„Ich schlage vor, wir konzentrieren uns zunächst auf eine Entscheidung im Hinblick auf die schwarz-goldenen Wasser“, nahm Siralen die kurze Pause zum Anlass, das Thema in die richtige Bahn zu lenken. Chara hätte ihr einen Strauß Blumen überreicht, hätte sie einen dabeigehabt. „Der Unmut im Flottenverband wächst. Die Männer und Frauen werden sich immer einiger, dass die Götter uns bestrafen. Ich schlage vor, wir schicken eine Nachricht an die gesamte Flotte. Greifen wir ihre Angst vor den Göttern auf und entschärfen sie auf eine Art und Weise, die sie verstehen. Wir könnten ihrem Standpunkt zustimmen, aber deutlich machen, dass die Strafe der Götter nicht uns, sondern jemand anderem gilt.“
Chara lehnte sich nach vorne und ignorierte geflissentlich Kasais Inspektion ihres Gesichts. „Ich habe keine Einwände, dem naiven Glauben der Leute entgegenzukommen, wenn du denkst, die hätten das nötig. Allerdings halte ich es nicht für hilfreich, ihnen weiszumachen, dass nicht wir es sind, die von den Göttern bestraft werden. Wen bestrafen sie dann? Und warum? Die Leute sind nicht dumm. Sie sehen, dass wir uns auf den Großen Abgrund zubewegen und befürchten, dass wir uns damit zu weit in ihrer heiligen Götter Gebiet wagen.“
„Was schlägst du also vor?“, fragte Siralen.
Chara sah Telos an. „Könntest du diese Aufgabe übernehmen und ein passables Schreiben für gottesfürchtige Männer aufsetzen? Eines, in dem du als Priester die Angst, es handele sich um eine Strafe der Götter, entkräftest?“
„Tut mir leid, Chara, das kann ich nicht. Und zwar deshalb, weil ich mir selbst nicht sicher bin. Aber ich werde versuchen, die Gemüter zu besänftigen. Ich kümmere mich sofort nach der Besprechung darum.“
„Danke. Und wenn wir hier schon Aufklärung betreiben, halte doch auch fest, dass wir noch weit vom Großen Abgrund entfernt sind. Das hier ist nicht das Ende der Welt.“
Siralen nickte und sah tatsächlich zufrieden aus. Ganz sicher war sich Chara bei der Elfenkriegerin nie. Dann sagte sie etwas, das Chara in Alarmbereitschaft versetzte.
„Da du gerade vom Ende sprichst. Ich hatte in der vergangenen Nacht sehr ungewöhnliche Träume, genauer, ich hatte zweimal denselben Traum. Darin hieß es: Die Zeichen stehen auf Ende.“
Schlagartig wurde es still in der Messe und selbst Kerrim, der sich längst in seinem Stuhl eingerichtet hatte, um ein kleines Nickerchen zu halten, setzte sich gerade hin.
„Oh Agramon!“, stöhnte Telos auf. „Ich hatte es befürchtet. Auch ich hatte diesen Traum.“ Er wechselte einen Blick mit Chara und fast sah sie, wie Erinnerungen an seinem inneren Auge vorüberzogen. Es waren dieselben wir ihre.
„Wer von euch hatte diesen Traum noch?“, fragte sie in die Runde.
„Kħann schon sain, dass ich ħabe geträumt etwas Ähnliches“, gab Kerrim vage zu.
„Mir träumte, ich wär eine Taube aus Pergament und flog hinter mir her“, murmelte Darcean versunken und starrte aus dem Fenster.
Alle Blicke richteten sich auf ihn.
„Wie darf ich das verstehen, Herr Dahoccu?“, näselte Kasai nach einer Weile.
„Oh nichts. Ich hatte nur …“ Darcean warf sein Haar in den Nacken und setzte sich auf. „Ich hatte denselben Traum wie Ihr, Frau Flottenoberkommandantin.“ Die Ironie bei der Erwähnung ihres Titels war nicht zu überhören.
„Kasai?“, wandte sich Chara dem Magier zu.
