„Ich bin nicht sicher, wo Eure Kompetenzen liegen, Frau Pasiphae-Opoulos“, kehrte Kasai zu seinem üblich schleppenden Sprechtempo zurück, setzte sich und nahm seine Dokumentation wieder auf. „Ich hoffe, ich täusche mich, aber ich habe das unangenehme Gefühl, Ihr könntet mit dem Kommandoposten leicht überfordert sein.“
Chara musterte ihn, während sie sich die Pfeife in den Mund steckte. Ahrsa Kahsai könnte damit durchaus recht haben. Doch sie hatte klare Anweisungen und würde diesbezüglich keinen Rückzieher machen. „Wenn Ihr nun so freundlich wärt, Siralen“, wandte sich Darcean seiner Vorgesetzten zu, als wäre nichts von Belang vorgefallen, „und mich in die Fakten einweiht?“
Siralen warf Chara einen forschenden Blick zu, bevor sie ihren Stellvertreter ins Bild setzte. Die Elfe sprach ruhig und klar, und Chara beschloss, den Mund zu halten und zuzuhören. Siralen legte Darcean die Indiziensammlung dar, die Al’Jebal ihnen nahegebracht hatte. Sie sprach vom Krieg gegen das Chaosbündnis und der Notwendigkeit, Verbündete zu finden. Sie berichtete von den Hypothesen einiger verrückter Gelehrter, die dachten, die Welt wäre rund und nicht etwa eine Scheibe, von den uralten Artefakten unbekannten Ursprungs, die in Grialburg bei Lapis Zahira verborgen gehalten wurden – jenem Gebiet, das ein Ring aus Drachen bewachte. Auch erzählte sie von den Vampiren und ihren Vorfahren – den Sieben, die vor fünfzigtausend Jahren zusammen mit Menschen und Gnomen in Amalea aufgetaucht waren, und von denen nur noch einer existierte.
Bei der Erwähnung der MacDragul lenkte Chara ihren Blick zu den heckseitigen Fenstern. Womöglich würde sie Lomond nicht wiedersehen und gerade jetzt machte ihr das etwas aus.
„Wir haben keine Zeit“, sagte sie und alle sahen sie an. „Wir müssen das Land, das irgendwo dort draußen sein soll, schnell finden. Wenn wir zu lange brauchen, ist Amalea dem Untergang geweiht.“
Siralen musterte sie. „Wie viel Zeit haben wir?“, fragte sie, als gäbe es keinerlei Zweifel daran, dass Chara wusste, wovon sie redete.
„Keine Ahnung. Ein, vielleicht zwei Jahre? Je länger es dauert, desto mehr werden sterben, bevor wir mit der Verstärkung zurückkehren.“
Chara erhob sich. Sie war schon auf dem Weg zur Tür, als Darcean eine Frage nachschob. „Gibt es sonst noch etwas, das Al’Jebal dem Kommando anvertraut hat und das ich wissen sollte?“
Einen Moment vergaß Chara, dass Al’Jebal ihr Namai und sie seine Hatschmaschin war. Und sie vergaß, dass ein Hatschmaschin das Geheimnis seines Meisters zu wahren hatte – überall, jederzeit, ausnahmslos.
„Da wäre noch die Sache mit den Schwarzen Assassinen“, sagte sie und hatte bereits die Hand an der Tür. „Es handelt sich dabei um Menschen mit kohlschwarzer Haut. Angeblich stammen sie von einem Kontinent südlich des Großen Abgrunds.“
Schon wollte sie nach draußen treten, da durchzuckte sie die Erkenntnis wie ein Blitz. Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Lauernd drehte sie sich um … und wurde sofort von Kerrims Blick in Beschlag genommen. Ihr Kollege sah aus, als wäre er unvermittelt aus einem schönen Traum gerissen worden. Sein Kiefer mahlte.
Scheiße.
Zu allem Überfluss begann jetzt auch noch Ahrsa Kasais Feder über seine verfluchten Aufzeichnungen zu kratzen, und Siralen sah aus, als wäre sie sich nicht sicher, ob hier gerade eine unerhörte Sache passiert war oder sie sich das nur einbildete.
„Ich werde diesen bedauerlichen Vorfall dem Sprecher der Allianz mitteilen müssen, nicht wahr?“, schnarrte Ahrsa Kasai. „Ich nehme an, Ihr versteht, dass das meine Pflicht ist, Frau Pasiphae-Opoulos.“
„Was?“, zischte Chara und war mit drei Schritten zurück an der Tafel. „Ihr wollt was?“
„Wie ich schon sagte, ich werde den Sprecher der Allianz davon unterrichten müssen, dass Ihr eines seiner wohl gehüteten Geheimnisse …“
Also hatte Al’Jebal Kasai persönlich in dieses Geheimnis eingeweiht. So wie Siralen, Lucretia und sie. Wieso? Wieso ausgerechnet ihn?
