»Ich vermisse den Hohen Lord«, gestand der Erste Schwertmann ein. Es
war klar, dass er damit nicht Garwin meinte. »Es war ein weiter Weg vom
Wolltierzüchter zum Ersten Schwertmann der Mark. Ein beschwerlicher Weg,
und manchmal weiß ich nicht, ob ich nicht besser auf dem Gehöft meines
Vaters geblieben wäre.« Er deutete auf den Schreibtisch. »Das Arbeiten mit
Büchern und das Setzen und Deuten der Zeichen liegen mir nicht besonders.«
»Ihr hattet gute Fürsprecher, Nedeam, und Ihr habt sie immer noch.« Auch
Larwyn erhob sich nun und seufzte leise, als sie sich nach dem langen Sitzen
streckte. »Tasmund, den braven Mann Eurer Mutter Meowyn, Euren
Vorgänger als Ersten Schwertmann. Kormund, den bewährten Scharführer.
Und vergesst nicht Euren Freund Dorkemunt, den kleinen Pferdelord. Sie alle
schlugen Euch vor, und mein Gemahl hat ihnen von Herzen zugestimmt.«
Garodem hatte die Hochmark einst gegründet. Nun war er seit drei Jahren
tot. Nicht ruhmreich in der Schlacht gefallen, sondern auf einer Treppe zu
Tode gestürzt. Ein sinnloses Ende, aber die Menschen des Pferdevolkes
hatten Garodems Tapferkeit immer geachtet und wussten, dass er nun in allen
Ehren zwischen den Goldenen Wolken ritt.
»Ich bin dankbar für dieses Vertrauen, Hohe Dame, und ich weiß, dass die
Versammlung der Schwertmänner meiner Wahl bereitwillig zugestimmt hat.
Doch manchmal glaube ich, dass ich für Euch und die Mark zu einer Last
werde.«
»Ich verstehe.« Larwyn legte ihre Hand sanft an seinen Oberarm. »Ihr
meint den Zwist zwischen Euch und Garwin, nicht wahr?«
Die Mark war an Garodems Sohn übergegangen. Der
Zweiundzwanzigjährige bereitete auch Nedeam große Sorgen. Er war
eigensinnig, arrogant und zudem rechthaberisch. Es war ein weiser Entschluss
des Königs Reyodem gewesen, Larwyn ihrem Sohn an die Seite zu stellen.
Obwohl Garwin Pferdefürst und damit eigentlich der uneingeschränkte
Herrscher der Hochmark war, verfügte seine Mutter über ein Einspruchsrecht.
Und zu Garwins Verdruss machte sie durchaus Gebrauch davon. Nedeam
musste sich eingestehen, dass er seinem neuen Vorgesetzten gegenüber eine
tiefe Abneigung empfand. Jeder Kämpfer des Pferdevolkes mochte seine
Eigenheiten haben, aber ihnen allen war es eine Ehre, den grünen Umhang
der Pferdelords zu tragen. Er war das Symbol ihrer Treue zur Mark und zu
ihrem Fürsten. An Garwin hingegen war nur wenig Ehrenhaftes. Schon als
Siebzehnjähriger hatte er sich geweigert, der bedrängten Hafenstadt
Gendaneris und den zur gleichen Zeit bedrohten Elfen beizustehen. Damals
hätte man es vielleicht noch seiner Unerfahrenheit zuschreiben können, doch
nur zwei Jahre später war Nedeam mit seinen Pferdelords in der Festung
Niyashaar von den Truppen der Mark abgeschnitten worden. Garwin hatte
gezögert einzugreifen, obwohl ein überwältigender Angriff der Orks
bevorstand. Für einen wahren Pferdelord gab es nichts Schändlicheres, als
einen Kameraden oder einen Verbündeten im Stich zu lassen. Doch eben
dieser Makel haftete nun Garwin an. Immerhin konnte man ihm keine
Feigheit vorwerfen. Vielleicht hatte König Reyodem recht darin getan, ihn als
Pferdefürsten zu bestätigen. Garwin mochte sich noch entwickeln und
bewähren.
Doch Nedeam zweifelte daran.
Und auch wenn ihm die Arbeit mit den Schwertmännern Spaß machte, so
vermisste er doch hin und wieder das einfache Leben auf dem Gehöft, die
Gesellschaft Dorkemunts und den Umgang mit Wolltieren und Hornvieh. Aber
er konnte nicht so einfach zurück. Er trug Verantwortung gegenüber der Mark
und der Hohen Dame Larwyn. Er durfte sie nicht Garwins Willkür ausliefern.
Denn was Nedeam niemals für möglich gehalten hätte, war eingetreten.
Garwin hatte Anhänger im Pferdevolk und sogar unter den Schwertmännern
gefunden. Es waren nicht viele, doch Nedeam wusste, dass ein einziger fauler
Apfel einen ganzen Korb verderben konnte.
Für eine Weile herrschte Schweigen im Amtsraum des Pferdefürsten, und
beide Anwesenden ahnten, dass ähnliche Sorgen sie bedrückten. Erneut war
es Larwyn, welche die Stille brach und Nedeam mit einem Seufzen zu einem
der Fenster führte. Es wies nach Süden und bot einen Ausblick über das Tal,
in dem die Burg und die Stadt von Eternas lagen. Die Kuppen der
umliegenden Berge und die Spitzen der Dächer waren in morgendliches Licht
getaucht, und sehr bald würde die Sonne das gesamte Land mit ihrem Glanz
erhellen.
»In den vergangenen drei Jahreswenden hat sich viel getan, Hoher Herr
Nedeam. Das ist auch Euer Verdienst.«
Ja, die Hochmark wandelte sich, vor allem die Stadt Eternas. Aber dies
nicht ausschließlich zu ihrem Vorteil, wie Nedeam meinte. Die Enge der Stadt
empfand er als bedrückend. Und Eternas war wirklich beengt. Vor einem Jahr
hatte Larwyn angeordnet, die Zuwanderung aus den anderen Marken zu
stoppen. Denn das Wachstum des eigenen Volkes war schon groß genug. Dies
bereitete Larwyn Sorgen, und auch Nedeam sah das Problem. Noch war die
Hochmark in der Lage, ihre Bewohner selbst zu ernähren und sogar einen
Überschuss zu erwirtschaften. Aber wenn die Zahl der Menschen weiter
wuchs, würde sie auf Güter aus den anderen Marken angewiesen sein. Diese
grenzten unmittelbar aneinander und waren nicht so leicht zu isolieren. Doch
die Hochmark lag eingebettet in das Gebirge von Noren-Brak. Der Südpass
verband sie mit den unteren Marken, der Nordpass führte zu den Städten der
Zwerge und weiter hinauf in die nördliche Öde und das daran anschließende
Kaltland. Wenn es einem Feind gelang, den Südpass zu blockieren, war die
Mark von der Versorgung von außen abgeschnitten. Eine erschreckende
Vorstellung, und so unterstützte Nedeam das Streben Larwyns nach
Selbstversorgung mit aller Kraft.
Der