„Sehr gut.“ Siralen erhob sich mit einem befreiten Lächeln. „Lasst den Mann eintreten, Admiral. Er ist mein Stellvertreter.“
„Jep.“ Mit einer etwas tollpatschig wirkenden Verbeugung trat Hagegard zur Seite und machte dem Neuankömmling Platz, der umgehend an ihm vorbei auf Siralen zuhielt … Schwebte wäre fast treffender.
„Tin salu ecra, Siralen“, begrüßte er sie mit einem winzigen Neigen seines Kopfes, was Siralen ihrerseits mit einem Nicken goutierte. „Es freut mich sehr, dass Ihr hier seid, Darcean.“
Sie wirkte tatsächlich erfreut … sehr sogar.
Nachdem Tauron sich davongemacht hatte, unterzog Chara den Elfen mit dem unmöglichen Namen einer eingehenden Untersuchung. Er sah aus wie die meisten Elfen ihrer Meinung nach eben so aussahen – schön und langweilig. Darceans Haar hatte wie das vieler anderer Elfen einen silbrigen Schimmer. Und wie bei allen anderen war es lang, glänzend, ja einfach ausgesprochen wundervoll. Er war eher schlank wie alle Elfen und mehr als andere von besonders würdevoller Schönheit, jedenfalls soweit Chara das beurteilen konnte. Nur hatte er, nach ihrem Dafürhalten, nicht die geringste Ausstrahlung und verblasste förmlich neben Siralen. Das, was dem Charaktermangel seines äußeren Erscheinungsbildes einen Hauch von Würze verpasste, waren seine Augen. Sie waren von unterschiedlicher Farbigkeit – eins grün, das andere blau.
Der Elf trug eine graue Robe mit weißen Ziernähten und hatte einen Stab aus Holz dabei, den er nun vorsichtig an die Tischkante lehnte. Es war zweifelsohne ein magischer Stab, ähnlich wie jener, den Chara einst bei Garon Kostolem gesehen hatte. Und damit war dieses Ding gefährlich. Ein Zauberkundiger konnte einen Teil seiner Magie in einen solchen Gegenstand bannen, um einen Spruch ohne Worte innerhalb eines Lidschlags auszulösen.
Bevor sich Kasai zu neuerlicher Redseligkeit hinreißen ließ, ergriff sie das Wort.
„Ich bin Chara. Und weil Ihr neu hier seid, werde ich Euch in die hier vorherrschenden Bräuche einführen.“
Ein kurzer Blick auf den Stuhl neben sich zeigte ihr, dass Kerrim eingeschlafen war. Sein Kinn war ihm auf die Brust gesunken, seine Pfeife aus dem Mund gerutscht und in den Schoß gefallen, und ein kaum hörbares Schnorcheln ließ seinen Mundwinkel flattern. Bei den Mächten, der Hatschmaschin war womöglich wirklich keine gute Wahl als Stellvertreter.
„Ich habe gehört, Ihr seid ein Druide“, wandte sie sich erneut dem Elfen zu.
Die Lider über den zweifarbigen Augen schlossen sich kurz – eine winzige Geste begleitet von einem noch winzigeren Nicken.
„Dann seid Ihr magisch begabt.“
„Alle unseres Volkes sind magisch begabt“, erklärte Darcean gelassen.
„Aber nicht alle spezialisieren ihre Begabung. Druiden bilden ihre Magie aus. Ihr seid zwar Siralens Stellvertreter, seid aber nichtsdestotrotz dem Expeditionskommando unterstellt. Als magisch begabter Elf zählt Ihr …“ Sie unterbrach sich und sah Siralen an. „… zu den Zauberkundigen?“
„Ein Druide lässt sich nicht eindeutig den Zauberkundigen zuordnen“, blieb Siralen auf der sicheren Seite und spielte damit ihrem Artverwandten in die Hände.
„Er ist doch der Zauberei kundig, oder nicht?“
„Das bin ich“, bestätigte Darcean. „Und ich bin hier. Ihr könnt mich auch direkt ansprechen, wenn es Euch denn gelegen kommt.“
„Kommt es.“ Chara lehnte sich zurück und sog an ihrer Pfeife. „Ihr seid ein Zauberkundiger und untersteht damit Lucretia L’Incarto.“
„Ich bin ein Druide und ein Druide ordnet sich einem Magier nicht unter. Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen druidischen Zaubern und Magie.“ Er zog einen Zweig aus einem seiner Beutel und hielt ihn hoch. „Möchtet Ihr, dass ich Euch diesen darlege?“
„Bitte darum.“
Darcean nickte huldvoll. „Magier sind mit der Natur nicht im Einklang. Druiden sehr wohl. Sie respektieren das natürliche Gesetz und ordnen sich diesem unter.“ Der Elf nahm den Zweig zwischen Daumen und Zeigefinger und bog ihn leicht. „Wir lernen, das Gesetz zu biegen, ohne es zu verletzen. Ein Magier, der fern der Natur eine Ausbildung in einer der großen Akademien genießt, lernt dies nicht.“ Mit einem kleinen Zucken der Unterlippe, zerbrach er den Zweig. „Sie biegen das Gesetz der Natur nicht nur, bisweilen brechen sie es. Und damit bringen sie den Weltgeist aus dem Gleichgewicht.“
Der Elf reagierte genauso, wie Chara es befürchtet hatte.
