Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 4: Lucretia L'Incarto. J. H. Praßl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: J. H. Praßl
Издательство: Bookwire
Серия: Chroniken von Chaos und Ordnung
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783862826186
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      Chara beobachtete, wie er sich umständlich den Stoff vom Gesicht fummelte. Selbst wenn Kerrim gereizt war, hatte er noch etwas Gewinnendes. Und was sie gesagt hatte, hatte sie auch gemeint – Kerrim war der Einzige, dem sie vertraute. Selbst wenn ihr Vertrauen darauf fußte, dass er wie sie ein Hatschmaschin war, war das ein ziemlich großes Zugeständnis. Intuitiv tastete sie nach dem Lederband um ihren Hals. Sie hatte sich die Phiole mit Al’Jebals Blut umgebunden und trug sie nun verborgen unter ihrem Hemd direkt über ihrem Herzen. Fast schon kitschig …

      An Deck war es ruhig. Es war Mittag und abgesehen vom zweiten Maat im Krähennest und den Piraten, die im Takelwerk hingen, war wenig los. Ein paar Männer würfelten am Vordeck um die Wette. Ein Hüne von einem Seemann hockte daneben und sah zu. Er hieß Kurn oder Kuhrn … möglicherweise auch Kuurn. Das war schwer zu sagen. Der Mann redete, als könnte er nicht bis drei zählen. Er hatte sich irgendwann in den letzten Tagen bei Chara vorgestellt.

      Als sie über das Poopdeck zur Offiziersmesse wollten, trafen sie auf Siralen, die gerade die Tür zur Messe aufstieß.

      „Chara. Herr Ben Yussef“, grüßte sie und trat ein. Sie trug wie meistens eine schlichte, naturfarbene Tunika über engen, blassgrünen Beinkleidern und hatte ihre Haare zu einem Zopf geflochten. „Wisst ihr, ob der Admiral an dieser Besprechung teilnehmen wird?“

      „Ich habe ihn nicht benachrichtigt“, antwortete Chara. „Ich dachte, es ginge lediglich darum, die Stellvertreter des Kommandos an einen Tisch zu holen.“ Sie ließ sich Siralen gegenüber in den Stuhl fallen, während Nok und Og ihre übliche Position in ihrem Rücken einnahmen, und Kerrim sich den Stuhl neben ihr schnappte. Irgendwo aus den unendlichen Tiefen seiner schwarzen Kleiderschichten tauchte ein Pfeifchen auf, das er großzügig mit Jhu-Ju stopfte.

      „Mein Stellvertreter müsste jeden Moment hier sein“, erklärte Siralen.

      „Hatte Tauron Einwände gegen das gemeinsame Elfenschiff?“, fragte Chara. Der Anbari erschien ihr noch immer als die beste Wahl für den Posten des Admirals. Jedenfalls für jemanden wie sie, der sich nichts aus langen Reden machte.

      „Er brachte keine Einwände zur Sprache.“ Siralen schob ihren silbernen Zopf in den Nacken und richtete sich in ihrem Stuhl ein. „Ich wollte mich noch bei dir bedanken, Chara.“

      „Wofür?“

      „Dass du mir in dieser Angelegenheit freie Hand gelassen hast.“

      „Ach das.“

      Schließlich wollte Siralen wissen, wie die Interne Sicherheit im Falle des Verratsverdachts vorzugehen plante, und Chara fragte sich, ob sie sie einweihen oder es unterlassen sollte. Kerrim schien sich an dem Thema nicht zu stoßen. Er paffte entspannt sein Pfeifchen und überließ es ihr, wie sie mit den empfindlichen Informationen verfuhr.

      „Wir lassen die Kommandoschiffe überwachen. Eine andere Möglichkeit sehe ich im Moment nicht.“

      „Denkst du, die Vizeadmiräle werden das zulassen?“, hakte Siralen nach.

      Bevor Chara antworten konnte, ging die Tür auf und ein schlanker Mann in bunten Roben betrat die Messe. Sein nussbraunes, bereits graumeliertes Haar war kinnlang und schnurgerade. Sein Gesicht konnte man ohne weiteres als markant bezeichnen – mit hohen Wangenknochen, einer schmalen, geraden Nase, leicht schräg gestellten Augen und einem glatt rasierten, kantigen Kinn. Alles an ihm war geordnet, gepflegt und sauber. Und trüge er nicht ein so unsäglich impertinentes Mienenspiel zur Schau, wäre er wahrscheinlich ein ansehnlicher Mann.

      „Verehrtes Kommando. Herr Ben Yussef“, grüßte Magus Primus Major Ahrsa Kasai mit knarziger Stimme. Sie klang als würde man eine Winde mit nassem Seil zu fest anziehen, sodass das Holz unter der Last … na eben knarzte.

      Unter seinem Arm trug er eine dicke Mappe aus dunkelbraunem Leder, in das sein Name eingeprägt war. Er legte das gute Stück in aller Behutsamkeit und wie selbstverständlich am Kopfende des Tisches ab, wobei es rein zufällig exakt mit der Tischkante abschloss. Dann streifte er seine bunte Robe glatt und ließ sich geschäftig in den Stuhl gleiten.

