Zwerge florierte. Getreide, Fleisch, Lederwaren und Schmiedearbeiten
verließen die Hochmark im Tausch gegen Klarstein, feine Stoffe und andere
Dinge, die das Leben angenehm machten.
Am Ostrand der Stadt Eternas, entlang des Flusses Eten, befanden sich
Schmieden, Färbereien, Gerbereien und sonstige Handwerksbetriebe. Aus
dem Reich Alnoa waren drei Dampfmaschinen gebracht worden, deren
Stöhnen und Stampfen am Tag zu hören war und deren Kolben und Riemen
inzwischen viele Werkzeuge antrieben. Nedeam mochte diese Maschinen
nicht. Denn wenn sie die Produktion auch erhöhten, so nahm doch die
Qualität der Waren ab. Wenn es um ein treffliches Schwert und eine gute
Rüstung ging, war die Hand des Meisters noch immer unübertroffen.
Nedeam trat dicht an das Fenster heran und legte eine Hand an den
Rahmen. Noch zu Garodems Zeiten war dies eine schlichte Maueröffnung
gewesen, die man zum Schutz gegen Kälte und schlechtes Wetter mit dicken
Stoffvorhängen verschlossen hatte. Nun schimmerte hier Klarstein aus dem
Reich Alnoa im hölzernen Rahmen und bot ungehinderte Sicht. Nedeam hatte
sich erst an die Neuerung gewöhnen müssen, die sich nun überall ausbreitete,
und sich direkt nach dem Einbau sogar die Nase an dem unsichtbaren
Vorhang gestoßen. Noch immer perlte Llaranas Lachen über das
Missgeschick in seinen Ohren, doch aus dem Spott war ein langer Kuss
geworden, und so dachte er mit einem wohligen Schauer daran zurück.
Die Hohe Dame Larwyn sah den Ersten Schwertmann von der Seite an.
Zum ersten Mal war er ihr als zwölfjähriger Knabe begegnet. Damals hatte er
seine Mutter, die von Orks verletzt worden war, nach Eternas gebracht.
Seitdem hatte Nedeams Gesicht an Kontur gewonnen. Wind und Wetter
hatten ihre Spuren darauf hinterlassen. Aus dem Jungen von einst war ein
Mann geworden, der viel Verantwortung auf den Schultern trug. Nedeam war
daran gereift. Eine solche Entwicklung hätten sich Larwyn und ihr Gemahl
auch für Garwin erhofft. Hatten sie und der Pferdefürst den Launen ihres
Sohnes zu oft nachgegeben? Warum hielt Garwin so wenig von den alten
Traditionen? Warum machte er dem grünen Umhang so wenig Ehre? Larwyn
seufzte leise und blickte zur Stadt hinüber.
»Garwin ist mit einer kleinen Schar draußen«, sagte Nedeam in die Stille.
»Er durchstreift die Mark.«
»Ja, er reitet oft hinaus«, stimmte Larwyn zu.
Der junge Pferdefürst war häufig in der Hochmark unterwegs und schien
sich nur wenig um die Angelegenheiten der Festung Eternas und ihrer
Schwertmänner zu kümmern. Nedeam war dies nur recht, auch wenn er ihn
manchmal gerne besser im Auge behalten hätte. Was die Führung der
Schwertmänner anging, so brauchte Nedeam inzwischen kaum noch den Rat
des alten Tasmund. Als er den schlichten grünen Umhang der Pferdelords
gegen den blau gesäumten eines Schwertmannes tauschte, da hatte er sich an
manche Besonderheit gewöhnen müssen. Die einfachen Pferdelords waren
Männer, die ihren Berufen nachgingen und einmal im Jahr zur Wehrübung
nach Eternas kamen. Sie rüsteten sich selber aus und nahmen als Waffen oft,
was ihnen auch im täglichen Leben von Nutzen war. Der Bogen des Jägers
oder die Axt, mit der sich Holz ebenso gut wie ein Orkschädel spalten ließ.
Die typische Stoßlanze des Reitervolkes hatte jedoch außerhalb des Kampfes
keinen praktischen Nutzen und wurde daher aus der Waffenkammer des
Pferdefürsten gestellt. Die Wehrübungen dienten dazu, den Umgang mit der
Lanze zu trainieren und den einfachen Pferdelords die Manöver in einem
geordneten Beritt zu vermitteln. Im Gegensatz zu diesen Kämpfern waren die
Schwertmänner Berufssoldaten, die das ganze Jahr unter Waffen standen und
dem Herrn der Mark als ständige Wache dienten. Die Ansprüche an sie waren
weitaus höher. Sie lernten, wie man Knie an Knie die engen Formationen ritt
und mit dem Schwert umging. Sie waren es, die in der Schlacht als Erste auf
den Feind prallten und unter denen es auch die ersten Opfer gab. Die
Schwertmänner waren stolz auf ihren blauen Saum und die blauen
Rosshaarschweife an ihren Helmen. Nedeam war nun einer von ihnen und
zugleich weit mehr als das. Als Erster Schwertmann zeichnete er für ihre
Ausbildung und Versorgung verantwortlich und führte sie in der Schlacht,
wenn der Pferdefürst diese Ehre nicht selbst beanspruchte.
Nedeam trug ebenfalls Harnisch und Handschuhe der Schwertmänner, und
doch gab es ein Detail, in dem er sich deutlich von ihnen allen unterschied.
Statt dem geraden Schwert des Pferdevolkes führte er eine leicht gekrümmte
elfische Klinge. Ein Geschenk von Jalan-olud-Deshay, dem Ersten des
Hauses Deshay. Vor Jahren hatten die Pferdelords den Elfen gegen die Orks
und Grauen Zauberer beigestanden, und Nedeam hatte sich dabei besonders
hervorgetan. Nach der Schlacht um Merdonan hatte Jalan ihm sein eigenes
Schwert zum Geschenk gemacht.
Bei diesem Abenteuer hatte Nedeam noch ein weitaus wertvolleres
Geschenk erhalten. Seine Liebe zu Llarana, der Tochter Jalans. Es hatte lange
gedauert, bis die Elfin seine Gefühle erwiderte, doch als sie es endlich tat,
geschah es mit der Bedingungslosigkeit der elfischen Seele.
»Darf ich meinen Ersten Schwertmann etwas fragen?«
Nedeam runzelte überrascht die Stirn. »Herrin, ich …«
»Ich will offen sein, Nedeam, mein Freund.« Sie legte ihm erneut in
vertraulicher Geste die Hand auf den Arm. »Ihr dürft niemals vergessen, wer
Ihr seid. Ich meine damit nicht den Ersten Schwertmann der Mark, sondern
den Menschen und Pferdelord dahinter. Ihr vergrabt Euch zu sehr in die
Arbeit, Nedeam. Nehmt Euch mehr Zeit für Euch selbst und für die
Menschen, die Euch nahestehen.« Larwyn deutete auf den Schreibtisch. »Die
ganze Nacht hindurch habt Ihr über Listen gebrütet und an Eure Pflichten
gedacht.«