Chara verkörperte Tod und Feuer. Als würde sie gegen das Leben in den Krieg ziehen, obwohl sie ganz und gar Leben war. Als würde sie dem Tod trotzen und doch in ihm zu Hause sein. Doch Telos Malakin respektierte sie und Laurin respektierte Telos Malakin.
„Agramons Hammer zerschmettere Eure Feinde, Oberhohepriester MacArgyll“, empfing dieser Laurin und reichte ihm die Hand.
„Möge Euer Körper im Tode zu Eis werden, Oberhohepriester Malakin.“
„So möge es sein, bevor Agramon mich in seine Hallen holt.“
Malakin hätte ein Mitglied des Expeditionskommandos werden können, aber er hatte es abgelehnt. Jetzt war er der Sprecher der Priesterschaften, besprach aber alle seine Entscheidungen mit ihm und Hohepriesterin Ischara. Er schien sich in erster Linie darauf konzentrieren zu wollen, seinen Hammer im Dienste der Agramon-Priesterschaft zu schwingen und seinen Anhängern ein guter Anführer zu sein. Er hatte Laurin erklärt, dass er in früheren Zeiten seinem Ehrgeiz zum Opfer gefallen war und er daraus seine Lehren gezogen hätte. Er wollte nicht mehr, als seinem Gott Agramon dienen und er tat es vorbildhaft. Was genau passiert war, um ihn von seinem unerbittlichen Ehrgeiz abzubringen, darüber hatte er nie gesprochen. Es musste sich dabei um etwas Privates handeln, und offensichtlich war er in seinem Vorhaben gescheitert. Denn das Scheitern war es, das einen Demut lehrte.
Als Laurin mit seinen Ordenskriegern einen Halbkreis um den aufgebahrten Toten gezogen hatte, erstarb das Gemurmel an Deck. Köpfe senkten sich, Hände falteten sich vor dem Bauch oder hinter dem Rücken, Gesichter wurden ernst. Der Tod flößte sogar den Piraten Respekt ein.
„Im Anfang war das Dunkel“, begann Laurin MacArgyll. „Im Anfang herrschte das Nichts. Dann trat Laigd auf und sprach die Worte des Lichts. Und als das Licht leuchtete, fand die Weltendreherin Mairgen den rechten Geist, um Leben zu erschaffen. Sie formte Amalea und ließ gedeihen, was da gedeihen wollte. Dann trat Aoifen in die Welt und gab dem Leben das Wissen.
Nun war das Leben reich und von Wissen beseelt. So kam Monoch und nahm das Eis, um die Seelen der Wissenden in ihrer Ganzheit zu bewahren. Es kam Uldin und nahm das Feuer, um die Seelen der Wissenden in die Flammen zu werfen und aufzulösen, auf dass alles Wissen auf ihn übergehen möge und seine Macht zur Vollendung komme. Und es kam Dhardhiun und nahm die Dunkelheit, um die Seelen der Wissenden mit Blindheit zu strafen und in sein Chaos zu führen.
Monoch gab den Seelen einen Leib, damit sie ihn mit der Kraft des Todes anreichern konnten. Damit sie nicht in Uldins Feuer zerfielen und nicht in Dhardhiuns Chaos ertranken. Als Uldin dies sah, brachte er sein Feuer über die Welt und überzog sie mit Verderben und Krieg. Die Kraft des Todes konnte in den Seelen der Lebenden nicht zur Vollendung kommen, und so verlor der Eisnehmer Monoch seine Kinder an den Feuernehmer Uldin. Uldin wiederum erkannte seine eigene Sterblichkeit nicht. Im Zorn über die Vergänglichkeit aller Dinge zerstörte er die Kraft des Todes in den Körpern der Lebenden und mit ihr die Seelen. So kam es, dass auch Uldins Macht schwand, die von der Kraft der Seelen, die sich aus der Kraft des Todes speiste, abhängig war. Uldins Feuer folgte die Dunkelheit und mit ihr kam Dhardhiun und übernahm die Macht.
Die Kraft des Todes, von Uldin fast restlos verbrannt, war schwach in jenen Tagen, und Monoch war kurz davor, aus der Welt zu schwinden. Da trat seine Zwillingsschwester Enimonoch in die Welt und rettete ihren Bruder, indem sie ihm dabei half, jene Seelen, die Uldins Feuer nicht verzehrt hatte, um sich zu scharen. Schließlich war es Monoch, der mit seinem Gefolge Dhardhiun die Stirn bot. In einem letzten Kampf gegen das allgegenwärtige Chaos erstarkten die Seelen, die ihm folgten und sie brachten der Welt die Kraft des Todes zurück. So kam es, dass Monoch und sein Gefolge das Chaos und mit ihm Dhardhiuns Dunkel besiegten. Sie brachten der Welt das Licht zurück, das am Morgen aufging, um am Abend unterzugehen. So wie es auch der natürliche Lauf allen Lebens war.“
Laurin ließ seinen kalten Blick über die Menge gleiten, die in ein tiefes, sattes Schweigen gefallen war.
