Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 4: Lucretia L'Incarto. J. H. Praßl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: J. H. Praßl
Издательство: Bookwire
Серия: Chroniken von Chaos und Ordnung
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783862826186
Скачать книгу
Kasai Chara auf diese Weise zu diskreditieren versuchte. Es sei denn, er empfand sie tatsächlich als Fehlbesetzung für den Posten der Flottenoberkommandantin. Dann waren seine Methoden, sie vom Kommandostuhl zu stürzen, allerdings sehr fragwürdig. Oder war es Chara, die hier ein falsches Spiel spielte?

      „Admiral!“, kam es von der Luke und Siralen drehte sich um. Es war der Kapitänsanwärter Gardwain Arkos und er klang eindeutig besorgt.

      „Warte!“, hielt Tauron Chara davon ab, einfach zu verschwinden. „Was gibt’s, Gardwain?“

      Der Kapitänsanwärter blieb stehen und kratzte sich das Kinn. „Die Magier melden, dass Flotte Eins etwas sehr Seltsames gesichtet hat. Hjellgard behauptet, seine Schiffe segeln direkt auf … sie segeln auf … auf goldenes Wasser zu.“

      „Soll das ein Scherz sein?“

      „Kein Scherz, Admiral. Wahrscheinlich sind sie mittlerweile schon innerhalb dieses sonderbaren Gewässers.“

      Tauron rieb sich angespannt die Stirn und bedachte Chara mit einem fragenden Blick. „Kurs halten?“

      „Moment!“, ging Siralen dazwischen. „Überleg dir das gut, Chara. Wir wissen nichts über dieses Wasser. Es könnte eine Gefahr für die gesamte Flotte sein.“

      Chara verfiel ins Grübeln. „Wir halten Kontakt mit Hjellgard“, entschied sie. „Solange in der Aphrodia-Flotte nichts Besorgniserregendes passiert, behalten wir unseren Kurs bei.“

      Tauron nickte. „Gib das an die Magier weiter, Gardwain. Die sollen Hjellgard den Befehl übermitteln und eine Nachricht an die anderen Vizeadmiräle rausgeben, damit alle Bescheid wissen.“

      Er schüttelte den Kopf. „Goldenes Wasser. So was hab ich ja noch nie gehört.“

      Als Lucretia die Augen aufschlug, war ihr, als wäre sie nicht allein. Als wäre da ein Schatten, der allerdings sofort verschwand, sobald sie ihren Blick darauf lenkte. Sie wollte sich aufsetzen, aber wie schon tags zuvor hatte sie das Gefühl, als würde nicht Blut, sondern Sand durch ihre Venen laufen. Jede noch so winzige Bewegung war eine Qual, jeder Gedanke, sich aufzusetzen die reinste Folter. Alles war anstrengend geworden, jeder Gedanke zäh wie Leder, jeder Schritt in Richtung einer Entscheidung oder Handlung lahm und schwerfällig. Alles in ihr wand sich, sträubte sich.

      Da war das Gefühl, nie ganz allein zu sein. So wie jetzt. So, wie es gestern war und so, wie es auch morgen sein würde, und übermorgen, und überübermorgen …

      Was wollt Ihr? Wir können Euch helfen.

      Wenige Worte, die alles verändern könnten, alles heil machen könnten. Einen Neuanfang versprechend, ein anderes Leben. Vergessen, was passiert war, vergessen, dass er tot war … vergessen, dass sie es war, die ihm den Todesstoß verpasst hatte.

      Oh Stowokor. Was ist nur mit uns geschehen?

      Als die Sonne aufging, war das goldene Wasser schwarz geworden – schwarz wie die Nacht, die mit dem Anbruch des Tages erneut über sie zu kommen schien. Und es stellte sich heraus, dass der unnatürliche Wasserteppich kein Ende nahm. Zu Anfang trieben tote Fische in den seltsamen Gewässern. Doch nun herrschte dort nicht einmal mehr der Tod. Als hätte der Ozean beschlossen, alles Leben aus sich herauszuschwemmen, sich das goldene Laken abzustreifen und selbst zu sterben.

      Wie zur Bestätigung dieser trüben Vision erreichten Berichte über Tote und Verletzte aus Flotte Eins, Zwei und Vier das Flaggschiff. Kurz darauf erging das allgemeine Verbot, das Wasser zu berühren. Es gab doch tatsächlich Leute, deren Neugier umfassender war als die Vernunft, und diese unerfreuliche Tatsache führte dazu, dass am Ende neunzehn Matrosen ihr Leben lassen mussten. Die Zahl der Verletzten war zehnmal so groß. Die betroffenen Leute wiesen Wunden auf, die Verätzungen ähnelten. Siralen hätte laut geflucht, wenn es ihr auch nur annähernd zu Gesicht stünde, derart unbeherrscht zu sein. Trugen diese Menschen etwa keinen Funken Vorsicht in ihrem Leib?

