Beim Verlassen des Hauses, hören Sie aus der Ferne die Musik einer Blaskapelle, die immer lauter wird. Erst dachten beide an eine Militärparade, aber dafür sind es zu wenige und es sind auch zahlreiche Frauen darunter. Diese tragen hellblaue Uniformen, die keine Armee der Welt tragen würde.
Isabell fragt eine Passantin, was dies für ein Schauspiel sei. „Das sind die „Gotteskinder von Paris“, eine Gruppe von Gläubigen, die sich seit kurzem hier in Paris ausbreiten, sie sind für Zucht und Ordnung und versuchen den Teufel zu bekämpfen. Kein Alkohol, keine Freuden, nur Singen und Beten für das Seelenheil. Sie marschieren im Namen Gottes!“ Ein bisschen erinnert das an die Heilsarmee in Berlin mit ihren Halleluja-Mädchen, die die Seelen von Sündern retten wollen.
„Jetzt müssen wir uns aber sputen, der Tag dauert nicht ewig, ich muss für morgen noch einen Friseur finden, der noch einen Termin frei hat, wenn ich Pech habe sind die Guten schon alle ausgebucht. In die Rue de la Paix schaffen wir es heute sowieso nicht mehr, dafür ist es zu spät. Die Grande Couture muss eben warten, wir sind schließlich noch mehrere Tage hier in Paris.“ „Wieso sind wir eigentlich nicht schon früher hergereist, dann hätten wir nicht so viel Stress?“ stellt Sophie die berechtigte Frage. „Sophie, Sophie, du weißt doch, dass ich Verpflichtungen in Berlin habe, bei denen ich nicht immer so planen kann, wie ich möchte. Ich wurde doch vorgestern noch in den Salon von Frau Hirschfeld eingeladen und da kann man nicht absagen. Manche warten Jahre, um eingeladen zu werden. Die Einladung kam zwar recht kurzfristig, aber ich wurde eingeladen! Im Großen und Ganzen war der Abend nicht wirklich nach meinem Geschmack. Erst wurde über langweilige Kunst und noch langweiligere Wohltätigkeitsarbeiten beim Tee geredet und dann haben auch noch ihre Nichten ein paar Duette gesungen. Wäre es nicht der Salon von Frau Hirschfeld gewesen, wäre ich nicht hingegangen, aber wenigstens kann ich jetzt sagen, ich war dort. Dummerweise waren auch nur ältere Damen anwesend, bei deren Themen wäre ich auch beinahe eingeschlafen, aber was sein muss, muss sein.“
Die beiden klappern die Friseure ab, um noch einen Termin zu bekommen. Als sie gerade den 5. Laden betreten, hört Isabell eine bekannte Stimme ihren Namen übertrieben langgezogen säuselnd rufen: „Isabell, wie schön dich hier zu treffen, es muss eine Ewigkeit her sein, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe. Ich habe dich sofort an diesem Kleid erkannt, das hattest du doch auch schon das letzte Mal an als wir uns trafen, oder? Ach ja man sollte auch sparsam sein. Hier in Paris gibt es eine Menge Kaufhäuser, in denen du dir günstige Konfektionskleider kaufen kannst, oder du gehst nach Montrouge und holst sie dir direkt in den Fabriken. Ach wie schön ist es dich hier zu sehen.“
Das kann doch nicht wahr sein, jetzt reist man 1.200 km weit, und wen muss man da treffen? Diese arrogante Konstanze von Trapnitz mit ihrer Zofe!
„Konstanze meine Liebe, wie habe ich dich vermisst, wie schick du wieder aussiehst, hast du dieses Kleid im Wohltätigkeitsbazar gekauft? Ich glaube so eines habe ich letztes Jahr dort abgegeben. Wie kommst du nach Paris?“ entgegnet Isabell angespannt.
„Ach, ich bin schon eine Woche hier und habe gerade noch den letzten freien Friseurtermin für morgen bekommen, es scheint mir, als spielt die Stadt wegen der Eröffnungsfeier verrückt.“ „Bist du alleine hier in Paris?“ „Aber nein, erinnerst du dich an den netten Leutnant vom letzten Ball? Den, mit dem du getanzt hattest. Nun ja, wir sind jetzt verlobt, und er hat mich hierher eingeladen, da sein Vater eine Fabrik für Rüstungsgüter besitzt. Wir haben morgen bei der Eröffnungsfeier tolle Plätze bekommen, noch weiter vorne, und ich würde auf dem Schoss des Präsidenten sitzen.“ „Schön für dich, da gratuliere ich dir doch gleich zu deiner Verlobung. Wenigstens hat dein Verlobter Geld, denn tanzen konnte der nicht, mir tun heute immer noch die Füße weh.“
„Du bist ja reizend, wie eh und je, ich dachte schon, ich hätte ihn dir weggeschnappt. Aus schlechtem Gewissen hatte ich dir etwas Gutes tun wollen und dir einen Termin im Salon von Frau Hirschfeld organisiert. Ich musste dafür sogar ein bisschen flunkern, ich sagte, du engagierst dich so sehr für die Wohltätigkeit und du bist ein Kenner in der Kunstszene. Außerdem liebst du doch Kammermusik am Klavier, oder? Naja, du brauchst dich jetzt nicht bei mir zu bedanken, dazu sind Freundinnen doch da. Nur schade, dass der Termin so knapp vor der Ausstellung war, du wärst sicherlich auch gerne ein bisschen früher hergereist.“
„Herzlichen Dank, so einen schönen Abend wie bei Frau Hirschfeld habe ich schon lange nicht mehr erlebt, die waren ja alle so reizend, ich freue mich schon auf das nächste Mal. Ist auch nicht so schlimm, dass ich so spät nach Paris gekommen bin, Paris läuft mir ja nicht davon. Ich habe bereits alles von daheim geregelt, ich gehe nur hier durch die Friseursalons, um mir ein paar Anregungen zu holen. Meine Sophie freut sich schon darauf mir die Haare machen zu dürfen, sie ist eine so begnadete Frisöse.“ Nach all dem Geplänkel trennen sich die beiden „Busenfreundinnen“ wieder. Kaum ist Konstanze außer Sicht, kann man bei Isabell die Wut in sich hoch kochen sehen, indem sich ihr Gesicht rot färbt und sie ihre Hände zu Fäusten zusammenpresst.
