Greta und das Wunder von Gent. Katja Pelzer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Katja Pelzer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748564683
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fand das verletzend und sagte es auch. „Außerdem geht es im Leben nicht nur darum, gebraucht zu werden. Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst“, hörte Greta sich trotzig einen der Leitsätze von Tante Mia nachsagen.

      „Was weißt du denn schon? Du bist noch so jung.“

      „Aber ich habe Papa genauso verloren wie du“, sagte Greta. Im selben Augenblick hatte sie gewusst, dass dieser Satz ein Fehler gewesen war.

      „Maße dir bitte nicht an, unsere Beziehung nachvollziehen zu können. So etwas hast du noch nie erlebt. Und wenn du so weitermachst mit deinen Berührungsängsten, dann wirst du es auch niemals erleben.“

      Greta war beinahe froh gewesen über die Aggressivität in der Stimme ihrer Mutter. Sie hatte sie als einen Rest von Überlebenswillen gedeutet. Wie sehr sie sich getäuscht hatte. Die Mutter hatte Raubbau an ihrem Körper betrieben. Irgendwann versagte ihr das Herz den Dienst.

      Erst als auch die Mutter gestorben war, verstand Greta, was es hieß, ganz auf sich gestellt zu sein, konnte sie ermessen, wie viel die Eltern ihr gegeben hatten, trotz ihrer symbiotischen Beziehung.

      Greta gestand sich ein, dass sie genau danach suchte. Nach einem Band vergleichbar dem, das ihre Eltern verbunden hatte. Nur in einem wollte sie den beiden nicht nacheifern. Sollte sie je Kinder bekommen, sollten sich diese nicht davon ausgeschlossen fühlen, sondern genährt.

      Kapitel 2

      Ihre Kindheitsfreundin Miriam ließ Greta nach dem Tod der Mutter nicht zur Ruhe und auf dumme Gedanken kommen. Greta und Miriam gingen in die Düsseldorfer Altstadt, meistens auf die Ratinger Straße, mal abends, mal morgens. Sie aßen riesige Salate oder überbordende Frühstücksteller in der Uel, was rheinisch war für Eule, und tanzten nächtelang im Ratinger Hof, wo einst der Punk erfunden worden war. Doch längst war die ehemalige Künstlerkneipe zahm geworden.

      Am Wochenende gingen sie im Rheinstadion schwimmen oder in Kaiserswerth spazieren. Dort kehrten sie anschließend im Biergarten Ritter ein. Lernten Männer kennen, denen sie nicht ihre Telefonnummern gaben.

      Manchmal gingen sie sonntags in die Jazzkneipe Miles smiles, um Livemusik zu hören, wenn es einmal nicht die Ratinger Straße sein sollte. Dort lernte Miriam irgendwann ihren späteren Mann kennen, mit dem sie mittlerweile zwei Kinder hatte.

      Während all dieser Zeit war Greta eine Beobachterin gewesen. Das Leben schien sich auf einer Leinwand abzuspielen und sie schaute den anderen zu. Bei ihren Lieben und Abenteuern. Greta war auf der sicheren Seite. Gefühle aus zweiter Hand taten nicht weh, blieben ohne Konsequenzen. Gleichzeitig sehnte sie sich in einer der hintersten Ecken ihres Herzens nach eigenem Erleben. Nach einer Liebe, wie ihre Eltern sie ihr vorgelebt hatten, wenn dieses Vorbild sie häufig genug auch hemmte.

      Regelmäßig hatte das Leben Greta einen Mann vor die Füße gespült wie Strandgut. Sie hob es auf, besah es von allen Seiten und warf es zurück in die Wellen. Es passte nicht. Der Aufwand lohnte nicht. Franz, David, Andreas – Namen ohne Belang. Für eines dieser störanfälligen Ökosysteme, genannt Paarbeziehung, taugten sie alle nicht.

      Dann kam Daniel. Greta war gerade

      dreißig geworden und schon ein paar Jahre Kulturredakteurin. Daniel war Reporter bei der gleichen Zeitung, für die Greta immer noch arbeitete.

      Sie waren sich auf einer Jubiläumsfeier des Verlags begegnet, bei dem das Blatt erschien. Greta war beim Umdrehen am Buffet versehentlich gegen sein Rotweinglas gestoßen und danach war Daniels Hemd ruiniert.

      Er hatte genervt geschaut. Als er aber ihr erschrockenes Gesicht gesehen und ihr entsetzt hingeworfenes „Oh nein! Entschuldigung!“ vernommen hatte, sagte er lachend: „Ein Glück! Das Hemd muss ich jetzt nicht mehr anziehen. Ich hasse Hemden. Ich komme mir da drin verkleidet und eingesperrt vor wie bei meiner eigenen Konfirmation. “

      Greta hatte erleichtert in sein Lachen eingestimmt und danach war Daniel ihr für den Rest des Abends nicht mehr von der Seite gewichen.

      Daniel war groß, hatte breite Schultern und schwarzes Haar, dessen Strähnen ihm häufig in die hellgrünen Augen fielen. Doch das Erste, was Greta auffiel, war seine Stimme. Sie war tief, voll und doch weich und erreichte sie sofort.

