Ort und Stelle zerfallen. Niemand hatte sie bestattet, und überall stieß man auf
ausgebleichte Knochen, nur gelegentlich verhüllt von letzten Überresten der
Bekleidung.
»Ja, Bernot, einst war dieser Boden tatsächlich von Blut getränkt.« Der
Reiter neben dem Hauptmann war kleiner und zierlicher, und die drei Federn
sowie der weiße Saum des Umhangs zeigten seinen höheren Rang. Von
seinem Gesicht war unter dem Helm kaum etwas zu erkennen, doch die
Stimme klang ungewöhnlich weich und leicht spöttisch, als er fortfuhr. »Doch
nun ist es guter roter Boden, Bernot. Fruchtbarer Boden.« Die Stimme wurde
nachdenklich. »Das Einzige, was das vergangene Reich Jalanne hinterlassen
hat. Mögen die Finsteren Abgründe den Schwarzen Lord und seine Brut
verschlingen für das, was sie diesem Land angetan haben.«
Hauptmann Bernot ta Geos wandte sich halb im Sattel um und blickte
erneut zurück. Die Federn der Reiter und die Mähnen und Schweife der
Pferde bewegten sich schwach in der warmen Brise, während das Banner des
Königreiches Alnoa schlaff von seiner Lanze hing. »Wir werden zu spät
kommen.«
»Ja, das werden wir«, stimmte der kleinere Offizier zu. »Wie üblich wird
uns nicht mehr bleiben, als Rache an den Irghil zu nehmen. Kein Trost für die
armen Lemarier, doch vielleicht wird es die Bestien von weiteren Überfällen
auf sie abhalten.«
Bernot ta Geos zuckte zweifelnd die Schultern und gab dann das Zeichen
anzureiten. Unter dem leisen Klirren und Scheppern von Rüstungen und
Waffen zog der Beritt weiter. Die Hügel stiegen sanft an, sodass man eine
gute Sicht hatte, und da die Reiter kampfbereit waren, verzichteten sie auf die
übliche Vorhut und den Flankenschutz. Sie kannten den unbarmherzigen
Feind, der noch immer den Tod über dieses scheinbar friedvolle Land brachte.
Jeder Einzelne der Reiter wäre bereit gewesen zu schwören, dass die
schaurigen Kreaturen weit blutrünstiger und gefährlicher waren als die Orks
des Schwarzen Lords. Bestien, denen keine jener Waffen etwas anhaben
konnte, die sich schon so oft gegen die Rund- und Spitzohren der Finsternis
bewährt hatten.
Sie ritten durch fremdes Gebiet einem grausamen Feind entgegen, und sie
taten es nicht ohne Grund.
Tief im Süden Jalannes gab es einen riesigen See, umgeben von
ausgedehnten Wäldern. Inmitten dieses Sees befand sich die Insel Lemar. Ein
kleines, fruchtbares Eiland, auf dem die Letzten der Jalanne Zuflucht
gefunden hatten. Sie wurden nicht gerne an die einstige Größe ihres Reiches
erinnert und nannten sich schlicht Lemarier. Als kleines Volk von friedlichen
Fischern und Händlern fristeten sie ein karges Dasein. Auf Lemar waren sie
vor den Bestien sicher, die immer wieder durch das Land streiften. Nicht
jedoch auf dem Festland, das sie betreten mussten, um ihre Waren zur Grenze
des Reiches Alnoa zu bringen. Der König Alnoas hatte den Lemariern das
Wohnrecht in seinem Reich angeboten und auch den Schutz der Garde, aber
das Inselvolk war ebenso klein wie eigensinnig.
Meist hatten die Lemarier Glück und gelangten unbehelligt zur Pforte von
Alnoa und zurück auf ihre Insel, doch immer wieder kam es zu
Zwischenfällen. Einer dieser Zwischenfälle war der Grund, warum die
Gardekavallerie aus ihrer Festung ausgerückt war. Ein Händler hatte sich mit
letzter Kraft zu dem Stützpunkt geschleppt und vom Überfall der Bestien auf
seine Gruppe berichtet. Wehrlose Männer, Frauen und auch Kinder, die das
Wagnis der Reise auf sich genommen hatten, waren den Bestien zum Opfer
gefallen.
Die Garde konnte den Überfallenen nicht mehr beistehen, und diese
Gewissheit hatte die Reiter in grimmiges Schweigen gesenkt. Dennoch
mussten sie versuchen, die Täter zu stellen. Es war die einzige Hoffnung, die
Irghil für eine Weile abzuschrecken. Eine schwache Hoffnung, denn die
Bestien würden wiederkommen. So, wie sie es immer taten. Und jedes Mal
würde neues Blut fließen.
Die Gardeabteilung ritt parallel zu der alten südlichen Handelsroute. Diese
führte von der alnoischen Stadt Eolaneris zunächst zur Pforte von Alnoa,
einem Einschnitt zwischen Hesparat-Gebirge und großem Wall, der von der
Festung Maratran geschützt wurde, und von dort weiter ins Land Jalanne. Die
Straße war breit und mit steinernen Platten ausgelegt, von denen viele im
Laufe der Jahre zersprungen waren. Gras und Moos wucherten nun zwischen
den Fugen. Dennoch war der Weg gut zu erkennen. Der Beritt war erfahren
genug, um zu wissen, dass der Feind die Straße im Auge behielt. Daher
wechselte er in unregelmäßigen Abständen die Seite. Das erschwerte es den
Irghil, die Soldaten in einen Hinterhalt zu locken, denn die Kampfverbände
der Bestien waren zu klein, um das Gelände weiträumig abzuriegeln. Aber
auch wenn ihnen ein Hinterhalt gelänge, würden sie sich an den
hartgesottenen Reitern der Gardekavallerie die Klauen ausreißen.
»Wir werden die Opfer wieder mitten auf dem Weg finden«, meinte
Hauptmann Bernot ta Geos leise. »Die Lemarier sind stur und unbelehrbar.
Immer laufen sie direkt auf der Straße. Kein Wunder, dass die Irghil stets so
leichtes Spiel mit ihnen haben.«
Der Kommandeur nickte. »Vergesst aber nicht, dass sie fast ihr ganzes
Leben auf der Insel verbringen. Diese armen Fischer können sich auf dem
Land kaum orientieren. Sie würden sich bestimmt verirren, wenn sie abseits
der Straße liefen.«
Bernot gab ein obszönes Geräusch von sich, das seine Meinung über die
Lemarier deutlicher zum Ausdruck brachte als jedes Wort.
»Dort vorne ist etwas«, rief der Bannerträger halblaut.
Die Handelsstraße verlief in einem leichten Bogen