„Ich kann es nicht glauben, diese miese Kokotte, das macht sie doch alles mit Absicht. Was habe ich der nur getan? Jetzt ist sie auch noch verlobt, obwohl ich mit dem zuerst getanzt hatte, dann schnappt sie mir auch noch den letzten Friseurtermin vor der Nase weg. Das ist doch nicht zum Aushalten. Eigentlich war ich froh, dass ich in den Salon von Frau Hirschfeld eingeladen wurde und jetzt hab ich es ihr zu verdanken? Wahrscheinlich hat sie mir die Einladung organisiert, damit ich erst so spät nach Paris fahre, ich könnte sie erwürgen!“
„Beruhig dich Isabell, das ist doch genau das, was sie will. Lass dich doch nicht immer von ihr ärgern. Mach das Beste daraus, immerhin bist du jetzt im Salon von Frau Hirschfeld willkommen, da kannst du doch viele Kontakte knüpfen. Aber sollte das wirklich dein Ernst sein, dass ich dir deine Haare machen soll? Ich habe außer an mir bisher noch keine Frisuren gemacht.“ „Ach was, das musste ich doch sagen, was blieb mir denn anderes übrig?“ entgegnet Isabell den Tränen nahe. „Ich bekomme keinen Termin mehr und irgendeine Lösung muss her, lass dir doch etwas einfallen. Am liebsten würde ich wieder heimfahren.“
„Ach komm, lass dir Paris von ihr nicht verderben. Außerdem solltest du doch auch froh sein, diesen dummen Hans Weber bist du jetzt los, der wurde dir doch lästig. Sagtest du nicht, wenn man seine Dummheit mit Gold aufwiegen würde, wäre man reicher als sein Vater?“
„Und wie ist der deutsche Beamte so?“ fragt Marie ihren Bruder der abends nach Hause kommt. „Pustekuchen, ich konnte ihn nicht finden. Bei der Adresse die man mir nannte, war kein deutscher abgestiegen. Ich habe von meinem Chef schon eine Abreibung bekommen. Er sagte was von Unfähigkeit und Inkompetenz, dass ich nicht die einfachsten Aufgaben erledigen könnte. Ich hatte schon Angst, dass er mich degradiert. Wieso muss so etwas immer mir passieren. Ich habe mich dann natürlich bei unserer Vorzimmerdame aufgeführt, da sie mir anscheinend die falsche Adresse mitgeteilt hatte, aber sie beteuerte, dass es die Adresse war, die sie vom deutschen Konsulat mitgeteilt bekam. Jetzt redet sie auch kein Wort mehr mit mir, und wenn ich in Zukunft ein Anliegen habe, wird sie mich ignorieren.“
„Du Armer, du hattest wohl keinen so guten Tag, aber morgen geht die Sonne wieder auf und du wirst den heutigen Tag schnell vergessen.“ „Ich schon, aber mein Chef und die Vorzimmerdame werden mir noch lange nachtragend sein. Schuld ist nur dieser dumme Deutsche!“
„Jetzt lass deine Wut nicht an dem aus, du musst ein halbes Jahr mit ihm zusammenarbeiten und da solltest du für ein gutes Verhältnis sorgen, es fällt sonst alles auf dich zurück.“ „Du hast Recht, ich jammere dir die ganze Zeit was vor, ohne zu fragen, wie dein Tag war.“ „Mein Tag war super, wie schon die ganze Woche, wir verkaufen so viel Fisch wie noch nie. Die ganzen Hotels und großen Restaurants kaufen uns schon um 5:00 Uhr früh leer, die Porteurs kommen kaum noch nach, die Waren von den Güterzügen anzukarren. Seit die Besucher und Aussteller zur Weltausstellung gekommen sind, läuft das Geschäft. Ab morgen, nach der Eröffnungsfeier wird es sicherlich noch mehr los sein.“ „Na dann geht es dir wenigstens gut. Morgen muss ich erst mal den Deutschen finden, am Ende darf ich noch vor ihm einen Kniefall machen, weil ich ihn heute nicht empfangen habe. Ich bat darum, dass man ihm ausrichtet, dass wir uns auf der Polizeistation an den Esplanade des Invalides treffen. Ich hätte lieber auf die Ehre verzichtet und meinen Dienst wie bisher