„Der Tod ist allgegenwärtig und die Seele lebt nur, weil die Kraft des Todes in ihr west. Wer den Tod bekämpft, den verzehrt Uldins Feuer. Wen das Feuer verzehrt, der kann nicht zur Ewigkeit im Eis finden.“
Laurin sah, wie manch einer seinem Blick unbehaglich auswich.
„Wen das Feuer verzehrt, der kann nicht zur Ewigkeit im Eis finden“, wiederholte er und seine Augen blieben an Chara haften. Fast konnte er sehen, wie sie ihm Paroli bot.
„Tötet nicht, was ihr nicht begraben könnt. Denn nur, wenn ihr die Augen der Toten schließt und ihre Körper mit Eis und Schnee bedeckt, können ihre Seelen zu Monoch finden. Und nur in Monochs Reich können sie ewig fortleben.“
Er ließ ab von den schwarzen Augen, durch die das Feuer Uldins züngelte, und doch wiederholte er nur für sie, was er bereits gesagt hatte.
„Tötet nicht, was ihr nicht begraben könnt.“
Damit trat er neben den Kopf des verstorbenen Stowokor Olschewski, legte seine Linke über die geschlossenen Augen und sprach:
„Bei nächtlichem Glas, da halte ich Wacht,
wo ich ersinne, bedenke und wende,
und dieser Tag geht schon zu Ende,
die Fledermaus wispert: Es ist Nacht.
Bei Eiseskälte, da halte ich Wacht,
wo ich ersinne, bedenke und wende,
und dieser Herbst geht schon zu Ende,
draußen der Eisbär knurrt: Es ist Winter.
Unter dem Eis ist alles im Lot,
da ich ersinne, bedenke und wende,
und dieses Leben geht schon zu Ende,
draußen der Wolf heult: Es ist tot.“
Als Laurin das Totengebet beendet hatte, wurde es kalt um ihn und den Leichnam. Unter den gebannten Blicken der Besatzung zog er seine Hand zurück und beobachtete Monochs Licht, das sich in einem blauen Schimmer um den Körper bildete, zu kaltem Nebel wurde und sich schließlich in Eis verwandelte. Es ist getan.
Mit einem Nicken gab er Stowokor Olschewski frei, auf dass die Besatzung seinen Eissarg dem Meer übergeben konnte. Als der schwere Eisklotz mit dem Leichnam des Magiers im Wasser versank, sagte er: „Magus Terzus Minor Stowokor Olschewski war eine Stütze der Allianz. Erinnern wir uns seiner, indem wir seine Taten sehen und das Gute, das ihm bei seinen Taten wegweisend war. Es gibt keine Beweise für seine Schuld. Darum bleibt er unschuldig in den Augen derer, die seinen Tod betrauern. Stowokor Olschewskis Augen mögen sich im Tode fest schließen, damit seine Seele zu Monoch finde.“
Es war Mitternacht. Lucretias Hände zitterten, als sie die Tür schloss, sich auf das Bett setzte und das Siegel der Schriftrolle brach, die Chara ihr zugeschoben hatte. Zweimal begann sie zu lesen und musste dann unterbrechen, um die Tränen fortzuwischen, die drohten, auf das Pergament zu tropfen. Erst beim dritten Mal gelang es ihr, Stowokors Brief zu Ende zu lesen.
Meine liebe Lucretia,
wenn du diesen Brief liest, kann ich dir keinen Trost mehr spenden, wie ich es bisher getan habe. Ich werde nicht da sein, um dich zu halten oder dir das Haar zu streicheln, aber sei gewiss, dass sich nichts an meinen Gefühlen für dich geändert hat. Der Tod kann meiner Liebe nichts anhaben, denn die Liebe währt ewiglich.
Ich weiß, du wirst dir Vorwürfe machen, aber das darfst du nicht. Was geschehen ist, ist geschehen. Du hast nur versucht, deine Pflicht zu tun. Wir beide wissen, es ist nicht leicht, an der Spitze zu stehen und Entscheidungen zu treffen. Wenn man sich das Gelingen einer Mission dieser Größe zum Ziel gemacht hat, ist jede Entscheidung eine schwere Bürde. Du hast dich entschieden und in deinen Augen war es die richtige Entscheidung. Selbst wenn ich hier und jetzt sage „Ich bin kein Verräter“, änderte dies nichts daran, dass