menschlicher Körper zu erkennen.
Hauptmann Bernot ta Geos ließ seinen Blick über die Landschaft
schweifen. »Gute Stelle für einen Hinterhalt. Die Hügel stehen dicht
beieinander.« Er strich sich kurz über den schmalen Bart, der bei den
Offizieren der Garde so beliebt war. »Flankenschutz raus«, befahl er. »Ich
will nicht überrascht werden, wenn wir uns da unten umsehen.«
Der Offizier mit den drei Federn am Helm schwieg. Er wusste, dass auf
Bernot Verlass war. Der Hauptmann mochte nicht besonders fantasievoll sein,
doch er verstand sein Handwerk. Während einige der Reiter ausschwärmten
und Vorposten bildeten, hielt sich die Hauptmacht des Beritts auf ihrer
Hügelkuppe bereit. Nur eine Handvoll Männer ritt mit dem Kommandeur zur
Straße. Hauptmann ta Geos blieb bei der Truppe und knirschte vernehmlich
mit den Zähnen. Es gefiel ihm nicht, den Vorgesetzten außerhalb seines
Schutzes zu wissen. Aber wenn die Bestien nun erschienen, musste ein
erfahrener Offizier die übrigen Gardisten führen.
Kurz darauf trabte der Kommandeur zurück, und Bernot ta Geos atmete
erleichtert auf, als sein Vorgesetzter das Pferd neben ihm zügelte. »Und?«
»Wie Ihr es befürchtet habt, mein Freund.« Der Kommandeur deutete
bedauernd über die Schulter zurück. »Drei Männer. Keine Frauen oder
Kinder.«
»Der Lemarier sprach aber auch von Kindern und Frauen.«
»Ich weiß, Bernot. Hoffen wir, dass die Irghil sie nicht verschleppt haben.«
»Lebendfutter.« Der Hauptmann erschauerte bei der Vorstellung.
»Verfluchte Bestien. Mögen die Finsteren Abgründe sie alle verschlingen.«
»Die Spuren sind deutlich und weisen nach Osten«, murmelte der
Kommandeur.
Sie kannten sich schon lange, und Bernot wusste die Nuancen in der
Stimme seines Befehlshabers zu deuten. »Die Spuren sind also zu auffällig?
Eine Falle?«
»Ein Köder.«
Bernot nickte. »Dennoch werden wir ihnen folgen?«
»Dennoch werden wir ihnen folgen.«
Der Hauptmann seufzte leise. »Sollen wir erst die Toten bestatten?«
»Nein.«
»Nein?« Bernot schürzte die Lippen. »Das ist nicht … ehrenhaft. Sie
einfach dort liegen zu lassen.«
»Nein, das ist es nicht, mein Freund.« Die Stimme des Kommandeurs
klang wehmütig. »Doch dies ist Jalanne. Das vergangene Reich. Die Toten
würden es nicht anders wollen.«
Der Hauptmann zögerte einen kurzen Moment. Schließlich nickte er und
gab das Zeichen zum Abritt. Die Spur der Bestien war nicht zu übersehen. Je
weiter die Männer nach Osten trabten, desto weniger gefiel dem Offizier
dieser Umstand. Es war zu einfach. Und immer wenn es einfach begann,
endete es beschwerlich.
Kapitel 2
Der Mann wirkte trotz seiner vierunddreißig Jahre jugendlich, solange man
nicht in seine Augen sah. In ihnen lag der Blick eines Menschen, der in
seinem Leben zu viel Leid und Tod erlebt hatte. In den sanften Ausdruck
mischten sich Trauer und Müdigkeit. Fast die ganze Nacht hatte er über
Büchern verbracht und seine Zeichen auf Schriftrollen gesetzt. Nur eine
Brennsteinlampe hatte etwas Licht und Wärme gespendet, und nun, da der
Mann seine Arbeit getan hatte, seufzte er leise und blickte von seinem
Schreibtisch auf. Er wirkte fast ein wenig überrascht, als er in den Fenstern
den ersten Schimmer des Morgenrots sah. Mechanisch drehte er an der
Stellschraube, die die Abdeckung der Lampe über das Brennbecken senkte,
und der sanfte gelbe Schein erlosch.
Gegenüber dem Schreibtisch war ein leises Knarren zu hören, als sich eine
Gestalt in einem der gepolsterten Lehnstühle bewegte. Ein goldener Stirnreif
mit dem Symbol des Pferdevolkes blitzte auf im Licht des heraufbrechenden
Morgens, und ein ebenmäßiges Antlitz, umrahmt von langen blonden Locken,
wandte sich dem Mann zu. Die Hohe Dame Larwyn, Witwe des Pferdefürsten
Garodem und Mitregentin der Hochmark, war noch immer eine
bemerkenswert schöne Frau. Ihre Augen waren im Schatten verborgen, als sie
Nedeam ansah, und ihre Stimme klang sanft. »Fertig, Hoher Herr?«
Nedeam, Erster Schwertmann der Hochmark und Befehlshaber ihrer
Pferdelords, lächelte müde. »Nennt mich nicht so, Hohe Dame. Es ist mir
lieber, wenn Ihr mich weiterhin mit meinem Namen anredet.«
»Ich nenne Euch weit mehr, Nedeam.« Larwyn beugte sich leicht vor, und
ihr lächelndes Gesicht tauchte nun ganz in das Licht des Morgens. »In den
letzten drei Jahreswenden habt Ihr Euch als guter Freund erwiesen. Ihr steht
mir und der Mark getreu zur Seite. Garodem wäre stolz auf Euch.«
In den letzten Worten schwang Trauer mit. Sie vermisste ihren Gemahl
Garodem und sorgte sich um Garwin, ihren Sohn, der so wenig nach dem
Vater geraten war. Nedeam hatte sich lange gefragt, warum die Hohe Dame
so oft in der Nacht in den Amtsraum des Pferdefürsten kam, obwohl sie nur
selten das Gespräch mit ihm suchte. Inzwischen wusste er es. Der Erste
Schwertmann richtete sich auf und erhob sich hinter dem Schreibtisch.
Nachdenklich strich seine Hand über das alte Holz. Garodems Schreibtisch in
Garodems altem Amtsraum. Alles hier atmete noch immer seine Gegenwart,
obwohl nun offiziell Garwin an diesem Ort regierte. Der junge Pferdefürst
war keineswegs erfreut gewesen, als Larwyn dem Ersten Schwertmann die
Erlaubnis gegeben hatte, den Raum uneingeschränkt zu nutzen.
Zähneknirschend hatte Garwin sich dem Argument seiner Mutter gebeugt,
dass sie sich gelegentlich mit Nedeam besprechen müsse und man ihr
schwerlich