Rayan - Im Auge des Sturms. Indira Jackson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Indira Jackson
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738038460
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doch eher „normal“ und keineswegs so opulent wie dieses Gebäude. Und auch bei ihren vielen Stunden in der Wüste hatten seine Männer Rayan zwar immer mit Respekt und Verehrung behandelt, aber er hatte keineswegs auf irgendwelchen Luxus bestanden.

      Nun aber diese schönen, in zarte Gewänder gehüllten Frauen zu sehen, wie sie ihm in diesem königlichen Raum ehrfurchtsvoll dienten, das war in gewisser Hinsicht ein Augenöffner. Zum ersten Mal überhaupt nahm sie Rayan wahr, wie zum Beispiel Jassim ihn sah. Und ihr wurde klar, wieso der Leibwächter seit der Abfuhr, die sie seinem Scheich in München erteilt hatte, kein Wort mehr mit ihr gesprochen hatte. Wenn sie sich trafen, ignorierte er sie oder schaute sie derart verächtlich an, dass Carina inzwischen einen Bogen um ihn machte.

      In welcher Welt hatte sie vorher eigentlich gelebt? Nun war ihr umso deutlicher klar, wieso sie sich immer wieder in Rayans Gegenwart so befangen fühlte. Auf einmal hatte sie Verständnis für seinen Stolz und schämte sich ein wenig, dass sie ihn immer derart herausgefordert hatte. Wer war sie, sich so etwas herauszunehmen? Musste sie nicht froh sein, wenn sie dieser Mann überhaupt eines Blickes würdigte? Er könnte statt ihrer eine Prinzessin haben. „Oder mehrere“, fügte sie ironisch hinzu.

      Inzwischen hatten die Dienerinnen die Ölung beendet und kleideten Rayan an.

      Er stand nach wie vor still und Carina wurde an eine dieser Steinstatuen der alten römischen Könige erinnert, die sie in Rom bewundert hatte. Ihr Mund war trocken und sie wagte kaum zu atmen. Schlagartig fühlte sie sich erneut wie ein Eindringling, der hier nichts zu suchen hatte.

      Doch zurück konnte sie nun auch nicht mehr. Also wartete sie, bis die Frauen ihre Aufgaben beendet hatten und sich zurückzogen. Jede von ihnen verneigte sich einzeln tief vor Rayan, wobei sie ihm die Hand küssten.

      Mit stolzer Miene und völlig unbeweglich ließ Rayan es geschehen. Rückwärts zogen sie sich dann geräuschlos zurück und verschwanden durch eine Tür am anderen Ende des Raumes. Erst dann kam Bewegung in ihn, indem er sich umwandte und in Richtung des Ausgangs kam, durch den Carina den Saal betreten hatte.

      Sie nahm all ihren Mut zusammen und trat aus dem Schatten der Säule.

      November 2005 - Alessia - Nachdrückliche Überzeugung

      Es war zwei Wochen später, dass Taib auf dem Nachhauseweg eine unerwartete Begegnung hatte.

      Als er das Haus erreichte, in dem er wohnte, packte ihn völlig unerwartet ein muskulöser Arm von hinten und drückte ihm die Luft ab. „Wenn es nach mir ginge, würde ich dir jetzt das Genick brechen für deine Respektlosigkeiten!“, hörte er eine hasserfüllte Stimme direkt an seinem Ohr.

      Als vor seinen Augen bereits Sterne tanzten, ließ der Druck so schnell nach, wie er gekommen war und er wurde nach vorne gegen die Hauswand geschleudert. Hilflos knallte er gegen den Stein und benötigte einige Sekunden, sich wieder aufzurappeln.

      Mühsam drehte er sich um. Hinter ihm stand Ibrahim und funkelte ihn bösartig an. Er war von oben bis unten in die schwarzen Gewänder der Tarmanen gekleidet, seine Augen glühten wie dunkle Kohlen.

      „Was willst du?“, brachte Taib mühsam hervor. Er konnte nicht leugnen, dass ihm die ganze Erscheinung Ibrahims großen Respekt einflößte. Ihm war klar, dass sein Leben keinen Cent mehr wert war, sollte sich dieser entschließen, ihn zu töten. Er hätte keine Chance gehabt.

      Trotzdem reckte er trotzig sein Gesicht nach vorne: „Schickt dich dein Herr, um mich zu töten?“ Ibrahim lachte leise. Es war ein derart kalter Laut, dass Taib ein Schauer den Rücken hinunterlief. „Wenn ich dich hätte töten wollen, wärst du jetzt schon bei Allah“, war die Antwort. „Ich hab ihm gesagt, dass ich dich langsam und qualvoll erledige, aber er hat gesagt, ich soll nur mit dir reden. Also? Gehen wir in deine Wohnung?“ Es war weniger eine Frage, als eine Aufforderung und Taib sah keinen Ausweg, als seinen abendlichen Besucher mit hinauf in sein Ein-Zimmer-Apartment zu nehmen.

