Als nun Pastor Koch an der Reihe ist, bedankt sich der Beamte für seine Hilfe, zeichnet ohne hineinzuschauen seine Tasche ab und Albert ist an der Reihe.
Dieser ist noch ganz baff vom Pastor, als ihn der Zollbeamte verärgert zum wiederholten Male fragt, ob er etwas zu verzollen hätte. Als Albert dies verspätet verneint, nimmt der Zollbeamte seine Tasche in die Hand und räumt alles auf den Tisch. Man soll einen viel beschäftigten Beamten nicht warten lassen. Albert bereut es, dass er einen Satz Kleidung zum Wechseln in seinem Handgepäck verstaut hatte, denn ganz oben auf dem Stapel, den der „nette“ Beamte aus seiner Tasche holte, liegt natürlich seine Unterwäsche und der gute Albert merkt wie sich Isabell und Sophie hinter ihm amüsieren. Jetzt ist auch er genervt und gestresst und begibt sich murrend in den Warteraum, wo er Pastor Koch trifft. „Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu. Wenn die wüssten, was Sie alles in ihrer Tasche haben, hätte man Sie wohl eingesperrt.“ „Wieso sind Sie denn so gereizt mein lieber Herr de Menier, ich habe Ihnen doch gesagt, dass der Herr für mich sorgt und ich noch nie eine Tasche öffnen musste.“ „Wir werden sehen, ob Sie auch bei der Kontrolle an der Französischen Grenze davonkommen“, entgegnet Albert und ist wirklich gespannt, ob der Pastor beim nächsten Zollamt erwischt wird.
„Das ist ein Skandal!“ mit diesen Worten taucht Isabell hinter den beiden Herren wutschnaubend auf. Süß wie sie aussieht, wenn sie wütend ist. Sie lässt sich auch kaum von Sophie beruhigen, bis sie dann erzählt, wieso Isabell so aufgebracht ist. „Ich wollte meinen Vater überraschen und ihm zwei Packungen seiner Lieblings-Zigaretten mitbringen, da er die in Paris nicht bekommt und da nimmt man mir die eine weg und sagt mir, ich dürfte nur 12 Stück mitnehmen. Ich wette der hässliche Kerl raucht sie nach Feierabend.“ „Wussten Sie nicht, dass man nicht mehr einführen darf? Sie hätten doch die anderen 12 Zigaretten Fräulein Sophie geben können, dann hätte jeder die maximale Menge gehabt“, als Albert dies erwähnt, ärgert sie sich noch mehr. „Wieso habe ich nicht selbst daran gedacht! Aber wenn der Beamte so mürrisch guckt, kann man nicht nachdenken. Wenigstens musste ich nicht meine Geheimnisse, wie Sie die ihren offenbaren.“ Womit sie wohl auf die Unterwäsche, die Albert auspacken musste, anspielt und den Ärger an den armen Albert auslässt. Dieser schmollt kurz, und bevor er noch etwas erwidern kann flüstert ihm Sophie zu: „Machen Sie sich nichts daraus, Sie sind mit Sicherheit nicht der erste, der so bloßgestellt wird, nachher tut es ihr sicherlich leid, dass sie etwas zu ihrer peinlichen Situation von vorhin gesagt hat.“ Bevor das Thema noch weiter erörtert wird, öffnen sich zum Glück die Türen des Warteraumes und alle können wieder in den Zug steigen.
Während die Gesellschaft ihr Abteil betritt, wendet sich Isabell an Albert: „Es tut mir schrecklich leid Herr de Menier, dass ich Sie so bloßgestellt habe, aber ich war in diesem Moment so verärgert und da geht manchmal das Temperament mit mir durch.“ „Es ist schon gut Fräulein Schubert, machen Sie sich keine Gedanken, ich bin hart im Nehmen, so eine Kleinigkeit bringt mich nicht aus der Ruhe.“
Um wieder Ordnung in das Abteil zu bringen, beginnt der Pastor mit einer Unterhaltung, und nicht wie zu erwarten, über Essen oder Kolonien, nein, er wendet sich an Isabell: „Bereuen Sie es nicht, dass Sie am 6. Mai nicht in Berlin sind? Da ist doch der Geburtstag unseres Kronprinzen und die große Feier zu seiner Volljährigkeit.“ „Das habe ich mir auch schon überlegt, wie ich das bewerkstelligen soll, eigentlich muss man da in Berlin sein, selbst der österreichische Kaiser Franz kommt mit Erzherzog Ferdinand zwei Tage zuvor am 4. Mai in die Stadt. Der österreichische Kaiser war das letzte Mal kurz nach dem Tode seines Sohnes da - und da war ich noch ein kleines Mädchen. Die ganze Stadt wird in einem Ausnahmezustand verfallen. Man wird keinen Friseurtermin mehr bekommen, die Schneider sind ausgebucht, die Schuster haben keine Zeit mehr und bei den Juwelieren gibt es nur noch den langweiligen Rest, mit dem man kaum auffällt, also wie gesagt eine Katastrophe.
