„Frau Pasiphae-Opoulos, die Entscheidung lag ohne jeden Zweifel bei Euch, nicht wahr? Ihr wart dort an der Reling. Ihr wart die Einzige, die genauestens mitverfolgen konnte, was der Verdächtige dort tat und sagte. Ihr wusstet, dass er sich selbst das Leben nehmen wollte, und Ihr hättet dies verhindern können. Stattdessen habt Ihr ihm dabei zugesehen, wie er sich eine vergiftete Klinge ins Herz stieß. Wodurch es mir ein Ding der Unmöglichkeit war, seinen entmaterialisierten Geist zu befragen, um mit Hilfe dieser allerkompliziertesten magischen Methode die Wahrheit über ihn ans Licht zu bringen.“
Lucretia nickte zustimmend, stierte dabei aber weiterhin schweigend auf die Tischplatte. Hochkompliziert, dieser Spruch, in der Tat. Die Geistbefragung beherrschten nur die wenigsten Zauberkundigen. Und wäre Stowokor nicht so unvernünftig gewesen … hätte er sich nicht in eine vergiftete Klinge geworfen, hätte Ahrsa noch eine Gelegenheit gehabt, seine Unschuld zu beweisen. Es war ein sehr seltenes Gift, das Stowokor zum Einsatz gebracht hatte. Es zersetzte rapide die Organe, einschließlich Herz und Gehirn. Stowokors Geist hatte nichts mehr gehabt, woran er sich festhalten konnte. Und schwuppdiwupp, war er dahin.
„Ich dachte, die Magie, mit Hilfe derer man den Geist eines Verstorbenen befragt, schließt nicht aus, dass besagter Verstorbener lügt“, hielt Chara dagegen. „Was hätte die Befragung dann gebracht, Kasai? Für den Fall, dass Stowokor tatsächlich ein Verräter war, hätte sein Geist wohl kaum eingelenkt und den Verrat gestanden.“
Lucretia nickte stoisch. Das war ein berechtigter Einwand.
„Völlig korrekt, Frau Pasiphae-Opoulos. Aber es wäre doch möglich, dass Stowokor Olschewski kein Verräter war, oder wenn doch, dass er nach seinem Ableben Reue gezeigt hätte, nicht wahr? Oder wollt Ihr diese Möglichkeit etwa ausschließen?“
„Nein.“ Charas Blick zuckte zu ihr und Lucretia spannte sich an. Schau mich bloß nicht so an, Assassinin. Das Messer lag in deiner Hand. Am Ende. Am Ende hattest du sein Blut an den Fingern, nicht ich. Du hättest ihn aufhalten können, oder nicht? Die Klinge, die blutige, du hast sie mir einfach vor die Nase gehalten, als wäre ich seine Mörderin. Diese vergiftete Klinge … Oh, das war ja beinahe poetisch. Vergiftete Klinge … mein Gift, dein Gift, unser Gift.
„Wie dem auch sei“, beendete Ahrsa das unleidige Thema. „Wir wissen nicht, ob Stowokor Olschewski ein Verräter war. Wir wissen nichts. Infolgedessen ist es erneut an Euch und der Internen Sicherheit, den Fall aufzuklären. Ich hoffe sehr, dass Ihr in absehbarer Zukunft Ergebnisse vorweisen könnt, denn mir und meinen Kollegen sind im Augenblick die Hände gebunden. Ihr müsst daher ohne unsere Unterstützung zu Rande kommen.“
Wohl gesprochen, geschätzter Magus. Und? Was sagst du jetzt, Chara?
Sie sagte gar nichts. Stattdessen rückten Stühle und es wurde unangenehm laut in der Messe. Unwillkürlich hielt sich Lucretia die Ohren zu. Sie wollte nur noch allein sein. Allein, allein, allein.
Schwarz wie der Mantel des Todes hing die Nacht über der Meerjungfrau und nur die kleinen Lichtpunkte der Feuerschalen zuckten über die Besatzung, die sich zum Gebet am Hauptdeck versammelt hatte. Während er vom Admiral der Allianzflotte nach dem Erklimmen des Fallreeps in Empfang genommen wurde, verschaffte er sich einen Überblick und stellte fest, dass es zu viele Feuer waren, die das Deck erhellten. Und wenn er bei einer Totenfeier etwas nicht dulden konnte, dann war es zu viel der Hitze, die dem Feuernehmer gehörte. Das Feuer verbrannte die Todeskraft, die in jedem weste und von welcher die sterbenden Seelen abhängig waren, wollten sie zu Monoch gehen. Die Hitze ließ den Körper verfaulen und trieb die Seele zu früh aus dem Leib hinaus. Noch bevor die Kraft des Todes zur Entfaltung kommen konnte, entriss sie sie dem viel zu schnell verfallenden Körper und trieb sie in die Arme Uldins.
„Willkommen an Bord meines Schiffes, Oberhohepriester Laurin MacArgyll“, begrüßte ihn Tauron Hagegard.