„Ich hab Euch schon verstanden, Kasai. Aber Ihr werdet nichts davon tun. Diese Angelegenheit geht Euch einen Scheißdreck an! Ihr seid nicht Al’Jebals Informant. Ihr seid vielleicht der hochrangigste Zauberkundige in dieser Flotte, aber Ihr seid kein Mann Al’Jebals. Ihr seid lediglich ein Mitglied der Allianz, wie es unzählige gibt und als solches seid Ihr L’Incarto unterstellt.“
Das war’s. Mehr hatte sie diesem arroganten Sack nicht zu sagen. Gefolgt von Nok und Og stiefelte Chara aus der Messe. Erst als sie am Hauptdeck war und tief Luft geholt hatte, kehrte eine gewisse Klarheit zurück. Nur war diese Klarheit alles andere als erleichternd. Sie hatte gerade zwei Fehler gemacht. Einer davon war unverzeihlich, der andere war ein winziger Baustein in dem Gebäude aus Fehlern, das ihr irgenwann über dem Kopf zusammenbrechen würde.
Chara blickte zurück. Wie erwartet öffnete sich die Tür zur Messe und Kerrim betrat das Poopdeck. Langsam stiefelte er die Treppe zum Hauptdeck hinunter und kam auf sie zu.
„Das war żiemelich dumm von dir, Chara.“
„Ich weiß.“
„Al’Jebal muss erfahren davon.“
„Ja, ich weiß. “
„Aber das ist gar nicht so das Problem von allem“, lenkte er ein. „Du ħast dich provozieren lassen und Kħasai gemacht deutlich, dass er nichts żu sagen ħat, dass er so żu sagen stehet unter dir.“
Chara stöhnte auf. „Ich kann diesen Kerl nicht ausstehen.“
„Das ist vollkommen egal, oder? Wir wissen doch genau, dass die Żauberkundigen betrachten ihr Gemächt als größer als das von allen anderen und wollen, dass wir erkennen, wie prächtig es ist, richtig?“
„Ich kann keine Rücksicht auf irgendwelcher Leute Schwänze nehmen.“
Kerrim klopfte seine Pfeife am Mast aus, ließ sie in seiner Gürteltasche verschwinden und steckte seine Hände in seine Manteltaschen.
„Verstehe ich, Chara. Das Problem ist, dass wir sind angewiesen auf das, was die Magier kħönnen laisten mit ihrem wundervollen Schnicke-Schnacke. Das bedeutet wiederum, dass wir sie müssen loben dafür, damit sie wollen zaigen ganż oft, was sie ħaben in der Ħose.“
„Ich reiß mich zusammen …“
„Ist daine Sache“, erwiderte er schulterzuckend. „Ich bin nur dain Stellvertreter.“
Er grinste und Chara spürte, wie ihre Braue hochging. „Was ist so witzig?“
„Kħaine Ahnung. Aber ich sehe, wir werden ħaben viel Spaß żusammen.“
Genau. Das war Kerrim. Er wusste einfach, wie man sie bei Laune hielt. Chara konnte sich nicht erinnern, dass es je einen anderen gegeben hatte, der darin erfolgreich gewesen wäre. Doch. Bargh. Auch der Vallander hatte diese seltene Begabung gehabt, und als er starb, starben die heiteren Momente gewissermaßen mit ihm.
Auf dem Weg in die Mannschaftsunterkünfte waren sie so schweigsam, dass sie sogar Nok und Og Konkurrenz machten. Doch als Chara in den Korridor zu den Kajüten abzweigen wollte, unterbrach Kerrim die Stille.
„Eh Chara? Mache dir kħaine Sorgen wegen Al’Jebal. Ich glaube, er wird überleben, dass sich der Kħrais der Aingewaiten ħat vergrößert um ainen Elfen. Jedenfalls wenn dieser Elf verstanden ħat, dass es tödlich kħann sain für ihn, wenn er spricht żuviel. “
Chara spürte, wie ein müdes Lächeln ihren Mundwinkel hob. „Weißt du, Kerrim … ich bin nicht sicher, wie ich Chara, die Kommandantin mit Chara, der Assassinin vereinbaren soll und ob das überhaupt möglich ist. “
„Das kħönnte