Feste und Feiern
Einen besonderen Stellenwert haben gemeinsame Mahlzeiten bei Feiern und Festtagen. Die Auswahl der Speisen und Getränke, ihre Inszenierung, spezielle Regeln, Traditionen und Praktiken werden ebenfalls durch die Kultur beeinflusst, in der wir leben und aufgewachsen sind. Manche Gerichte werden beispielsweise nur einmal im Jahr konsumiert, weil sie für manche Menschen traditionell zu einem bestimmten Anlass gehören, wie der Gänsebraten an Weihnachten.
Andere traditionelle Mahlzeiten übernehmen bestimmte Funktionen: bei einer Trauerfeier etwa kann der so genannte „Leichenschmaus“ dabei helfen, dass die Hinterbliebenen zusammenkommen und sich gegenseitig Trost spenden. Auch im religiösen Kontext hat Essen als Ritual einen festen Platz – zum Beispiel das Fastenbrechen oder das Zuckerfest im Islam, das jüdische Pessach-Mahl oder Brot und Wein beim christlichen Abendmahl. Essen ist damit ein wichtiger Teil unserer sozialen und kulturellen Identität.
Unser Essverhalten und unser persönlicher Geschmack entwickeln sich in einem lebenslangen Lernprozess weiter. Die lebensnotwendigen körperlichen Grundbedürfnisse Hunger und Durst werden dabei zunehmend von Außenreizen ergänzt und teilweise überlagert. Daneben hängt unsere Nahrungsauswahl auch von Wünschen, Einstellungen und Erfahrungen ab. Neben den körperlichen und soziokulturellen Einflüssen bestimmen damit vor allem emotionale Faktoren unser Essverhalten.
EMOTIONALE FAKTOREN
„Das muss ich erstmal verdauen“, „Liebe geht durch den Magen“, „Ich könnte kotzen“, „Ich habe dich zum Fressen gern“ – wie viel Essen mit menschlichen Empfindungen zu tun hat, zeigt sich an geläufigen Redewendungen. So sind unsere ersten Ernährungserfahrungen meist positiv, weil sie mit menschlicher Zuwendung, mit Wärme und Körperkontakt verbunden sind. Das Lieblingsessen unserer Kindheit ist oft mit schönen Erinnerungen verbunden, bestimmte Speisen vielleicht mit beglückenden Erfahrungen oder einer besonderen Umgebung.
Der Erdbeerkuchen, den es immer zum Kindergeburtstag im Frühling gab, der warme Kaiserschmarren auf der Skihütte oder Matjesbrötchen an der Nordsee – solche Gerichte können blitzschnell angenehme Gefühle heraufbeschwören, den Genussfaktor erhöhen und schon vor dem ersten Bissen Glücksgefühle auslösen. Die mit dem Essen verbundenen Assoziationen, das Verlangen danach und die erwartete Befriedigung stimulieren das Belohnungszentrum des Gehirns. Der Botenstoff Dopamin, ein sogenanntes „Glückshormon“, wird ausgeschüttet und verstärkt das Wohlbefinden.
Bestimmte Gefühle können sich also auf unser Essverhalten auswirken, ebenso kann aber auch Nahrung unseren Gefühlshaushalt beeinflussen. Der Wissenschaftler Michael Macht beschreibt in der Ernährungs-Umschau fünf verschiedene Zusammenhänge: assoziativ, sensorisch, energetisch, neurochemisch und pharmakologisch.25
Zum einen lassen uns, wie schon beschrieben, Assoziationen zur Nahrung greifen – also bestimmte Erinnerungen, Geruchs- und Geschmacksreize, vielleicht aber auch die Werbung für ein bestimmtes Produkt. Sensorisch reagieren, wie ebenfalls schon erwähnt, beispielsweise Neugeborene auf süße Geschmacksreize. Über die Nahrung zugeführte Energie kann sich stimmungsaufhellend auswirken, Hunger dagegen depressive Stimmungen auslösen. Bestimmte Lebensmittel können neurochemische Veränderungen im Körper auslösen: etwa, indem sie den Serotoninspiegel ansteigen lassen, was entspannend und stimmungsaufhellend wirken kann. Schließlich können bestimmte Inhaltsstoffe auch eine gewisse pharmakologische Wirkung haben, wie zum Beispiel Koffein. Es gibt also ganz unterschiedliche Faktoren, die den Impuls zu essen auslösen können. Mit bewussten Entscheidungen haben diese nicht immer zu tun.
Emotionales Essen
Durch die emotionale Aufladung von Essen setzen wir Nahrungsmittel manchmal auch gezielt ein, um angenehme Empfindungen hervorzurufen: Beispielsweise im Sinne von Selbstfürsorge, wenn wir uns ein leckeres Essen kochen. Vielleicht motiviert man sich auch an einem anstrengenden Arbeitstag mit Süßigkeiten durchzuhalten oder „belohnt“ sich am Abend mit einem großen Teller Nudeln.