„Die Sterne leuchten, der Himmel ist wolkenlos“, erwiderte er. „Löscht die Öllampen bis auf die Feuerschale, die am Hauptmast hängt. Es wird reichen.“
Der Admiral gab seine Zustimmung und erteilte den Befehl zum Löschen der Feuer. Es wurde deutlich dunkler am Hauptdeck.
Die fünf Ordenskrieger, die Laurin begleiteten, eskortierten ihn zum Hauptmast, unter dem der verstorbene Informationsmagier Stowokor Olschewski aufgebahrt worden war. Mit wenigen Blicken hatte er die Kommandanten der Mission erfasst. Er kannte sie alle von der Schlacht um Caeir Isahara – den Oberhohepriester Telos Malakin mittlerweile sogar sehr gut. Doch gegen eine von ihnen hatte er Vorbehalte.
Das Sandkorn auf der Schicksalswaage hatte sich äußerlich nicht verändert. Sie stand im Reigen ihrer Leibwächter nahe der Luke und beobachtete ihn und seine Eisbären. Doch egal, wie groß seine Vorbehalte auch waren, Monoch hatte ihr seinen Segen ausgesprochen, als sie ihm, um Lucretia L’Incartos willen, einen Schwur geleistet hatte. Einen Schwur, der kurz darauf vom Obersten der Monoch-Priesterschaft Freon Eisfaust aufgelöst worden war, was nur unter einer Wiedergutmachung durch Eisfaust selbst möglich gewesen war. Was Eisfaust auf sich genommen hatte, um Chara Pasiphae-Opoulos auszulösen, musste schwer lasten. Chara hatte geschworen, den mächtigsten noch lebenden Nekromanten Podfol zu beseitigen. Es stand außer Frage, dass der Oberste Hohepriester Monochs eine schwere Bürde auf sich geladen hatte, um diesen Eid aufzuwiegen.
Töte nicht, was du nicht begraben kannst.
Die Flottenoberkommandantin kannte die Gebote Monochs nicht, mehr noch, sie schien diesen fast diametral gegenüberzustehen, wenn man davon absah, dass sie ganz fähig darin war, anderen den Tod zu bringen.
Laurin trat vor Lucretia L’Incarto und reichte ihr die Hand.
„Der Tod wäre erfreut, Euch zu sehen“, sagte er und fand in ihren Augen eine Bestätigung dieser Wahrheit. Die Sprecherin der Zauberkundigen war dem Tode deutlich näher gerückt. Laurin konnte es spüren – sah es in ihrem leeren Blick, fühlte es in ihrem laschen Händedruck, fühlte es in der Stille, die wie ein alles verschlingendes Ungetüm aus ihr herauskroch. Die Todeskraft … sie war schwach in ihr. Sie fürchtete den Tod und damit war sie noch weit entfernt von einem würdigen Ende ihrer Reise.
Ein Blick zur Seite und die Elfenkriegerin rückte in Laurins Gesichtsfeld.
„Der Tod steht Euch gut, Siralen.“ Er wusste, dass seine Stimme wie geschliffenes Eis klang – hart, scharf und kalt. Es gelang ihm nur selten, ihren Klang zu erweichen und viele zuckten bei diesem Klang innerlich zusammen. Die Elfenkriegerin zuckte nicht. Als er ihr die Hand reichte, spürte er die angenehme Kühle ihrer Finger. Wahrlich, die Elfe stand noch am Beginn ihrer Suche. Sie war voller Lebenswillen und bereit, für ihre Ziele zu kämpfen. Der Tod war noch jung in ihrem kühlen Leib, doch er war da und kurz davor, sich ihrer glasklaren Augen zu bemächtigen. Siralen hatte den Tod bereits gesehen und verstanden. Würde sie auch bereit dazu sein, in sein Angesicht zu blicken, damit die Kraft des Todes auf sie übergehen und in ihr wachsen konnte?
Mit einem leichten Neigen des Kopfes erwiderte sie seinen Gruß. „Tin salu ecra, Laurin MacArgyll.“ Die Elfen behandelten gerne jeden als Freund, auch wenn sie nicht jeden als Freund betrachteten.
Als er Chara Pasiphae-Opoulos gegenübertrat, rückten ihre beiden Leibwächter näher an sie heran.
„Der Tod ist Euer Begleiter“, begrüßte er sie, obwohl es im Grunde ein ritueller Abschied war. Doch nichts stand dem Sandkorn mehr ins Gesicht geschrieben als der Tod, der in ihr allgegenwärtig schien.
„Ja, ich weiß“, gab sie zurück und war sich vermutlich gar nicht darüber im Klaren, was genau es bedeutete, den Tod als Begleiter zu haben. Der Tod war stark in ihr und sie war stark im Tode. Doch war es, als wüsste sie von alledem nichts. Wie sollte sie die Macht des Todes dann nutzen?
Als er ihre Hand ergriff, spürte er Kraft. Und er spürte die Hitze, die durch ihren Körper wallte und über ihre Hand unangenehm auf ihn abstrahlte.
Jetzt erinnerte er sich. Chara Pasiphae-Opoulos