„Ich bin weder geneigt, Befehle zu befolgen, deren Hintergrund ich nicht kenne, noch mich einem Menschen zu unterstellen, auf den dasselbe zutrifft“, setzte er fort. „Ich toleriere, dass Ihr von höherer Stelle in dieses Kommando berufen wurdet. Doch ich selbst zähle mich zum Volk der Elfen und unterstehe damit allein Siralen. Ich fungiere hier ausschließlich als ihr Berater und Stellvertreter, wobei mir meine Ausbildung zum Rechtsgelehrten behilflich sein wird. Was die Kommandantin der Internen Sicherheit, die Befehlshaberin der Flotte, der Gelehrten, der Zauberkundigen … welcher Fraktion auch immer … denkt oder tut, betrifft mich nur in einem von mir frei gewählten Ausmaß.“
Chara zog ihre Pfeife aus dem Mund und beugte sich über den Tisch. „Irrtum, Darcean Dahoccu.“ Es waren die einzigen zwei seiner unzähligen Namen, die sie behalten hatte. „Es betrifft Euch sogar in vollem Umfang. Diese Mission befehligt das Expeditionskommando, mit anderen Worten ich, Lucretia L’Incarto und Siralen. Alle Mitglieder dieser Flotte unterstehen diesem Kommando, auch die Elfen. In aller Klarheit: Wenn ich in meiner Position als Flok einen Befehl erteile, halten sich alle innerhalb dieser Flotte befindlichen Seelen an diesen Befehl. Wenn Siralen in ihrer Position als Kommandantin der Landstreitkräfte einen Befehl an die Truppen ausgibt, halten sich alle den Truppen zu diesem Zeitpunkt zugeordneten Mitglieder an diesen Befehl … Habt Ihr das verstanden?“
Das Gesicht des Elfen versteinerte. „Ja, das habe ich. Und doch halte ich an meiner Entscheidung fest, gleich, wie sehr Euch diese widerstrebt. Ich bin Siralens Stellvertreter und werde meine Vorgesetzte nach bestem Wissen und Gewissen beraten und vertreten. Aber ich werde mich keineswegs den Befehlen eines Menschen unterwerfen, schon gar nicht eines Menschen, dem nachgesagt wird, dass er mit dem Chaos sympathisiert.“
„Darcean!“, griff Siralen ein und legte dem Elfen beruhigend ihre Hand auf den Arm.
Chara lehnte sich zurück. Offenbar hatte Langeladeon ganze Arbeit geleiset und dafür gesorgt, dass ihr ein gewisser Ruf vorauseilt.
„Tut, was Ihr nicht lassen könnt, Darcean Dahoccu. Und dann“, sie atmete langsam aus, „… lebt mit den Konsequenzen.“
Offenbar empfand der Druide Charas Rückzug als verdeckten Offensivschlag. Seine Hand schloss sich drohend um seinen magischen Stab, und Nok und Og stießen ein angriffslustiges „Akah!“ aus. Doch bevor der Elf eine ernstzunehmende Gefahr darstellen konnte, erstarrte er mit einem Mal zur Salzsäule.
Verblüfft fuhr Chara zu Ahrsa Kasai herum. Der Magus stand am Kopfende der Tafel. Seine schmalen Finger wiesen in Darceans Richtung. Seine Lippen, die sich gerade noch bewegt hatten, schlossen sich. Als er den Mund erneut öffnete, war seine sonst so unleidige Stimme schneidend geworden.
„Ich denke, Ihr solltet in Zukunft besser abwägen, was Ihr wem gegenüber in welcher Form zum Ausdruck bringt und was Ihr besser für Euch behaltet, Frau Pasiphae-Opoulos. Es scheint mir hier sehr an den rechten Umgangsformen zu mangeln, und Ihr scheint diesen Mangel für eine Selbstverständlichkeit zu halten.“
Chara verstand nicht. Was hatte sie denn gesagt?
Ahrsas Zeigefinger glitt Richtung Darcean und einige unverständliche Worte gingen über seine Lippen. Ein Ruck und Darcean erwachte abrupt aus seiner Starre.
„Und Ihr“, setzte Kasai schneidend fort, „tätet gut daran, Euch den Zauberkundigen an Bord dieses Schiffes unterzuordnen, Euch auf Euren Auftrag zu konzentrieren und dem Kommando weder zu drohen, noch seine Autorität in Frage zu stellen, auch wenn Euch eines seiner Mitglieder