„H2O, ich weiß, je nach Zustand kalt bis heiß“, schnäbelte er Hoo daraufhin freundlich und mit einer gewissen Lässigkeit zu.
„Wie, äh, ihr wisst?“, rief Hoo erstaunt aus. Auf seiner hohen, ansonsten spiegelglatten Stirn zeigte sich die Denkerfalte. Wieso nannte er ihn „H-zwei-o“ und nicht Hoo? Die Antwort des begnadeten Verseschmieds kam verschmitzt und prompt.
„So wahr ich auf dem Ast hier hocke, seh‘ weder Hagelkorn noch Flocke. Ein Tropfen Wasser seid ihr, H2O, jeder Wissenschaftler nennt euch so!“
„Wissenschaftler? Nennen mich H-zwei-o?“, wiederholte Hoo noch mehr irritiert. „Wie, äh, wie darf ich das denn nun versteh‘n?“ Jetzt checkte er gar nichts mehr. Was, bei allen Wässern, meinte Buntspecht Gechtur wohl damit?
Langsam wurde es Gechtur zu bunt. Er fand das komische Frage- und Antwort-Spiel des bläulichen Regentropfens nicht besonders witzig. Wollte der dicke Singletropfen ihn etwa vergackeiern? Birne und Mucks saßen wie aneinandergeschraubt und mucksmäuschenstill auf dem von ihnen angeknabberten Apfelbaumblatt.
So! Ein letztes Mal gebe ich ihm höflich, duldsam und brav belehrend eine Antwort, dachte sich Gechtur. Ohne zu ahnen, wie der mollige Regentropfen auf die Beschreibung seines Eigennamens reagieren würde, half genau diese Erklärung Hoo endlich auf die Sprünge. „Also, H2O, das ist so: Zwei positiv geladene Wasserstoffatome, ein negativ geladenes Sauerstoffatom, so benennt man Wasser im Labor. In der Menschenwelt, so hat mein Eichelhäherfreund dies mir erzählt, kommt die Wassermolekül-Formel – euer Name – wohl recht häufig vor.“
„Mein Name?! Wassermolekül-Formel?!“, rief Hoo ihm zu. Dabei schauten sich die ungleichen Geschöpfe tief in die Augen. Jetzt war ihm klar, dass Gechtur vorher bei seiner Namensnennung nicht richtig hingehorcht zu haben schien. Umgehend sorgte er für Klärung. „Aber, äh, verehrter Specht, mein Name ist nicht H-zwei-o!“ Entschiedenes Kopfschütteln und verneinendes Zeigefingerwackeln begleiteten seine Worte. „Richtig ist, dass ich ein Regentropfen bin, äh, genauer gesagt, ein Regentropfen der etwas größeren Sorte. Von dieser so interessanten, wissenschaftlichen Wasserformel allerdings höre ich heute, so wahr ich hier stehe, zum allerersten Mal!“ Um es noch einmal vernehmlich zu machen, buchstabierte er ihm langsam und deutlich vor: „Hochverehrter Specht, ich heiße Hoo! H – o – o!“
„Hoo, ach so!“, kixte Gechtur. Jetzt hatte er klar verstanden. Nun musste er hellauf lachen. Seinen Schopf schüttelte er so heftig, dass ihm beinahe sein rotes Käppi herabgerutscht wäre. „Oh, pardon! Muss mir wohl meine Ohren putzen. Sei‘s drum, lieber Hoo, woll‘n wir uns bitte duzen?“
Somit löste sich das irrtümliche, durch Gechturs flüchtige Abgelenktheit entstandene Verwirrspiel um Hoos Rufname in Wohlgefallen auf. Die Freundschaft zwischen Hoo und dem Buntspecht war besiegelt. Gechtur erzählte Hoo noch weiteres Wissenswerte über die chemische Verbindung H2O, von der er durch Glandar – so hieß sein Eichelhäherfreund – wusste. Und über Glandar berichtete er, dass dieser unter anderem als Vermittler und tierischer Berater mit einer Natur- und Tierschutz-Organisation der ‚Spezies Mensch‘ zusammenarbeitete.
Birne und Mucks indes zeigten sich glücklich, dass sie ihren Buntspechtfreund zu Besuch hatten. Mit ihm zu plaudern brachte noch zusätzlich ein bisschen Abwechslung in ihr ansonsten eher langweiliges Läuseleben.
„H2O! H2O! NA, SOWAS. SO EINE PHÄNOMENALE ÜBERRASCHUNG! Verblüffende Namensähnlichkeit!“, gurgelte Hoo vor sich hin, als der neue Vogelfreund ihm noch so einiges über H2O erläutert hatte. Sein Name erwies sich also, wenn auch abgeändert, als global bekannt. Ihm blieb jedoch unbegreiflich, wieso er die wissenschaftliche Bezeichnung für reines und destilliertes Wasser vorher noch nie gehört hatte. Seine Tropfenfreunde, die ihm aus einer Spiellaune heraus seinen Namen gegeben hatten, wussten wahrscheinlich auch nichts von einer Wassermolekül-Formel beziehungsweise deren chemischen Existenz als H2O. Höchst verwunderlich mutete es ihn schlichtweg an, dass er nicht einmal in der Wolkenschule darauf aufmerksam gemacht worden war oder zumindest davon erfahren hatte. Niemals war von H2O die Rede gewesen!
