Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 4: Lucretia L'Incarto. J. H. Praßl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: J. H. Praßl
Издательство: Bookwire
Серия: Chroniken von Chaos und Ordnung
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783862826186
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gleich, was geschehen ist, es ist nicht deine Schuld. Ich bin gegangen, weil ich es nicht ertragen konnte, dass unsere Liebe deinem Pflichtgefühl zum Opfer fiel. ICH war schwach, nicht du, Lucretia.

      Das Schicksal meinte es nicht gut mit uns. Vertrau deinem Urteil und beweise der Welt deine Größe.

      In unsterblicher Liebe,

      dein Stowokor

      Die Hand mit dem Pergament fiel zur Seite. Lucretia sank auf ihr Kissen, rollte sich zusammen und schlang ihre Arme um die Knie. Die Ohnmacht, die sich bleiern auf sie niedersenkte, dämpfte den Schmerz. Doch zurück blieb nichts als gähnende Leere. Es wurde dunkel um sie herum. Sie fühlte, wie sie abdriftete, fortglitt, weit weg von allem, was sie am Morgen noch gewesen war. Der Schlaf kam über sie. Er streckte seine dürren langen Finger nach ihren leeren Gedanken aus und nahm sie mit in die dumpfe, dunkle Ödnis des Nichts. Das Nichts war gut. Das Nichts tilgte den Schmerz. Und wäre da nicht dieses Flüstern, das sie nicht verstand …

      „Bitte“, murmelte sie in das Nichts und spürte, wie sich das Leinen des Polsters zwischen ihre Lippen schob, „bitte helft … mir.“

      Das Flüstern wurde lauter, wurde zu einer hohlen Stimme. Und obgleich sie etwas Tröstliches hatte, zerstörte die Stimme mit jedem Wort ein wenig mehr der Hoffnung, die Lucretia einst eine so starke Verbündete gewesen war.

      Er ist verloren, trieb die Stimme die Hoffnungslosigkeit tief in ihre Seele.

      Er ist verloren.

      Trügerisches Gold

      Es gibt neben der gewussten Erkenntnis eben auch eine gefühlte Gewissheit, und diese wird nie eine Erklärung abgeben. Sie wird dich immer nur wissen lassen, dass etwas richtig oder falsch ist. Das „Warum“ wird sie dir nicht beantworten. Das „Warum“ musst du dir hart erkämpfen. Und erst wenn du am Ende deines Wegs angekommen bist, wirst du sagen können: „Darum.“

      (Aus den privaten Aufzeichnungen von Chara Pasiphae-Opoulos, 350 nGF)

      Die Allianzflotte quälte sich über den tiefblauen Ozean – immer weiter der Weltgrenze entgegen. An der Spitze segelte die Aphrodia-Flotte unter Vizeadmiral Alwin Hjellgard. Danach kamen Flotte Zwei, Marie-Louise, und Vier, die Seeperle-Flotte auf gleicher Höhe. Knapp dahinter und flankiert von Flotte Zwei und Vier segelte die dritte und damit die Kommandoflotte mit ihrem Flaggschiff, der Meerjungfrau. Ihr folgten in größerem Abstand die Horous und die Königin der Meere, bevor die Stern des Nordens, die Meerkatze und die Wellenspalter durch das Wasser glitten. Den Abschluss bildete Flotte Acht, die Morgentau.

      Aschran lag weit hinter ihnen und stetig rückte das Unbekannte näher. Es wurde getuschelt. Einige der Leute schürten die Angst, andere schwangen große Reden. Niemand konnte mehr leugnen, dass die Allianzflotte geradewegs auf den Großen Abgrund zuhielt, jedenfalls, wenn sie den Südkurs beibehielten. Zwar gab es einige besonders verwegene Piraten, die es kaum erwarten konnten, die Weltgrenze mit eigenen Augen zu sehen, doch der Argwohn saß tief bei den meisten Mitgliedern der Expedition und täglich kursierten neue Gerüchte in der Flotte. Allein unter den Gelehrten blieb es ruhig. Die Damen und Herren der Wissenschaft hatten bis jetzt auch nicht viel zu tun gehabt.

      „Die haben doch keine Ahnung, worauf wir uns da zubewegen …“, murrten die Seeleute. „Die wissen nicht viel mehr als wir. Und falls doch, dann sagen sie uns nichts. Machen auf geheimnisvoll. Habt ihr schon das Neueste gehört? Die Flok hat den Magiern gedroht und einen von ihnen umgebracht. Hat mir Sanders verraten. Die im Kommando gehen sich gegenseitig an die Gurgel. Die bringen sich noch um, bevor wir überhaupt unbekanntes Gewässer erreichen.“