„Magus Primus Major, wenn es mir erlaubt ist, darauf zu bestehen, Frau Pasiphae-Opoulos. Und ja, wenn Ihr es denn genau wissen wollt, ich hatte denselben Traum.“
„Dann sieht’s tatsächlich übel aus.“
Siralen ließ ein leises Seufzen vernehmen, von dem schwer zu sagen war, ob es Kasai galt oder den besorgniserregenden Erkenntnissen. „Wir müssen umgehend in Erfahrung bringen, wie viele diesen Traum hatten“, bemerkte sie. „Und welcher Natur diese Träume sind. Handelt es sich dabei um Magie?“
„Es könnte sich auch um das Wirken eines chaotischen Gottes handeln“, brachte Telos seine Erfahrungen zum Ausdruck. „Mächtige Priester könnten mit Hilfe ihrer Götter derartige Träume unter uns gebracht haben. Und da wir wissen, dass sich auch Chaosanhänger in unserer Flotte aufhalten …“
„Sprecht Ihr von den Verrätern, deren Identität die Interne Sicherheit noch nicht eruieren konnte, Herr Malakin?“, schnarrte Kasai und seine pfeilgerade Nase richtete sich in ansehnlicher Akribie auf Chara.
Chara peitschte ihren Zorn gegen die Mauer ihres Verstandes und blieb sachlich.
„Göttlich oder magisch. Wie Siralen schon sagte, wir müssen es herausfinden. Fühlt Ihr Euch dazu imstande, Magus Primus Major?“ … Arschloch Kasai.
„Natürlich können die Zauberkundigen für Euch ans Licht bringen, ob es sich bei den Träumen um magisch verursachte oder beeinflusste Phänomene handelt, doch selbst Euch dürfte klar sein, werte Frau Pasiphae-Opoulos, dass wir, um die Träume auf ihren Ursprung hin überprüfen zu können, auf weitere Träume selbigen Ursprungs hoffen müssen. Wir können schlecht rückwirkend ans Licht bringen, was es damit auf sich hat. Fürderhin werdet Ihr verstehen, dass ein Zauberkundiger nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten hat, göttliches Wirken als solches zu erkennen, nicht wahr?“
Es kostete sie einiges an Kraft, Kasai ausreden zu lassen, aber irgendwie kratzte sie die Kurve.
„Klar. Den Rest erledigen dann die Priester. Telos?“
Telos nickte zustimmend und Chara fand in seinem Blick den Hinweis, dass er beabsichtigte, im Anschluss unter vier Augen mit ihr zu sprechen.
„Was haben die Untersuchungen der Gelehrten bezüglich der schwarzen Wasser ergeben?“, fragte Siralen.
Chara suchte nach den Worten des Obersten Gelehrten Garan Lefnui, den sie aufgrund seiner kooperativen Haltung kurzerhand in dieses Amt gehoben hatte.
„Die Wasser sind angeblich voll von einer unbekannten winzigen Lebensform – Kleinstlebewesen, die sich in das Holz der Schiffe arbeiten und den Teer fressen, der die Planken zusammenhält. Sie sind vom Sonnenlicht abhängig und scheinen dieses zu absorbieren, um den Überschuss nachts wieder abzugeben. Diese Eigenschaft verursacht das goldene Leuchten des Wassers. Die Tierchen zerstören nicht nur die Schiffe, sondern auch die Fische in den Gewässern. Nur die sehr großen Tiere … die mit den Tentakeln … denen können sie anscheinend nichts anhaben.“ Von diesen hatten sie am Vortag mehrere gesichtet und sie sowohl als unversehrt als auch als harmlos eingestuft. Letzteres weil sie, so sah es zumindest aus, in erster Linie mit der Paarung beschäftigt waren.
„Ich bestätige die Erkenntnisse der Gelehrten“, stimmte Kasai gönnerhaft zu.
Chara lehnte sich zurück und schniefte. „Wir haben Flaute. Wenn wir diese Todeszone nicht schnell verlassen, sinken unsere Schiffe.“
„Sollen wir dann nicht umkehren?“, brachte sich Darcean ein. „Ich fühle mich seit Tagen uneins mit dem Weltgeist. Es kommen dunkle Zeiten auf uns zu. Ich bin der Meinung, wir sollten keine unnötigen Risiken eingehen. Es stehen viel zu viele Leben auf dem Spiel.“
Chara schüttelte den Kopf. „Fakt ist, die Schiffe halten sich, sofern sich nichts ändert, höchstens noch zwei, vielleicht drei Tage über Wasser. Das sind Taurons Worte, nicht meine“, kam sie einer Widerrede seitens Kasais zuvor. „Kehren wir also um, bedeutet das unser sicheres Ende.“
„Wollte der Admiral nicht an der Besprechung teilnehmen?“, fragte Siralen einen Deut zu gleichgültig.
Da war doch was? In Siralens kühlem Gesicht … eine gewisse … Rastlosigkeit?
„Er wird schon kommen. Glaube, die gesamten Vorfälle nehmen ihn gerade ziemlich in die Mangel.“
Ein demonstratives Räuspern lenkte die Blicke aller Anwesenden auf Kasai.
„Es gibt noch eine Erkenntnis, die wir der ehrenwerten