      „Was ist dein Problem? Warum machst du dir einen Spaß daraus, meinen Herrn permanent zu beleidigen?“, fuhr Ibrahim ihn an, als sie sich im Wohnzimmer einander gegenüber hingesetzt hatten. In seinen eigenen vier Wänden, mit entsprechender Beleuchtung gelang es Taib schließlich, sein heftig schlagendes Herz wieder unter Kontrolle zu bekommen.

      Einigermaßen ruhig antwortete er: „Es ist nicht meine Absicht, deinen Herrn zu beleidigen. Trotzdem nehme ich nicht einfach ein Angebot an, wenn ich die Bedingungen nicht kenne. Ich will mein eigener Herr bleiben und nicht in irgendwelche Abhängigkeiten geraten …“

      „Rayan sagte schon, dass du ein misstrauischer Mensch bist … aber ob du es glaubst oder nicht, es gibt tatsächlich keine Verpflichtungen für dich. Er wollte dir lediglich helfen.“

      Taib schüttelte ungläubig den Kopf: „Tut mir leid, aber das glaube ich nicht. Warum sollte er das tun?“

      Mehr zu sich selbst antwortete Ibrahim: „Das frage ich mich auch! Ich hab ihm die ganze Zeit erzählt, dass das eine wirklich blöde Idee von ihm ist. Wenn es nach mir ginge, hätte ich dir schon in der Wüste den Garaus gemacht. Aber offenbar hat er an dir einen Narren gefressen. Was weiß ich, was für ein Wahnsinn ihn befallen hat …“ Nun war es Ibrahim, der den Kopf schüttelte.

      „Was denn, wie redest du denn von deinem Herrn? Lässt er dich nicht auspeitschen für derart respektlose Worte?“, entfuhr es Taib sarkastisch.

      Ibrahim wurde wieder wütend und presste mühsam beherrscht hervor: „Was weißt du überhaupt über Rayan? Du maßt dir schon die ganze Zeit an, dir über ihn ein Urteil zu bilden. Dabei kennst du ihn noch nicht einmal.“

      „Ja schon gut. Ich habe von Leila schon gehört, dass er ein selbstloser Retter ist. Und ich bin ihm auch dankbar, dass ihr gekommen seid, um mich da rauszuholen. Wer weiß, wo ich sonst jetzt wäre …“, Taib hielt einen Moment lang nachdenklich inne.

      Dann fuhr er fort: „Ich habe ihm ja schon geschrieben, dass es mir leidtut, dass ich ihn beleidigt habe, vor allem vor seinen Leuten. Das war nicht richtig von mir. Aber deshalb muss ich ihm ja nun nicht vertrauen, oder? In meinem Leben auf der Straße habe ich eben viel zu viele von diesen reichen Säcken kennengelernt, die noch nicht einen Tag in ihrem Leben hungern mussten.“

      Ibrahim lachte an dieser Stelle wieder sein unangenehmes Lachen, das mehr klirrendem Eis glich, doch Taib ließ sich nicht beeindrucken und fuhr fort: „Als ich gehört habe, wie ihr beide Euch damals im Lager über meine Verwundung unterhalten habt, wie viel Glück ich gehabt habe, dass nur wenige Narben zurückblieben, es tut mir leid, aber da hat sich bei mir so viel Verachtung angestaut …“

      Nun schaute Ibrahim ihn aufmerksam an: „Warum? Was war falsch daran?“

      Taib lachte verächtlich: „Ach komm‘ schon! Als ob einer von Euch schon jemals auch nur einen Tag lang derartige Schmerzen erlitten hat, wie ich! Ihr ‚hohe Herren‘ teilt doch nur aus! Wir ‚kleinen Leute‘ müssen ...“

      Weiter kam er nicht. Ibrahim hatte ihn mit einer derartigen Geschwindigkeit angesprungen, dass er den Angriff nicht hatte kommen sehen. Brutal packte er ihn mit einer Hand an der Kehle. Wutverzerrt brachte er sein Antlitz ganz dicht an das von Taib. Er stieß ihm seine Worte förmlich ins Gesicht: „Du hältst jetzt besser deinen Mund, bevor ich ihn dir für immer schließe! Denn du redest hier gerade schlecht von einem Mann, der durch die Hölle gegangen ist! Willst du wissen, was Schmerzen sind? Wenn dich dein eigener Vater zu Tode peitschen lässt! Du jammerst über deine paar Striemen auf dem Rücken? Dann solltest du seinen mal sehen! Zwölf Jahre lang hat er als Verräter, als Mann ohne Heimat, Freunde oder Familie gelebt. Immer in der Angst, jemand könnte ihn erkennen und hinrichten. Nein, Taib! Du bist jetzt still, denn du hast keine Ahnung, worüber du sprichst!“

      Unvermittelt ließ er von ihm ab und stand auf. „Ach was soll’s. Ich verschwinde jetzt“, und er war schon auf halbem Weg zur Tür, als Taib sich mit schmerzendem Hals aufgerappelt hatte.

      „Ibrahim! Warte – bitte! Es tut mir leid - das wusste ich nicht! Geh‘ nicht.“

      Rayans Leibwächter