mehr zu erschauen.
10. Die wilden Frauen.
Von F r i e d r i c h B e c k .
Sie kommen hervor aus den felsigen Höh'n
Vom Berge die Frauen, die wilden;
Da hütet die Ziegen ein Knabe so schön;
»O hüt' uns die Schäflein, die milden!«
Sie flehen und locken mit schmeichelndem Wort,
Sie haschen ihn eilig, sie ziehen ihn fort
Am ringsum bebüschten, am schattigen Ort;
Das Kind ist hinweg und entschwunden,
Noch hat es kein Auge gefunden.
Es forschte der Vater; wie schmerzlich dringt
Zum Mutterherzen die Wunde;
Ein Jahr ist vergangen; kein Hirte bringt,
Kein Jäger den Aeltern noch Kunde;
Da gingen sie einstmals im Walde hinan:
»Wer sitzet so säuberlich angethan
Mit dem grünen Röcklein auf schattigem Plan?
Der Knabe, der ist es! O Wonne,
Heut schien uns die glücklichste Sonne!«
Sie rufen ihm freudig, sie rufen ihm laut:
»O eil' in die Arme der Deinen!
Wir haben gesund dich und blühend erschaut,
Den längst wir als Todten beweinen;
Wer gab dir Gewande so zierlich und neu?
Wer pflegte wohl deiner so lieb und treu?
Bekenne nur Alles, verkünd' es uns frei;
Wer immer uns schützte den Knaben,
Wir wollen's ihm danken mit Gaben!«
Sie traten ihm näher, sie priesen ihr Glück,
Das Kind, das betrachtet sie lange,
Es heftet mit Schweigen den staunenden Blick
Auf beide gar furchtsam und bange;
Und als sie ihm reichen zum Gruße die Hand,
Da hat es sich eilend zum Fliehen gewandt,
Hat Vater und Mutter nicht wieder erkannt,
Schon ist es im Dickicht entschwunden,
Kein Aug' hat es wieder gefunden.
Und abermals stiegen von felsigen Höhn
Die Frauen des Berges, die wilden;
Ein Brüderlein hatte der Knabe so schön,
Er war es, auf den sie nun zielten;
Er saß auf dem Rosse, das zog vor dem Pflug,
Den jubelnden Reiter es willig ertrug,
Da gab es wohl Scherze und Lust genug,
Der Vater, er weilte von ferne;
Wie hatt' er sein Söhnlein so gerne!
Und als er die wilden Frauen ersah,
Da kam er zur Rettung geflogen;
Bald war er dem Kinde, dem sträubenden, nah,
Sie hatten's vom Pferde gezogen;
Doch furchtlos schalt er die Frechen aus:
»Gebt meinen Knaben mir schnell heraus,
Was treibt euch so kühn aus dem Felsenhaus?
Schon habt ihr geraubt mir den Einen;
Nicht will ich den Zweiten beweinen!«
Da sahen die wilden Frauen sich um,
Ihr Haar flog nieder im Winde,
Sie standen mit Thränen, sie standen stumm,
Sie ließen die Hand von dem Kinde:
»O wehe, wie wehe ist uns doch gescheh'n!
Wir dürfen dich, Kindlein, nicht wiederseh'n!«
So hörte man klagend zum Walde sie geh'n;
Sie schwanden wie Nebelgedüfte
Auf immer dahin ins Geklüfte.
11. Das Bergmännlein auf der Hochzeit.
Brixener Volksbüchlein a.a.O.
Im Dorfe Glas, eine Stunde vom Untersberge, war
einmal eine Hochzeit. Alles war heiter und lustig. Da
kam auf einmal ein Bergmännlein, das seinen Berg
verlassen hatte, in die Wirthsstube, wo eben getanzt
wurde. Sogleich bat er, auch mittanzen zu dürfen, und
als man es ihm bewilligte, da machte er mit mehreren
Jungfrauen allemal drei Tänze. Er tanzte so zierlich
und schön, daß alle Anwesenden Freude und Lust
fanden, ihm zuzuschauen. Nachdem er getanzt hatte,
schenkte er jeder der Brautpersonen eine kleine
Münze, die vier Kreuzer werth war, und sagte ihnen,
sie sollten sie zu ihrem übrigen Gelde legen, und der
Segen werde ihnen dann gewiß nicht fehlen. Zugleich
gab er ihnen Allen Ermahnungen, sie sollten lustig
und fröhlich sein, aber in Ehren, sie sollten in Frieden
und Eintracht mit einander hausen, und ihre Kinder
christlich und fromm erziehen. Zu den Brautleuten
sprach er, sie sollten nicht hoffärtig werden, und von
dem Ueberflusse, der ihnen werden würde, auch ihren
Nachbarn mittheilen; denn nur dann werde der Segen
und der Reichthum ihnen bleiben. Nach diesen Ermahnungen
blieb er noch bei der Hochzeit, bis es
Nacht ward, trank und aß mit ihnen, aber nur weniges.
Endlich bedankte er sich und verlangte einen
Mann unter den Holzleuten, der ihn über den Fluß
Salzach zu seinem Berg führte. Dazu erbot sich auch
ein Fischer, Namens Johann Ständl, und das Bergmännlein
ging mit ihm an den Fluß zur Ueberfahrt.
Während sie überfuhren, verlangte der Fuhrmann seinen
Lohn, und das Bergmännlein gab ihm in Demuth
drei Pfennige. Dieß verschmähte der Schiffer und beklagte
sich auch darüber, daß es ihm zu wenig sei.
Das Bergmännlein gab ihm aber zur Antwort, er sollte
die drei Pfennige nur behalten; denn er würde dann
an seiner Baarschaft keinen Mangel zu erleiden
haben, wenn er anders seinem Uebermuthe Einhalt
thäte. Zugleich gab das Männlein dem Schiffmann ein
kleines Steinlein, und sprach zu ihm die Worte:
»wenn du dieses an den Hals hängen wirst, so wirst
du nie zu Grunde gehen!« Zuletzt ermahnte er den
Fuhrmann noch zu einem demüthigen Lebenswandel,
und ging schnell, nachdem er ausgestiegen war, von
dannen und dem Berge zu. – Was ihm das Männlein
von der Wunderkraft des Steinleins gesagt hatte, ging
in demselben Jahre noch in Erfüllung; denn es rettete
ihn wirklich vom Ertrinken.