      Der gemeinsame Beruf verband sie kaum, denn Daniel interessierte sich nicht sonderlich für Kultur. Die einzige Ausnahme waren Filme. Doch hier kamen sie selten auf einen gemeinsamen Nenner, weil Daniel lieber Actionstreifen schaute, Greta dagegen alte Filme, romantische Komödien und Arthouse-Streifen bevorzugte. Einziger Kompromiss waren subtile Thriller, Marvel-Comic-Verfilmungen und Science-Fiction. Was nicht passte, bemerkten sie naturgemäß in den ersten Monaten ihrer Beziehung nicht. Sie liebten beide gutes Essen und ein schönes Glas Wein. Ansonsten fielen sie übereinander her, sobald sich die Gelegenheit bot. Der Beginn ihrer Beziehung war rauschhaft. Doch nicht auf eine zehrende Art und Weise. Man verbrannte sich nicht dabei. Von ihrer ersten Begegnung an fühlte Greta, dass Daniel ihr gut tat. Jedes Wort, jede Geste und jede Berührung, die sie mit ihm austauschte, ließen sie das Leben am eigenen Leib spüren. Ihre Körper waren wie Antworten aufeinander.

      Der Funke, der dieses Mal übersprang, wärmte nicht nur, er wuchs täglich. Genährt durch Gesten, Blicke und nicht zuletzt Gespräche.

      Daniel war belesen, klug und engagiert. Er brannte für das, was er tat, und strahlte dennoch eine ungeheure Ruhe aus.

      Seine Reportagen waren nicht selten investigativ. Er deckte mit Vorliebe unbequeme Geschichten auf. Er übernachtete mit Obdachlosen, um ihre Sicht der Dinge aufzuzeigen, recherchierte über die organisierte Kriminalität in Nordrhein-Westfalen oder die Kohleförderung in ihrem Bundesland, kurz nachdem das Kyoto-Protokoll verfasst worden war.

      Daniel wirkte wie der reinste Gegenentwurf zu Nick, der vor allem an sich selbst interessiert war. Greta hatte daher auch keinen Sinn darin gesehen, die beiden einander vorzustellen. Sie hatte es für Verschwendung von Daniels Zeit gehalten. Nick war zu jener Zeit ohnehin nicht mehr in Düsseldorf gewesen, sondern lebte in Frankfurt. Und Daniel hatte nicht darauf beharrt, ihn zu treffen. Ihm war die Bekanntschaft mit Tante Mia wichtig gewesen, weil er ihre Bedeutung für Greta erkannte. Mia wiederum hatte ihm sehr gefallen. Ihre trotz des hohen Alters ungebremste Lebensfreude hatte ihm imponiert.

      Daniels Leidenschaft neben Greta und seiner Arbeit war sein Motorrad gewesen. Wenn möglich, ging er zu Fuß zu Terminen. Zu allem anderen fuhr er mit dem Bike. Greta hatte anfangs nichts übrig gehabt für das laute knatternde Ding. Sie hasste es, wenn er damit unterwegs war, denn sie hatte Motorradfahrer immer als vorwitzig erlebt, als draufgängerisch, in völliger Diskrepanz zu ihrer totalen Schutzlosigkeit. Der frühe Tod ihrer Eltern hatte einen vorsichtigen Menschen aus ihr gemacht. Sie fühlte sich verletzlich.

      Als Daniel Greta einmal zu ihrer Großtante ins Bergische begleiten wollte, bedeutete er ihr, hinter ihm Platz zu nehmen, und reichte ihr einen Helm, den er extra für sie gekauft hatte. Als sie hinter ihm saß, die Arme fest um seinen vertrauten Leib geschlungen und die Welt durch seine Augen betrachtete, fühlte sie sich unerwartet frei und beglückt. Es hatte nicht viel gefehlt und sie hätten abgehoben.

      Der nächste Ausflug führte sie nach Arnheim. Daniel nahm sie mit in einen Coffeeshop und sie ließen sich die verschiedenen Haschischarten erklären. Greta bat den Mann hinter der Theke, ihr den richtigen Stoff für das erste Mal zu empfehlen. Er bereitete ihnen Northern Lights in einer Wasserpfeife zu. Sie wechselten sich bei den Zügen ab. Die Wirkung setzte erst allmählich ein, so als würde jemand ihre Seele kitzeln. Alles war auf einmal ganz hell. Greta fing an zu lachen, konnte gar nicht mehr aufhören zu glucksen. Daniel schaute sie amüsiert an. Auf ihn hatte der Stoff eine andere Wirkung. Er wollte schnell zurück ins Hotel. Aber wo war das Hotel? Sie standen auf der Straße und konnten sich nicht erinnern. Greta bekam ihre nächste Lachattacke. Nachdem sie sich einigermaßen beruhigt hatte, irrten sie noch eine Weile umher und fragten schließlich einen Passanten nach dem Weg.

      Zurück im Zimmer schliefen sie drei Stunden miteinander. Greta nickte zwischendurch immer wieder ein und entdeckte bei jedem Aufwachen Daniels