Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 4: Lucretia L'Incarto. J. H. Praßl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: J. H. Praßl
Издательство: Bookwire
Серия: Chroniken von Chaos und Ordnung
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783862826186
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durch die Kajüte wandern und nahm seine privaten vier Wände in sich auf – die schwere Truhe mit den feinen Triskele-Schnitzereien auf dem Deckel, auf dem ein paar seiner zusammengefalteten Tuniken und Hemden neben einem Stück Seife, einem Handtuch und seinem Nachthemd lagen; den Tisch mit seiner weißen Feder in hölzerner Halterung, dem von Elfenhand geschmiedeten Dolch in einfacher Lederscheide und dem kleinen Gestell mit Kerze und Wasserkanne darauf, den Stab aus Eibenholz in der Ecke neben dem Bett …

      Darcean schloss seine Augen. Wie von selbst glitten seine Arme zur Seite, hoben sich seine Handinnenflächen nach oben, berührten sich Mittelfinger und Daumen, zog sich ein Bein entlang des anderen bis auf die Höhe seines Knies. Jetzt hatte er die Position erreicht, die ihm dabei helfen würde, das innere Gleichgewicht zu finden.

      Im Tai Ji Quaen übertrug sich der innere Kampf um die Ausgewogenheit auf das Äußere und der Körper reagierte, indem er dieses Gleichgewicht aufnahm und hielt. Der Körper spiegelte die innere Befindlichkeit wider und umgekehrt. Das war der Kern der Lehre des Tai Ji Quaen – eine Lehre, die Darcean nur bekannt war, weil einst ein entfernter druidischer Vorfahre mit einem Mönch aus dem Kibaner-Reich eng befreundet gewesen war und dessen Weisheiten nach seinen regelmäßigen Besuchen mit nach Moravod gebracht hatte.

      Man erzählte sich, dass der Druide zusammen mit dem Mönch während eines gemeinsamen Spaziergangs einen großen Wasservogel beobachtet hatte, der in einen Kampf mit einer Giftschlange verwickelt gewesen war. Die Schlange hatte versucht, ihrem Gegner mit Hilfe ihrer naturgegebenen Schnelligkeit die Giftzähne in seine Flanke zu schlagen, wobei sie seinen hackenden Schnabelangriffen blitzartig auswich. Dabei hatte sie sich stets nur so weit bewegt, wie unbedingt erforderlich, sodass sie auf ihren kurzen Wegen Energie freigesetzt hatte, die sie sofort für einen neuerlichen Angriff nutzen konnte. Der Wasservogel wiederum hatte auf seine Flügel gesetzt, um das Gleichgewicht zu halten und auf diese Weise den Angriffen seines Gegners auszuweichen. Dabei hatte er dem gefährlichen Schlangenkopf stets seine Brust und seinen Kopf zugewandt und es damit vermieden, sich im Kampf die Blöße zu geben. Die beiden Gegner waren ebenbürtig geblieben.

      Nach dieser Beobachtung entwickelte der Mönch anhand der beiden ungleichen Tiere und deren Verhalten eine äußerst effiziente Kampfkunst, die darauf abzielte, auch ohne Waffen siegreich zu sein: Qido. Indes schrieb der elfische Druide am Vorbild des Wasservogels eine Abhandlung über die Möglichkeiten, durch bestimmte Bewegungen des Körpers die Suche nach dem inneren Gleichgewicht zu fördern und sich so mit der Natur und dem Weltgeist in Einklang zu bringen: Tai Ji.

      Darcean wusste nicht viel über die Kampfkunst, die der Mönch aus seinen Studien entwickelt hatte. Aber das nur wenigen Elfen bekannte Buch des Druiden hatte er bereits in jungen Jahren gelesen. Seither wandte er die Techniken des Tai Ji an, wann immer er das Gefühl hatte, es brächte ihn etwas aus dem Takt.

      Seitdem er das Kommandoschiff betreten hatte, erschien es ihm, als hätte der Weltgeist ein erhebliches Problem damit, die Kräfte in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Darceans einziger Trost war in diesen Tagen Siralen. Er konnte sich wunderbar mit ihr unterhalten und hielt große Stücke auf sie.

      Darcean setzte sich auf den Hocker und füllte einen seiner gewachsten Holzbecher mit der Kräutermischung, die er aus Albion mitgebracht hatte. Dann goss er heißes Wasser darüber und ließ den Tee eine Weile ziehen. Er war gerade so weit, die Ruhe in der engen Kajüte zu würdigen, da klopfte es nicht gerade dezent an seiner Tür.

      Darcean seufzte leise, stellte den Becher zurück auf den Tisch, stand auf und öffnete die Tür.

      Heolilejen. Im Korridor stand dieser grobschlächtige Mensch namens Chara Pasiphae-Opoulos samt seiner beiden Leibwachen.

