HOO. Siegfried, Hans Hofmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Siegfried, Hans Hofmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750235311
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Geräusch? Ganz in seiner Nähe, eher von unten als von oben, ortete er ein Kratzen, Schaben und Nagen. Oder war es ein Knabbern?

      Neugierig, was das wohl Merkwürdiges sein könnte, wollte er der Sache auf den Grund gehen.

      „Na, dann will ich mal aufstehen“, murmelte er mit munterer Gelassenheit. Doch just in dem Moment, als er seine himmelblauen Augen öffnete und sich, zur ureigenen Tropfenform zusammengezogen, aufrecht hinsetzen wollte, passierte es! Ähnlich wie bei einem Erdbeben, das die Erde spaltet, riss plötzlich das dunkelgrüne Blatt, auf dem er so gut geschlafen hatte, an der Mittelrippe auseinander.

      „Uuaaaahhh, Hiiilfe!“, schrie Hoo erschrocken auf. Er zappelte, rutschte und purzelte rücklings durch den Blattriss. Genau zwischen den beiden Trinkhalmen plumpste er auf die Schale der Apfelsafttankstelle! Durch den wuchtigen Aufprall schwappten sofort kleine Fontänen naturtrüben Apfelsafts aus den Trinkröhrchen in die Höhe. Wie eine morgendliche Schnelldusche ergoss sich die kühle Flüssigkeit über seinen Kopf, Gesicht, Arme, Bauch und Füße. Hoo wurde pitschepatschenass!

      „Himmiwettersapperlotzefixdonnerlujahmileckstambauchscheißblattvarreckts?“ sprudelte eine kuriose Schimpfkanonade aus seinem Mund. Er wunderte sich über sich selbst, dass er so losfluchen konnte. Leicht verärgert wischte er sich mit den Handrücken die klebrige Saftsauerei von Augen, Lippen und Schnorchelpünktchen.

      „Hoo! Hoo!“, tönten zwei piepsende Stimmchen zu ihm hinab. Verdutzt schaute er aus seiner misslichen Lage nach oben.

      „Tut uns leid! Tut uns leid!“, riefen Birne und Mucks betreten. Dabei baumelten sie lockeren Fußes an der Unterseite des von ihnen angeknabberten Blattes. Wie wild fuchtelten sie mit ihren Händchen umher.

      „Meine Güte, Hoo! Ist dir was passiert? Hast du dir wehgetan? Bist du verletzt? Das wollten wir nicht!“, entschuldigte sich Mucks.

      „Ja, ja, ähm, ich meine, nein, nein!“, säuselte Birne aufgeregt. „Wir sind untröstlich. Das wollten wir nicht! Das ist allein unsere Schuld, Hoo. Hach, ist das peinlich!“ Kauend atmete sie kurz durch. „Lieber Hoo, wir waren aufgewacht und hatten mächtigen Hunger. So haben wir, wie es halt unsere Art ist, gleich an Ort und Stelle losgefressen. Wie konnten wir bloß vergessen, dass du auf der Blattoberseite schläfst? Ojemine! Bitte, bitte, nicht böse sein, lieber Hoo. Ähm, tut uns ehrlich leid, ganz lausig leid!“.

      Dann holten beide tief Luft und riefen wie aus einem Munde: „Wir wünschen dir trotzdem einen wunderschönen Guten Morgen!“

      „Ey, was soll das? Ha, ha, ha!“, wetterte Hoo drauf los. „Ihr habt sie wohl nicht alle? Hattet ihr etwa euer Kleinhirn ausgeschaltet?“ Schnaufend hielt er sich an den beiden saftfeuchten Trinkhalmen fest. Mit säuerlicher Miene, doch zum Glück unversehrt, erhob er sich.

      „Auch einen schönen, äh, guten Wundermorgen! Ihr seid mir vielleicht zwei lausige Gedächtniskanonen. Heiliges Bimbam! Einen gewaltigen Schrecken habt ihr mir eingejagt! Ich dachte schon, äh, ich, äh ...?“

      Hoo grummelte leise vor sich hin. Die Blattläuse kauerten auf der eingerissenen Blattunterseite fest aneinander. Nicht den allerkleinsten Laut wagten sie jetzt, nach diesem Malheur, von sich zu geben.

      „Nun, äh, ich hoffe, ihr wollt nicht nur Grünzeug futtern, sondern habt auch ordentlich Durst?“, rief er ihnen triefend vor Saft nach einer Weile zu. „Dann kommt mal schön runter von eurem, äh, Fressplatz und ölt eure Kehlen! Da ihr meinen Schlafplatz ordentlich kaputt geknabbert habt, könnt ihr mir eh gleich Gesellschaft leisten! Allein frühstücken, äh, war noch nie mein Ding!“

      Demonstrativ deutete Hoo mit beiden Zeigefingern auf seine übergossene, pudelnasse Regentropfenhaut. Er betrachtete sich von oben bis unten. Kopfschüttelnd lachte er in sich hinein, dann plötzlich hell auf. Scherzhaft brummelte er: „Ich glaub' es nicht! Ich, äh, glaub' es einfach nicht!“ Nachdem er sich etwas Saft vom Leib gewischt hatte, ging er langsam in die Hocke, war wieder guter Dinge und wartete einfach mal ab.