      So und so ähnlich ging das Getratsche über die Planken, sprang von Schiff zu Schiff, von Flotte zu Flotte. Tauron ließ sich einmal pro Trideade von den Vizeadmirälen Bericht erstatten, und die holten sich ihre Berichte von den Kapitänen ihrer Flotte. Noch hatte ihn Chara nicht darum gebeten, Einsicht in seine Protokolle nehmen zu dürfen. Sie war im Augenblick mit der Auflösung des Rätsels um den Verräter beschäftigt. Die Interne Sicherheit hielt sich bedeckt. Es war Magus Primus Kasai gewesen, der ihm anvertraut hatte, dass sowohl die Zauberkundigen als auch die Assassinen an der Untersuchung irgendwelcher ominöser Nachrichten arbeiteten, die offenbar über Schattenboten übermittelt worden waren. An wen die Nachrichten gingen oder was ein Schattenbote überhaupt war, darüber hatte man ihn nicht aufgeklärt. Im Grunde konnte er die Arschkriecherei Kasais nicht leiden, aber der Magier bezog ihn wenigstens mit ein und klärte ihn über die Arbeit der Zauberkundigen auf, was man von Chara und den Assassinen nicht behaupten konnte.

      In den letzten Tagen hatte sich ein neues Problem ergeben. Die Zauberkundigen fingen damit an, die Vizeadmiräle auf ihren Schiffen zu überwachen. Und wenn es irgendwo Überwachung hieß, konnte nur Chara dahinterstecken. Erst veranlasste sie eine Überwachung durch die Assassinen, die sie, Lexora sei Dank, wieder eingestellt hatte, und nun versuchte sie es über die Zauberkundigen. Aber da hatte sie sich geschnitten. Eine weitere Überwachung würde er auf keinen Fall dulden.

      So weit, so unerfreulich. Vor drei Tagen hatte Admiral Schroeder die Nachricht geschickt, dass er seinen Begleitschutz nun abbrechen würde. Bis jetzt die beste aller Neuigkeiten.

      Schroeders Bericht fiel recht knapp aus: „Keine Chaosschiffe mehr gesichtet, was nicht bedeutet, dass sie nicht mehr da sind. Heute ziehe ich meine Flotte ab. Danach seid ihr auf euch gestellt. Viel Erfolg.“

      Das waren seine genauen Worte und sie sorgten bei Tauron für ein erleichtertes Aufatmen. So sehr er Schroeder auch respektierte und bewunderte, so sehr war ihm die ständige Gegenwart des berühmten Freibeuters zuwider.

      Kurz nach seiner Nachricht hatten sich Schroeders Schiffe abgesetzt. Nun trieben vierzigtausend Seelen unaufhaltsam jener Sturmwand entgegen, von der Chara und Lucretia ihm berichtet hatten. Eine statische Wand aus Wind, Wolken, Blitzen und Wasser. Wahrscheinlich malten sich die meisten eine tiefe Schlucht aus, in die sich der Ozean wie ein Wasserfall ergoss. Ha!

      Sein eigenes derbes Lachen riss ihn aus seinen Grübeleien. Ein Blick übers Hauptdeck und er stellte fest, dass Siralen aufgetaucht war, um sich ihrem ganz entzückenden Schwerttanz zu widmen. Sie war heute reichlich spät dran, machte ihre Übungen aber um nichts weniger elegant als zu morgendlichem Glas. Die Sonne stand schon tief und konnte sich einer eindrucksvollen Farbpracht rühmen. Blutrot hing sie über dem Wasser, trieb ihre Strahlen auch jetzt noch wärmend über das Deck der Meerjungfrau und hüllte Siralens schlanke Gestalt in ein sanftes Licht. Ihre Schwerter in beiden Händen tanzte die Elfenkriegerin anbetungswürdig über das Hauptdeck – ihre zarten Füße schienen den Boden zu küssen, ganz so wie die einer geschulten Tänzerin in den Bordellen … nur eben viel eleganter.

      Tauron hatte ein, zwei Mal versucht, an sie ranzukommen. Bis jetzt ohne Erfolg. Es war an der Zeit, die Dinge beim Namen zu nennen. Gerade jetzt sah Siralen aus, als könnte sie ein wenig Abwechslung gebrauchen.

      Eine Braut zu gewinnen, ist wie eine Galeere zu bändigen. Man muss sich hart in die Riemen legen.

      Tauron fuhr sich durch sein zerzaustes Haar, sprang die Treppe vom Vordeck hinunter, überquerte das Hauptdeck und schlenderte die Treppe zum Achterdeck hoch.

      „Na, Frau Kommandantin“, begann er, lehnte sich gegen den Besanmast und verschränkte die Arme vor der Brust. „Denkt Ihr nicht, es würde Euch guttun, mal ’n wenig auszuspannen?“

      Siralen ließ sich nicht aus dem Konzept bringen und vollendete in aller Ruhe den Bewegungsablauf, den sie gerade begonnen hatte.

      „Ich bin ganz und gar entspannt, Admiral“, erklärte sie und ließ ihre Klingen in die Lederscheide gleiten.

      „’n wenig mehr vielleicht?“, bot er an.

      „Was könnte mir Eurer Meinung nach mehr Entspannung bringen als der Schwerttanz?“, fragte sie kühl.

      Die aus Albion konnten schon verdammt begriffsstutzig sein. Oder war das etwa gerade eine Herausforderung? Ne nich’, oder?

      „Naja …“

      „Ach das“, sagte Siralen unerwartet unbetroffen. „Wisst Ihr – selbst wenn