Daneben essen Menschen auch, um unangenehme Gefühle, Sorgen oder Ärger zu verdrängen. Die Verbindung von Essen mit Ablenkung, Beruhigung oder Trost lernen wir oft schon in der Kindheit kennen: Das weinende Baby bekommt nicht nur bei Hunger die Flasche, sondern auch, damit es aufhört zu weinen. Das Kleinkind wird bei einem Sturz mit ein paar Gummibärchen auf andere Gedanken gebracht. Auf diese Weise wird eine unangenehme Erfahrung durch einen anderen Reiz – hier: durch Essen – kompensiert. Diese gelernte Verbindung kann dazu führen, dass sich schon Kinder bei Einsamkeit oder Traurigkeit selbst mit Essen trösten – und sich noch als Erwachsene bei Problemen durch Knabbereien ablenken, vor Prüfungssituationen naschen, um die Anspannung zu lindern, oder versuchen zur Ruhe zu kommen, indem sie nachts nochmal zum Kühlschrank schleichen.
Kurzfristig kann Essen auch tatsächlich die Stimmung aufhellen: es lenkt vorübergehend ab, Belohnungsstoffe werden ausgeschüttet. Zuckerhaltiges stellt dem Körper schnell Energie zur Verfügung, die er in Stress-Situationen besonders braucht. Zudem wird Nahrung mit Sicherheit und Versorgung assoziiert – da liegt es nahe, in verunsichernden Situationen oder bei Einsamkeitsgefühlen zum Essen zu greifen.
Ob Nervennahrung, Trost- und Frustessen: Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich unser Essverhalten in herausfordernden Situationen oder in Momenten, in denen starke Gefühle vorherrschen, anpasst. Das können Empfindungen wie Stress, Frustration oder Traurigkeit sein, manchmal aber auch Glücksgefühle wie Verliebtheit. Nach repräsentativen Befragungen isst jeder dritte Deutsche bei Stress mehr als üblich.26
Natürlich ist es legitim, nach einem anstrengenden Tag mal zur Schokolade zu greifen. Wenn Essen allerdings regelmäßig als Belohnung oder Trost eingesetzt wird, kann das ungesunde Essgewohnheiten fördern: Man isst mehr, als man will, womöglich bis der Magen unangenehm spannt, oder ständig zwischen den Mahlzeiten. Vielleicht werden auch die Essensmengen immer größer: Hat früher ein Teller Nudeln ausgereicht, sind es neuerdings immer zwei oder drei Portionen. Allerdings entsteht meist kein wirkliches Wohlbefinden – denn die Probleme, die das Verlangen nach Nahrung ursprünglich hervorriefen, werden ja nicht gelöst.
Das Eating Behavior Laboratory der Universität Salzburg untersuchte in einer 2016 veröffentlichten Studie das emotionsbedingte Essen erstmals nicht unter Laborbedingungen, sondern im Alltag.27 Die Teilnehmenden dokumentierten mehrmals täglich per Smartphone, ob sie unter Stress oder Zeitdruck standen, ob bei ihnen positiv oder negativ empfundene Emotionen vorherrschten und ob sie jeweils aus Hunger oder aufgrund des Geschmacks aßen.
Während sich schlechte Stimmung bei manchen Personen appetitmindernd auswirkte, aßen die emotionalen Esser bei Traurigkeit, Ärger, Einsamkeit oder Langeweile deutlich mehr. Ebenso die Teilnehmenden mit einem hohen BMI. Vor allem Frauen und zwei Arten von „Ess-Typen“ griffen bei negativ empfundenen Gefühlen stark zu: Zum einen die so genannten „gezügelten Esser“, die ihre Nahrungsaufnahme normalerweise streng kontrollierten – unter Belastung aber zu Essanfällen neigten. Zum anderen die „externalen Esser“, die sich stark durch Sinneseindrücke zum Essen verleiten ließen.
Das „emotionale Essen“ hat bei einigen Menschen also einen großen Einfluss auf ihr alltägliches Essverhalten – und gegebenenfalls auf ihre Gesundheit. Denn auch medizinische Behandlungen, die zwingend eine Veränderung des Essverhaltens erfordern, etwa bei Diabetes, werden dadurch erschwert.
Bleibt Essen dauerhaft die einzige Bewältigungsstrategie, kann emotionales Essen zu zwanghaftem Essverhalten oder sogar einer Essstörung wie Bulimie oder Binge Eating führen. Für eine gesunde, ausgeglichene Beziehung zum Essen ist es daher wichtig, körperlichen von emotionalem