Hoo begriff sich endlich als eine universelle Substanz – eine Art kosmisches Bindeglied zwischen Himmel und Erde. Wie jeder andere Regentropfen ist auch er ein Mikrokosmos des Universums, der die ganze Natur widerspiegelt und enthält. Dass er genau genommen dafür geboren worden war, pausenlos Informationen aufzunehmen und auszutauschen, Wissen zu speichern und weiterzugeben, wurde ihm in der Wolkenschule schon recht früh klargemacht. Er, der äußerlich korpulente, doch ansonsten so unscheinbare Regentropfen wies innerlich eine komplexe Struktur und facettenreiche Qualitäten auf, die er selbst noch gar nicht ermessen konnte. War er vielleicht zu etwas Außergewöhnlichem berufen? Er war ja noch so jung und stand erst am Anfang seines Lebens als Wasserwesen. Die neue Erkenntnis gefiel ihm. Er fühlte sich auf einmal reifer, bezeichnenderweise wie ‚Blaues Gold‘, das unschätzbar kostbare Urelement, dem er angehörte. War er nun auf einen Schlag erwachsen geworden?
NACH ALL DIESEN FRISCHEN GEDANKEN, die, nebst Gechturs wiedersehensfreudigem Plausch mit den Blattläusen, gigaschnell durch seinen Kopf gerast waren, hörte er den Buntspecht fragen: „Hoo, kreuz und quer, flieg ich oft hin und her. Mal bin ich da, mal bin ich dort. Wieso bist du, und wie lange schon, hier vor Ort?“
„Ich bin mir da nicht so sicher, wieso ich ausgerechnet in diesem Apfelbaum gelandet bin, lieber Gechtur“, antwortete Hoo ruhig. „Erst gestern Nachmittag bin ich hier angekommen, äh, ich meine, aus dem Wolkenreich gefallen.“
„Ja, so war‘s, Gechtur, genau so war‘s“, rief sogleich Birne mit überschäumender Begeisterung dazwischen. „Hoo ist auch unser Freund. Und ein ganz besonderer obendrein. Stell dir vor, er hat uns heute schon das Leben gerettet!“
„So wie auch du vor einigen Tagen unser wunderbarer Lebensretter gewesen bist, lieber Gechtur“, fügte Mucks dankbar hinzu. „Erinnerst du dich noch an die schrecklich böse Schlupfwespe? Hui, mein lieber Scholli! Das war echt knapp!“
„Oh ja, die Situation war ebenso brenzlig wie vorhin. Und diesmal“, piepste Birne aufgeregt, „wollte uns einer dieser gierigen Siebenpunkt-Marienkäfer an den Kragen!“ Als hätte sie die spektakuläre Rettungsaktion mit eigenen Augen gesehen, erzählte Birne in leicht übertriebener Weise alles, was ihr dazu einfiel, sodass Gechtur schließlich voll im Bilde war.
„Ho, ho, ho, und den habe ich in die Flucht geschlagen“, meldete sich Hoo voller Freude. Dabei klopfte er mit allen Fingern stolz auf seine geschmeidige Brust.
„Donnerwetter! Lebensretter! Himmelstropfen!“, bestaunte Gechtur den riesigen, properen und mutigen Regentropfen. „Freund Hoo, da muss ich gleich 'ne Strophe klopfen.“
Um seiner übermächtigen Freude darüber Ausdruck zu verleihen, und Hoos spontane Hilfeleistung zu würdigen, drehte er schnell seinen Kopf zum Stamm. Mit seinem spitzen Schnabel ratterte er in kurzen, vibrierenden Wirbelattacken ein Loch bis unter die rissige Rinde. „Trrr! Trrr! Trrr! Trrrrrrr!“, dröhnte es.
Die jetzt so nahe und ohrenbetäubend laute Trommelei ging den kleinen Wesen durch Mark und Bein. Sie war so durchdringend, dass Hoos Wasserkörper richtig erzitterte. Sogar auf das angeknabberte Blatt, auf dem Birne und Mucks saßen und sich die Ohren zuhielten, übertrug sich das Zittern. Ähnlich einer Vibromassage, wurden sie hübsch durchgerüttelt.
Nach der leidenschaftlichen Lustlärmerei wetzte Gechtur kurz seinen Schnabel. Anschließend wandte er sich quietschvergnügt wieder den drei unbeabsichtigt durchgeruckelten Freunden zu. Mit einer unerwarteten Einladung erregte er nun ihre höchste Aufmerksamkeit.
„Gigigig, so hört, was ich euch will erzählen! Sagt ja, sagt nein, beliebig könnt ihr wählen.
Hoch hinterm Berg der Vollmond magisch höher steigt, zum Fauna & Flora-Friedensfest, fast jeder Stern sich zeigt.
Zur großen Party