„Also nicht alle sympathisieren mit den Buren, zumindest nicht die offiziellen der Regierung. Der Kaiser hat dem englischen Botschafter zu dem missglückten Attentat seine Glückwünsche entsendet. Und auch ich bin fest der Meinung, dass so ein Krieg unnötig ist. In den deutschen Kolonien wurde ich stets freundlich empfangen, vor allem in Afrika, da haben sie die christlichen Lehren schneller angenommen als anderswo...“ Nun fängt Pastor Koch wieder zu erzählen an, man muss schon Angst haben das er dabei erstickt, da er beim Reden kaum Luft holt. Hauptsächlich erzählt er über die Eingeborenen und vor allem über ihre Küche. Fräulein Schubert scheint an den Erzählungen sehr interessiert zu sein während ihre Zofe Fräulein Sophie die Augen geschlossen hat und ein bisschen schläft. Während die Landschaft am Fenster vorüberzieht, schließt auch der junge Albert de Menier seine Augen, da die Fahrt noch sehr lange dauert.
Im Bois de Bologne, dem großen Pariser Park am Rande der Stadt, zwitschern die Vögel, und ein zarter Wind bewegt die Blätter der großen alten Bäume. Im Schatten einer alten Eiche sitzen eine junge Frau und ein junger Herr mit ihrem Picknickkorb auf einer Decke. Aus einiger Entfernung hallt aus einem Zigeunerlager freudige Musik zu ihnen herüber. „Oh Phillipe, es ist so schön hier, ich möchte hier nie wieder weg.“ „Aber Lotte, wovon sollen wir dann leben?“ „Von Luft und Liebe!“ „Liebe? Wie meinst du das?“ Das junge Mädchen ist aufgeregt. Jetzt ist wohl der richtige Moment. Sie sollte ihm ihre Liebe gestehen. Ihre Hände fangen an zu schwitzen, ihre Stimme wird ganz klein und sie bekommt fast keinen Ton heraus, aber sie reist sich zusammen. „Muss ich dir das noch sagen?“ „Was meinst du?“ fragt der junge Mann etwas distanziert.
Wieso ist er mit ihr zum Picknick gegangen, wenn er nicht auch etwas empfindet? Wieso fragt er so seltsam? Ist es nicht seine Aufgabe, vor ihr auf die Knie zu fallen und ihr Liebesschwüre zu bekunden? Lotte fängt zu zweifeln an und traut sich nun doch nicht, ihm ihre Gefühle zu gestehen. Vielleicht gibt es an diesem Tag eine andere Gelegenheit. „Lotte, setz dich mit dem Sonnenschirm auf die Decke und leg dich zurück, dann mache ich ein schönes Foto von dir. Das schenke ich dir dann, wenn ich es entwickelt habe.“ Die junge Mademoiselle folgt seinen Anweisungen und schaut ihn dabei ganz verliebt an. Warum stürzt er sich nicht auf mich, es ist doch niemand weit und breit? Was stimmt nicht mit ihm, sie würde ihn nicht abweisen, heute wäre der richtige Tag. Stimmt vielleicht etwas nicht mit ihr? Der junge Mann hält Distanz, er berührt sie nicht einmal zufällig oder sucht ihre Nähe. Kann es sein, dass er sich nicht traut? Kaum hat er das Foto gemacht, kommt er zu ihr zurück und fängt an, den Picknickkorb auszuräumen. Neben einem Baguette und einer kalten Poularde holt er noch eine Flasche Wein hervor. Wahrscheinlich muss er sich erst noch Mut antrinken. Da verzeiht sie ihm, wenn er trinkt, solange es nicht zur Gewohnheit wird. Er schenkt beiden ein und schaut ihr tief in die Augen. Jetzt ist es so weit, jetzt wird er sich trauen, denkt sie sich. Er prostet ihr zu und lächelt dabei, die Gläser geben ein leises Klirren von sich, als sie sich treffen. Mit einem hoffnungsvollen und erwartungsvollen Blick trinkt sie einen kräftigen Schluck, da auch sie hofft, dass der Wein ihre Befürchtungen hinwegspült. Er schaut ihr beim Trinken verträumt zu und lächelt sie an. „Oh Phillipe, was ist auf einmal los, ich fühle mich so eigenartig, ich fühle mich plötzlich so schwach, hilf mi…“ Sie kippt auf einmal nach hinten um, verträgt sie so wenig? Der junge Mann schaut sich um ob jemand in der Nähe ist, steht auf und eilt zu ihr hin…
„Oh sehen Sie, Herr de Menier ist doch tatsächlich eingeschlafen“, bemerkt Pastor Koch zu Fräulein Schubert. „Bei der langen Reise nach Paris ist es auch kein Wunder. Es wäre gut, wenn während der Reise hier im Abteil immer jemand wach ist. Sogar in Europa kann man schnell ausgeraubt werden. Ich habe schon so manches Lehrgeld bezahlt.“ „Das kann ich mir vorstellen Herr Pastor, aber wie haben Sie überlebt, wenn Sie ihr Geld in fernen Ländern, wie zum Beispiel in Afrika oder Asien verloren haben, wie kamen Sie dann ohne Geld zu Recht?“ „Das Geheimnis ist, sein Geld weitestgehend zu verstecken und nur so viel in der Börse zu behalten, wie man für den Tag braucht. Andererseits habe ich aber auch schon gute Erfahrungen gemacht. Menschen – mögen sie noch so arm sein – helfen gerne. Ich habe immer versucht so viel Geld zu verstecken, das ich zur Not zur nächsten großen Stadt komme, in der ich mir dann neues Geld anweisen lassen kann, oder dass ich zur nächsten Mission, oder zum nächsten Kloster komme.“
„Ich möchte diese nette Unterhaltung nicht unterbrechen, aber Sophie und ich sollten langsam in den Speisewagen gehen, bevor wir keinen Platz mehr bekommen. Es wäre schön, wenn Sie uns begleiten würden, aber wie Sie schon sagten, ist es besser, wenn immer jemand ein Augenmerk auf das Gepäck hat. Wären Sie so lieb und schauen auch nach unserem Handgepäck?“ säuselt Fräulein Schubert mit einem Augenaufschlag, bei dem jeder Mann dahinschmelzen würde. „Aber natürlich, das mache ich sehr gerne, außerdem habe ich die Hilfe der Polizei, wenn Herr de Menier wieder aufwacht“, scherzt der Pastor höflich zurück.
