. Muskelkater werde ich vermutlich bekommen, aber das ist nun wirklich kein Problem. Schwimmen ist nicht gerade mein Lieblingssport, doch es scheint mir für das Knie und überhaupt für den ganzen Bewegungsapparat nichts Gesünderes zu geben. Zwar ist mein derzeitiger Leistungsstand äußerst frustrierend. Doch ich halte mir immer wieder vor Augen, wie jämmerlich auch meine ersten Versuche beim Lauftraining waren.

       Lediglich hundert Meter schaffte ich damals anfangs. Aber ich hörte nach diesen hundert Metern nicht auf, sondern ging stattdessen zunächst hundert Meter im Schritttempo, um dann weitere hundert Meter zu laufen, wieder zu gehen, zu laufen, und so weiter. Als Wolfstrab bezeichnet man diese Art, sich fortzubewegen. Im Laufe der Zeit werden die im Lauftempo zurückgelegten Entfernungen immer größer, bis man schließlich völlig auf die langsameren Anteile verzichten kann. Auf eine ähnliche Weise wird es bei mir auch irgendwann mit dem Schwimmen besser werden.

      Kürzlich stieß ich im Netz auf eine interessante Theorie, nach der wir Menschen in unserer evolutionären Entwicklung eine lange Zeit am Ufer von Gewässern gelebt und aus dem Wasser einen Großteil unserer Nahrung bezogen haben könnten, die sogenannte Wasseraffen-Theorie. Das wäre nicht nur eine Erklärung für die menschliche Affinität zum Wasser, sondern auch für die Form unserer Nase, die im Gegensatz zu den offen liegenden Riechorganen sämtlicher menschenähnlicher Primaten ein Untertauchen des Kopfes zulässt. Auch die rudimentären Schwimmhautansätze zwischen unseren Fingern gibt es bei Affen nicht. Ich finde, es ist eine hilfreiche Motivation, einem verkümmerten natürlichen Anteil von sich wieder den ihm zustehenden Platz zurückerobern zu können.

      Dienstag, 4. März 2008, 21 Uhr 10

      Beim Blick in den Spiegel ist mir wieder aufgefallen, dass ich gewichtsmäßig dringend etwas unternehmen muss. Auch meine fortwährende Müdigkeit und Antriebslosigkeit scheint mit meiner Ernährung zusammenzuhängen. Bereits seit längerem verstoße ich ungezügelt gegen meine neuen Ernährungsprinzipien, was mein Darm mir nicht gerade dankt. Auch die damit im Zusammenhang stehenden Muskelkrämpfe sind wieder zurückgekehrt.

      Mein Leben hätte sich, was meine körperlichen Beschwerden betrifft, wohl bereits verändert, wenn ich mich von meinen eingeschliffenen Ernährungsgewohnheiten hätte befreien können.

       Dienstag, 18. März 2008, 22 Uhr 36

       Ich habe die Konsequenzen aus der fortbestehenden Nichtbenutzung meines Fahrrades gezogen und es verkauft. Vor etwas mehr als einer Woche gelang es mir im zweiten Anlauf, es über eine Internetauktion abzustoßen, wenn auch zu einem niedrigeren Verkaufspreis, als ich mir erhofft hatte. Die in Bar erhaltene Summe stellte lediglich einen Tropfen auf den heißen Stein meiner finanziellen Nöte dar, was aber auch bei dem ursprünglich erwarteten Erlös der Fall gewesen wäre.

      Meine Hosen werden immer enger. Neuerdings muss ich den Knopf über dem Reißverschluss geöffnet lassen. Dadurch, dass ich meine Oberteile sowieso immer über den Hosenbund herabhängen lasse, kann man das aber zumindest nicht sehen. Bereits seit Wochen traue mich nicht mehr auf die Waage. Normalerweise wiege ich mich jeden Morgen.

       Auch die Symptome der Sozialphobie werden momentan wieder schlimmer. Fast kein Einkauf mehr in einem Supermarkt ohne einen roten Kopf an der Kasse zu bekommen, so auch heute - inklusive der darauf folgenden endlosen inneren Wiederaufbereitung. Und jeder dieser peinlichen Momente wird mich mein gesamtes Leben lang verfolgen, immer wieder als Flashback über mich hereinbrechen. Es hat sich diesbezüglich einiges angesammelt im Laufe der Jahre. Auf dem Weg zurück in meine Wohnung war ich im Fahrstuhl versucht, mich unter den Attacken meines Über-Ichs auf den Boden fallen zu lassen und mich dort zu krümmen.

      Samstag, 29. März 2008, 20 Uhr 3

      Gestern nahm ich wieder an der Selbsthilfegruppe teil. Das ist für mich immer wieder auch eine Art von Therapie. Unter anderem sprachen wir über als unangenehmen empfundenes Schweigen. Auch bei diesem Treffen gab es mehr als genügend Anlass dazu, dieses Thema ausführlicher zu erörtern. Mir ist dabei bewusst geworden, dass meine erste Erinnerung an dieses Gefühl aus der Zeit stammt, in der mich meine Mutter morgens zum Kindergarten gebracht hatte. Dabei hatten wir so gut wie nie ein Wort miteinander gewechselt. Dieses dumpfe innere Druckgefühl hatte ich auch gestern Abend, als es öfter längere Zeit ruhig war. Die Theorien, warum man das Gefühl hat, bei einer längeren Gesprächspause etwas sagen zu müssen, waren recht vielfältig. Vom Wunsch, Kontrolle auszuüben bis hin zum Sich-schuldig-Fühlen und dazu, vermeintlich Verantwortung übernehmen zu müssen. Emotional fühlt es sich für mich jedenfalls genau so an wie damals auf dem morgendlichen Weg in den Kindergarten. Eine interessante Erkenntnis für mich.

      Zum Ende hin thematisierte ich Erinnerungen von mir, die wohl entstanden sind, als ich sieben Jahre alt war, und welche von meinem ehemaligen Therapeuten als wahnhaft eingestuft worden waren. Ich hütete mich zwar davor, sie vor der Gruppe detailliert zu offenbaren. Doch mit irgendjemandem musste ich endlich mal wieder darüber sprechen. Und so erörterten wir zwar nicht die konkreten Inhalte dieser Erinnerungen, aber alles, was mit ihnen im Zusammenhang steht. Mein eigenes Verhältnis zu ihnen, mein Verhältnis zur Realität im Allgemeinen, meine Unfähigkeit, mich unter anderem wegen der Wahnschublade, in die mich mein Therapeut gesteckt hatte,