      Am zweiten Tag, an welchem sie nachts in goldenen und tagsüber in schwarzen Wassern gesegelt waren, wurden zudem Meldungen laut, dass sich das Wasser in das Holz der Schiffe zu fressen begann. Die Schiffskörper saugten sich wie Schwämme voll. Noch wusste niemand, was man dagegen tun konnte, und was passieren würde, wenn sie in absehbarer Zeit die schwarz-goldenen Wasser nicht verließen und das Meer wieder wurde, was es seiner Natur nach war.

      Furcht begann Menschen und Zwerge gleichermaßen heimzusuchen. Nur um die Elfen und Kentauren blieb es still. Die anderen verlangten danach umzukehren.

      „Wenn wir waitersegeln, werden unsere Schiffe sinken“, warnte El’Muluk von der Seeperle-Flotte.

      „Die Götter bestrafen uns, wail wir die von ihnen geschaffenen Grenżen missachten. Es ist unsere göttergegebene Pflicht umżukehren“, gab Achmed Al’Badwih seine Einschätzung der Lage zum Besten.

      Ähnlich lauteten auch die Urteile der anderen Vizeadmiräle. Nur Alwin Hjellgard aus Flotte Eins und Roella Kalladan aus Flotte Sieben verhielten sich ruhig. Sie fragten lediglich nach weiteren Befehlen und führten diese klaglos aus.

      Die Zauberkundigen, die sich um den Informationsfluss zwischen den einzelnen Flotten kümmerten, hatten alle Hände voll zu tun und mussten ohne Pause auf ihren Posten an den dafür vorgesehenen Artefakten bleiben. Dasselbe galt für die Versetzkreise, über die man von einem zum anderen Kommandoschiff wechseln konnte. Sie wurden in diesen Tagen mehr in Anspruch genommen als üblich.

      Chara setzte die Gelehrten und Alchimisten darauf an, Wasserproben zu nehmen und zu analysieren. Ahrsa Kasai und eine Handvoll seiner besten Zauberkundigen versuchten indes zu eruieren, ob die Ursache des seltsamen Phänomens magisch war und kamen zu einem negativen Ergebnis. Telos Malakin schickte eine Nachricht, dass die Priester keinen göttlichen Einfluss spürten, dieser aber nicht auszuschließen sei, da ein Gott sein Wirken nicht immer erkennen ließ. Wiederholt hörte man, wie der Götter Namen über die Decks geflüstert wurden. Auch auf der Meerjungfrau gab es einige unter den Matrosen, die in den schwarz-goldenen Gewässern eine Strafe der Götter sahen. Tauron hielt eine Rede vor versammelter Mannschaft, und Siralen stellte erneut fest, dass er für den Posten des Admirals besser geeignet war, als man es bei jemandem wie ihm hätte erwarten können. Er blieb ruhig und überlegt, und selbst Chara hörte seinen Worten aufmerksam zu.

      Rasch war gewiss, dass eine neuerliche Lagebesprechung stattfinden musste. Es musste etwas getan werden und zwar schnell. Ansonsten war nicht nur das Sinken ihrer Schiffe zu befürchten, sondern auch eine Meuterei.

      Ein Wort zu viel

      Als Chara am Morgen aus dem Schlaf fuhr, echoten die Worte noch immer durch ihren Kopf, die sie im Traum dazu gebracht hatten, heftig zu rebellieren. Die Stimme zu den Worten hatte geradezu erheitert geklungen. Und hätte sie nicht erst kürzlich etwas gefunden, das das Leben irgendwie lebenswert machte, sie hätte mitgelacht.

      „Etwa Lomond?“, flüsterte ihre innere Stimme und lachte leise.

      Wir werden alle sterben …, drängte sich die Stimme aus dem Traum dazwischen.

      Na sicher. Aber nicht jetzt.

      Wer da im Traum gesprochen hatte, konnte Chara nicht sagen. Doch spätestens jetzt, da sie den Traum zum zweiten Mal geträumt hatte, war sie sich sicher, dass es kein gewöhnlicher Traum war. Und wer, wenn nicht er, hatte den Nerv, in ihren Verstand einzudringen?

      Das war nicht Dragati, versuchte sie sich vom Gegenteil zu überzeugen. Langsam setzte sie sich auf und rieb sich die Augen. Lomond war es auch nicht. Aber sonst fiel ihr niemand ein, der eine derartige Begabung hatte, abgesehen von Al’Jebal. Vielleicht war es doch Dragati.

      „Doch nicht der neue Gott“, bemerkte die Stimme in ihrem Kopf belehrend.

      Sag ich doch, knurrte Chara, stand auf und schlüpfte in ihre Hose.

      Aber da war nicht nur eine Stimme gewesen. Später im Traum hatten viele Stimmen dasselbe gesagt, genau genommen hatten sie … gesungen.

      Die Planken knarzten unter ihren nackten Füßen, als Chara zu ihrer Truhe schlurfte und ihr abgetragenes Hemd vom Deckel zog. Die Tür ging auf und