      Birne und Mucks hatten seine unverblümte Anspielung, ihm Gesellschaft zu leisten, klar verstanden. So freute er sich spitzbübisch, als sie schwuppdiwupp zu ihm hinabhüpften, auf ihn krabbelten und als Wiedergutmachung unverzüglich damit begannen, den Rest des klebrigen Apfelsafts leckermäulig von seinem Körper zu schlecken. Hoo hielt sich dabei mit einer Hand am Blütenstiel fest. Mit der anderen Hand schöpfte er reichlich verspritzten Saft aus der Stängelkuhle, führte sie zum Mund und schlürfte eifrig den süßen Frühstückstrunk.

      „Gar nicht mal schlecht, äh, entzückend!“, meinte Hoo nach einer Weile recht gelassen. „Zuerst hatte ich im wahrsten Sinne des Wortes, äh, einen ‚Durchfall‘. Dann wurde mir unfreiwillig eine saftige Morgendusche zuteil. Und jetzt, äh, werde ich auch noch auf höchst amüsante Weise gereinigt und luftgetrocknet. Freilich muss ich gestehen, dass mir eine, äh, wohltemperierte, nicht zu kalte Wolkenwasserdusche nach einem normalen Frühstück bedeutend lieber gewesen wäre. Versteht ihr das?“

      Ohne ihre Saftsaugsäuberungsbemühungen zu unterbrechen, nickten Birne und Mucks. Belustigt gickelten sie über seine humorigen, geistreichen Äußerungen. Sie waren erleichtert und froh, dass ihr dicker Himmelsfreund so ein gutmütiger Tropfen war und sich beim Herabstürzen durch den von ihnen verschuldeten Blattriss nicht weiter verletzt hatte. Sie krabbelten, leckten und saugten. Hoo genoss seine extraordinäre, morgendliche Spezialbehandlung. Das etwas andere Frühstück, nach diesem abrupten Aufstehen, an diesem sehr ungewöhnlichen Ort, schmeckte vorzüglich. Hoo war ein echter Genusstropfen! Nebenher plauderten sie über alles Mögliche. Ständig dachten Birne und Mucks auch darüber nach, wie ihm, der als wundersames Wasserwesen so plötzlich in ihr Läuseleben geplumpst war, wohl geholfen werden könnte.

      Sein hochgestecktes Ziel, in einen sicherlich weit entfernten, tropischen Ozean und in dessen globales Strömungssystem zu gelangen oder einem Meer zumindest nach und nach näher zu kommen, war eine ungeheure Herausforderung, die er in erster Linie ganz allein an sich selbst stellen musste! Wahrscheinlich erwarteten Hoo große Anstrengungen und untröpfliche Strapazen. Womöglich musste er gefährliche Abenteuer überwinden und immer wieder gegen seine eigene Unsicherheit, ja, seinen inneren Schweinehund ankämpfen. Seinen ehrgeizigen Traum zu verwirklichen, würde viel Mut, Kraft, Entschlossenheit, eine gehörige Portion Glück und vor allem ‚Wasser‘, genauer gesagt, fließende Gewässer erfordern, soviel stand fest.

      Birne und Mucks waren voller Bewunderung für ihren neuen, außergewöhnlichen Freund. Bestimmt würde in ihren winzigen, aber nicht unklugen Köpfchen bald eine hilfreiche Idee reifen, damit Hoo sich zuversichtlich und zeitig, am besten noch heute, auf seine ungewiss lange Reise begeben konnte.

      INZWISCHEN WAR ES TAGHELL GEWORDEN. Sattgelb breitete die höher steigende Sonne ihr strahlendes Licht über das Land aus und erwärmte die jahreszeitlich frische Herbstluft. Hin und wieder krähte ein Hahn seinen Weckruf in den friedlich anmutenden Morgen. Der silberne Klang einer Glocke vom wenig entfernten Turm einer Dorfkirche, läutete zur morgendlichen Andacht. Auch bellte irgendwo ein Hund. Ein Pferd wieherte. Mehrere Saatkrähen flogen krächzend über das Obstbaumwäldchen hinweg. Eine Autohupe ertönte, eine menschliche Stimme schrie, und eine Wagentür knallte. Hoo hörte zudem Kindergelächter und hochtourige Motorengeräusche. Dann, aus nicht allzu weiter Ferne, drang kurzzeitig das gleichmäßig monotone Rattern eines Güterzuges herüber. Von beschaulicher Stille konnte vorübergehend keine Rede mehr sein; die Zivilisation war nahe.

      Das weit verzweigte Geäst des Apfelbaumes und der von der Nacht noch feuchte Wiesengrund waren Lebensraum für allerlei Getier. Es kreucht und fleucht. Vögel und Insekten, Schnecken und Spinnen, alle waren sie auf den Beinen. Farbenprächtige Schmetterlinge flatterten umher. Langbeinige Weberknechte bahnten sich mühsam ihren Weg durch den dichten Pflanzenwuchs. Emsige Bienen und Hummeln brummten in Blütenkelchen, bestäubten Blumen, rüsselten und sammelten Nektar und Pollen. Reife Äpfel und Birnen, heruntergefallen und aufgeplatzt, verströmten ihren süßlichen, fauligen Duft, der Fliegen, Wespen und Hornissen anlockte.

      In der Baumkrone hüpfte eine Schar Spatzen frech umher. Laut und unmusikalisch tschilpten sie um die Wette. Am krummen, gewundenen Stamm kletterte ein eher seltener Apfelbaumgast, ein blaugrau