Fräulein Schubert schnappt sich Sophie, die ein bisschen vor sich hindöste und verschwindet mit ihr aus dem Abteil. Die beiden machen sich auf den Weg in den Speisewagen.
„Kaum zu glauben, du hast schon wieder einen Verehrer“, grinst Sophie Isabell an, während sie durch die Waggons gehen. Isabell ist nicht nur Sophies „Arbeitgeberin“, sondern auch ihre beste Freundin. Sind sie unter sich, merkt man nichts von einem Angestelltenverhältnis. „Glaubst du wirklich? Meinst du den Pastor oder Herrn de Menier?“ „Tu nicht so, als hättest du das nicht gemerkt. Herr de Menier konnte dich kaum anschauen und wurde rot im Gesicht, das fand ich sogar recht süß. Er scheint mir nur ein bisschen schüchtern zu sein.“ „Wenn du ihn so süß findest, kannst du dich gerne um Ihn bemühen. Ich befürchte, dass mich ein schüchterner Mann schnell langweilen wird. Ich brauche jemanden, der mich in die entferntesten Ecken der Welt entführt und sich todesmutig jeder Gefahr stellt, um mich zu beschützen. Er muss mich vor den Pranken der indischen Tiger retten, mich aus den Klauen siamesischer Piraten befreien und mich vom Totempfahl der amerikanischen Indianer losschneiden. So sieht der richtige Mann für mich aus!“ „Oh Isabell, du liest zu viele Liebesromane. Glaubst du, so einem Mann reicht eine einzige Frau? Wenn der Alltag an die Türe klopft, wirst du vom indischen Tiger gefressen, von den Piraten über die Planke geschickt oder wartest bis zur Unendlichkeit am Marterpfahl der Indianer. Ein Mann, der ein bisschen schüchtern ist, wird dir treu sein.“ „Treue will ich ja auch, aber es muss doch auch einen Mann geben, der alles für mich riskiert, mir trotzdem ein Leben lang treu bleibt und ein guter Vater für meine Kinder wird.“ „Natürlich gibt es solche Männer, aber die haben dir Schneewittchen und Dornröschen schon weggeschnappt. Ich denke Herr de Menier ist nicht der Traumprinz, aber ich finde ihn doch sehr nett.“ „Ja, er scheint nett zu sein, und Aussehen tut er auch nicht so schlecht, aber mein Vater würde mich enterben, wenn ich mit einem Mann ankomme, der keinen Titel oder keine Fabrik besitzt. Wie gesagt, du kannst dich ja um ihn bemühen.“ „Daraus wird wohl nichts, er hat nur Augen für dich und das wäre kein guter Start. Ein Mann soll nur Augen für mich haben. Eine Frau sollte nicht um einen Mann kämpfen müssen, wie du schon sagtest, ein Mann hat die Pflicht, um die Frau seines Herzens zu kämpfen.“ „Ach Papperlapapp, du bist zu zimperlich, Männern muss man den richtigen Weg weisen, wenn er merkt, dass er bei mir keine Chancen hat, schlägt deine Stunde, dann kannst du ihn trösten.“ „Ich weiß nicht recht, das fühlt sich nicht richtig an. Ich glaube wir sollten das Thema wechseln, hast du schon gewählt, was du essen willst?“ versucht Sophie sich zu retten. „In Ordnung, lassen wir das Thema, aber denke daran, wir Frauen sind in der Überzahl, auf 5 Millionen heiratsfähige Männer kommen 6 Millionen Frauen, da geht so manche leer aus, am Ende stirbst du noch als alte Jungfer. Zur Not kannst du vielleicht eine Braut Gottes werden und dich in ein Kloster begeben. Oder du könntest in die Kolonien gehen, da herrscht noch Frauenmangel“, stichelt Isabell noch einmal nach.
Bevor Sophie allerdings antworten kann, unterbricht sie der Kellner und nimmt die Bestellung auf. „Hast du deinem Vater Bescheid gesagt, wann wir morgen in Paris ankommen? Er wollte uns doch Klaus den Fahrer schicken, um uns am Bahnhof abzuholen.“ „Oh, das habe ich doch tatsächlich vergessen. Aber was soll`s, das wird sicherlich ein Spaß mit den öffentlichen Verkehrsmitteln durch Paris zu reisen. Das wird