      „Ich entschuldige mich im Namen der ehrenwerten Kommandantin Lucretia L’Incarto vielmals für die Abwesenheit derselben“, begann er förmlich. „Sie ist leider unpässlich, was selbst bei einer Kommandantin ihres Ranges gelegentlich vorkommen kann. Darum werde ich heute für sie sprechen.“

      Na das kann ja heiter werden. Chara nahm sich ein Beispiel an Kerrim und verhalf sich ebenfalls zu einer Pfeife.

      Kasai zog nicht nur seine Aussagen, sondern auch einzelne Worte wie Kautschuk in die Länge. Darüber hinaus sprach er äußerst präzise, aber häufig in verschachtelten Sätzen, was auch jedes Gespräch mit ihm hinzog. Und Chara hatte es meistens eher eilig.

      „Was hat Lucretia denn?“, wollte sie wissen, brachte das Rauschkraut zum Glühen und sog die Droge tief in ihre Lungen. Besser.

      Die schmale Pfeilnase schwang zu ihr herum und eine duldsame Miene trat auf Kasais Gesicht: „Wie ich bereits sagte“, näselte er. „Frau L’Incarto ist unpässlich und sieht sich außerstande, der Besprechung beizuwohnen.“

      „Außerstande weil?“

      „Was war an meinen Worten für Euch nicht verständlich, Frau Pasiphae-Opoulos?“

      „So ziemlich alles“, gab Chara lakonisch zurück. „Weil darin nichts enthalten war, das man verstehen hätte können. Ist sie krank? Hat sie ihre Tage? Wurde sie … vergiftet?“

      Jetzt warf ihr Kerrim einen warnenden Blick zu und Chara verstummte. Das mit dem Gift hatte sie eigentlich nicht sagen wollen, aber seit ihrem gemeinsamen Einsatz in Isahara kam sie mit Lucretia nicht mehr so richtig klar, und in den letzten Tagen hatte sich die Magierin weitestgehend aus allem rausgehalten und sich primär mit dem dicklichen Moravi in ihrer Kajüte verbarrikadiert. Das gefiel ihr nicht.

      „Vergiftet? Wie darf ich das verstehen? Muss Frau L’Incarto etwa befürchten, vergiftet zu werden?“

      „Würde es Euch etwa gefallen, wenn es so wäre?“, unterbrach Chara ihn.

      Der Magus Primus zog in aller Ruhe ein Tintenfass aus seiner Gürteltasche, löste eine Feder aus einer Halterung an seinem Gürtel, tunkte sie in das Fass, klappte seine Mappe auf und ließ die Federspitze kratzend über das Pergament gleiten.

      „Frau Pasiphae-Opoulos“, bemerkte er ohne aufzusehen, aber dafür mit einer ganz besonders pointierten Betonung ihres Namens. „Ich habe ja bereits in Erfahrung gebracht, dass Ihr Vorbehalte den Magiern gegenüber habt, was bei einer Frau Eurer Profession nicht unbedingt verwunderlich ist, aber man sollte doch annehmen, dass, wenn jemand wie Ihr eine Kommandoposition innehat, er seine Vorurteile hintanstellen kann. Ich habe den Gerüchten über Euch, oder auch der Tatsache, dass Ihr eine Assassinin seid und – verzeiht mir bitte die Erwähnung dieser allgemein vertretenen Ansicht – Assassinen sozusagen per definitionem keine Führungsposition innehaben dürften, bisher keine Beachtung geschenkt, weil ich es für angebracht halte, mir selbst ein Bild zu machen, nicht wahr, Frau Pasiphae-Opoulos? Auch unter dem Gesichtspunkt, dass der Sprecher der Allianz diesem Kommando, aus welchem Grund auch immer, seine Zustimmung gegeben hat und ich diesem mit äußerstem Respekt gegenüberstehe. Nun, da ich mir mein Bild gemacht habe, scheinen sich sowohl die Gerüchte als auch meine, zugegeben vorgefasste Meinung über Assassinen in Kommandopositionen allerdings zu bestätigen.“

      Das Wörtchen Ich schien in seinen Ohren einen besonders schönen Klang zu haben. Und schon bei der Hälfte seines kleinen Vortrags hätte Chara ihm am liebsten seine fein säuberlich geordnete Mappe ins Gesicht geworfen – zumal schon nach dem ersten Satz klar war, worauf er hinauswollte. Zu ihrem und seinem Glück öffnete sich in diesem Moment die Tür, und Siralen stieß auf der anderen Seite des Tisches einen kaum vernehmlichen Seufzer der Erleichterung aus.

      Im Türrahmen stand Tauron und schottete den Blick auf einen Mann ab, der allem Anschein nach darauf wartete, an der Besprechung teilnehmen zu dürfen.

      „Tag auch. Ein Paket für die Sprecherin der Elfen“, bemerkte der Admiral und