      „Darf ich eintreten?“, fragte sie und Darcean unterdrückte ein weiteres Seufzen. „Wenn es Euch ein dringendes Bedürfnis ist.“ Er zog die Tür auf. „Aber diese beiden Archetypen bleiben, wo sie sind.“

      Irgendwie schaffte es die Kommandantin, ihren Geleitschutz dazu zu bewegen, sich verdrießlichen Blicks vor der Tür zu positionieren. Nachdem selbige geschlossen war, setzte Darcean sich erneut und bot seinem Gast den noch freien Hocker an. Während Pasiphae-Opoulos sich langsam durch die Kajüte bewegte, studierte er ihr unvergleichliches Gesicht.

      Die Geschichten, die er in Tamang gehört hatte, waren wahr. Chara war selbst für den Geschmack des unsterblichen Volkes von geradezu inspirierender Schönheit – wenn man denn von der Tatsache absah, dass der Stoff ihres Geistes von so grober Faser war wie einfache Jute und die Art, wie sie sich gebar, jeglicher Grazie spottete. Er wollte gerade zur Frage nach dem Grund ihres Besuches anheben, da stand sie plötzlich hinter ihm. Und noch bevor ihm klar wurde, was hier gespielt wurde, fühlte er kalten Stahl an seinem Hals.

      „Habt Ihr den Verstand verloren?“, entfuhr es ihm, doch er ermahnte sich sofort zur Ruhe. Noch hatte sie ihren Dolch ja nicht in Bewegung gesetzt.

      „Ihr wisst etwas, das Ihr nicht wissen dürftet“, vernahm er ihre Stimme in seinem Rücken. Ihr Arm lag über seiner Brust und drückte ihm die Luft ab.

      „Wovon sprecht Ihr?“, fragte er und kämpfte darum, seine Stimme ruhig zu halten. Es gelang ihm nicht ganz.

      „Von den Schwarzen Assassinen.“

      „Deren Geheimnis Ihr verraten habt, nicht ich. Bin ich etwa für Euren Fehler verantwortlich?“

      Jetzt spürte er, wie Charas Mund an seiner Schläfe ein Lächeln formte. Diese Frau war eindeutig einen Pakt mit dem Wahnsinn eingegangen.

      „Nein, Darcean. Und es tut mir auch fast leid, dass Ihr für meinen Fehler bezahlen müsst. Aber am Ende ist es gleich, wer den Fehler macht. Eine Schadensbegrenzung bleibt nicht erspart. Ich bin sicher, Ihr versteht das.“

      Charas Unterarm presste ihn hart gegen die Lehne. Er hatte keine Möglichkeit, sich herauszuwinden. Und die Klinge ihrer Waffe blieb, wo sie war. Seltsamerweise erschien ihm ihre Stimme sanfter, ihre Worte gerade in diesem bizarrsten aller Momente fast weise im Vergleich damit, was sie sonst so von sich gab.

      „Da mögt Ihr Wahres sprechen, doch widerspricht es jeglicher Gerechtigkeit, die Schadensbegrenzung an Unschuldigen zu betreiben.“

      „In diesem speziellen Fall kann das Problem leider nur auf diese Weise gelöst werden.“ Sie senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. „Ich werde Euch nicht töten, Darcean. Aber wenn Euch dieses kleine Geheimnis je über die Lippen kommt, wenn Ihr nicht lernt, es zu vergessen, es so tief in Euch zu begraben, dass Ihr das nächste Mal, wenn Ihr einem Schwarzen Assassinen gegenübersteht, vergessen habt, wer oder was sich unter seinen dunklen Gewändern verbirgt, werdet Ihr tot sein, noch ehe Ihr Euren Fehler bemerkt habt. Habt Ihr das verstanden?“

      „Verschwindet aus meiner Kajüte!“ Darcean konnte nicht mehr an sich halten. Dieser geistlose Mensch wagte es, ihn in seinen eigenen vier Wänden derart nassforsch zu bedrohen.

      „Ich frage noch einmal“, kam es unverfroren zurück. „Habt – Ihr – mich – verstanden?“

      Er fühlte, wie die Klinge seine Haut ritzte.

      „Ich habe Euch sehr gut verstanden“, antwortete er heiser.

      Der Dolch zog sich zurück. Der Arm um seine Brust verschwand. Darcean atmete tief durch.

      „Nichts für ungut“, sagte Chara und steckte das Messer weg. „Im Grunde hab ich nichts gegen Euch. Ist einfach nur blöd gelaufen.“ Sie öffnete die Tür und verschwand im Korridor, wo sie sofort von ihren beiden Wachen in die Mitte genommen wurde.

      Darcean massierte sich den Nacken und stand auf. Das war also die Oberkommandantin dieser Flotte … und so sahen ihre Problemlösungsstrategien aus.

      Mit gemischten Gefühlen griff er nach seinem Dolch, öffnete seinen Webgürtel und befestigte die Dolchscheide daran. Dann zog er seinen Kapuzenumhang vom Bettpfosten.

      Es würde ihm nicht erspart bleiben. Es war unabdingbar, Siralen über den Vorfall in Kenntnis zu setzen. Und da es erst früher Morgen war, befand sie sich vermutlich an Deck und widmete sich ganz ihrem Schwerttanz.

      Auf dem Weg zurück