Was denken Sie wie es wäre, wenn ich dort mit einem Kleid von einem der Pariser Schneider der Grande Couture wie Redfern, Felix oder einem anderen aus dem Quartier de l`Opéra oder de la Bourse auftauchen würde, die würden sich alle nach mir umdrehen. Vielleicht lasse ich mir noch ein schönes Schmuckstück bei einem der Juweliere aus der Rue de la Paix anfertigen, die Zeichner kommen direkt zu mir nach Hause und entwerfen ein Schmuckstück nach meinen Vorstellungen. Natürlich wäre es sinnvoll, wenn ich davor schon ein passendes Kleid als Grundlage hätte.“ „Glauben Sie, dass Sie das alles zeitlich hinbekommen? Vor allem müssten Sie sehr früh aus Paris zurück fahren. Es wäre doch schade, wenn Sie nur die Hälfte dieser schönen Stadt sehen würden.“ Mit diesen Worten versucht der junge Albert sein Bedauern zu äußern, dass diese hübsche Frau so schnell wieder aus seinem Leben gerissen wird – er kann Paris schließlich das nächste halbe Jahr nicht verlassen. Die Stadt der Liebe verwandelt sich für Albert wohl sehr schnell in die Stadt der Trauer und der Sehnsüchte.
„Wenn ich mir etwas vorgenommen habe, habe ich es bisher auch immer geschafft. Das wird ein enger Zeitplan, aber ich werde es schaffen nach Berlin zurückzufahren, meinen großen Auftritt zu haben und anschließend wieder nach Paris zurückzukommen und den Rest der Stadt und der Ausstellung zu genießen. Ich kann mir eben diese Gelegenheit nicht entgehen lassen, es kommen aus allen Herren Länder die Vertreter. Unter anderem auch die Kronprinzen aus Italien und Rumänien, der Herzog von York, der russische Großfürst Konstantinowitsch, die Prinzen Karl von Schweden, Leopold von Bayern und Albrecht von Württemberg…“
„Sie können sich doch den ganzen Stress sparen, im Deutschen Haus auf der Ausstellung wird es exorbitante Feierlichkeiten zu diesem großen Tage geben, wenn nicht dort, dann mit Sicherheit im deutschen Konsulat. Es werden zwar keine Prinzen und Herzöge aus allen Herren Ländern da sein, aber zumindest werden Sie mich antreffen“, meldet sich Albert mit einem verschmitzten Lächeln zu Wort, ohne zu wissen wie Isabell darauf reagiert. „Aber Herr de Menier, so verlockend sich das auch anhört, habe ich doch gesellschaftliche Pflichten und muss mich in Berlin sehen lassen.“ Albert merkt, dass man Isabells Herz nicht so leicht erobern kann. Vielleicht ist es jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.
Man glaubt gar nicht wie schnell die Zeit vergeht, da der Zug schon wieder langsamer wird und zum Stillstand kommt - sie haben die Französische Grenze erreicht.
Langsam öffnet Lotte ihre Augen, ihr Schädel brummt, was ist nur geschehen? Es ist dunkel, nur unter einem Türspalt dringt etwas spärliches Licht an den Ort, wo sie sich befindet. Sie ist etwas verwirrt, sie war doch gerade mit Phillipe im Park, und die Sonne hat ihre Nase gekitzelt, was ist nur geschehen? „Phillipe? Phillipe? Bist du da?“ Leider bekommt sie keine Antwort. Oh mein Gott, was ist nur passiert? Hoffentlich ist Philippe nichts geschehen. Sie versucht sich im Dunkeln zurechtzufinden. Vorsichtig steht sie auf und tastet sich vorwärts, sie kann einen kleinen Tisch ertasten und mit äußerster Vorsicht spürt sie etwas auf diesem. Lotte erkennt dieses Objekt, als sie es in die Hand nimmt. Es ist tatsächlich eine Petroleumlampe. Wo eine Lampe ist, wird das Feuer nicht weit sein, sie tastet weiter auf der Tischoberfläche und hat Glück, das fühlt sich wie eine Streichholzschachtel an. Nervös öffnet sie es und holt ein Zündhölzchen heraus. Sie ist sich nicht ganz sicher, ob sie wirklich sehen will, wo sie ist, die Dunkelheit hat momentan auch