III.
Und so begleite ich ihn auch bei der Scene Thersites. Wenn Hr. Klotz dieselbe nicht aus der Lateinischen Uebersetzung beurtheilte, so würde er kaum das γελοιον,1 sondern das αισχρον zu ihrem Hauptcharakter machen: wenn er sie nicht aus dem Zusammenhange risse, so würde er finden, daß sie nicht blos an ihrem Orte stehe,2 sondern auch, welches noch kühner ist, nirgends anders stehen könne: und wenn Hr. Kl. sich auf die Zeiten Achills und Homers erinnerte: so würde er finden,3 daß das Colorit des Niederträchtigen, Pöbelhaften, Häßlichen im Thersites Original Griechisch sey, nach den Sitten der damaligen Zeit nicht anders, und nach dem Epischen Zwecke Homers nicht schwärzer, und nicht weißer seyn könne. Hier muß ich also Hr. Klotzen verlassen; denn er redet mir Bogenlang von einem Possenreißer, von einem unleidlichen Gaukler, von einem beschwerlichen unanständigen Lachenerwecker vor, den ich nicht kenne.
Beinahe eben so tief ists, wenn er den Zank Ulysses und Irus tadelt.4 Was dieses Gezänk in der Odyssee5 ist, das sind die Zänkereien zwischen Achilles und Agamemnon6 in der Helden-Iliade, nur nach Verschiedenheit des Stoffes und der Menschengattung: Zank bleibt an sich Zank. Und was dieser Hader unter Menschen, ist der Zank unter den Göttern, der sich noch mehr und öfter auszeichnet. – Und was dieser; das sind hundert Scenen, die alsdenn aus Homer wegmüssen, wenn eine solche ehrbar feine Critik unsres Zeitgenossen gelten sollte, kein Held der Iliade, die wenigsten Auftritte der Odyssee sind alsdenn für unsern Zoilus: denn heißt es aufs neue:
– ibis, Homere, foras.
Wenn es darauf ankäme, könnte ich Hr. Kl. selbst noch eine Reihe unwürdiger, unanständiger, unartiger Züge in Homer anführen, »wo Homer geschlummert, als welches, ich glaube, aus den Oertern erhellet, wo er sich den Sitten seiner Zeit bequemet, die noch nicht gnug gefeilt, bei ihrer Einfalt etwas Bäurisches und Rauhes haben, wo er sich zu dem herabläßt, was der Würde und Erhabenheit des Epischen Gedichts, wie ich achte, gar nicht geziemet: wo er demselben nicht leichte Flecken angespritzt, wo er es nicht auf eine geringe Art verunstaltet, wo er dem Leser einen nicht kleinen Verdruß erwecket.« Ueber alles könnte ich mit vielen Beispielen aufwarten, und alsdenn im würdigen Ton auf Homer schmähen; ob aber daraus Homerische Briefe, oder eine Satyre würde: mag der Kenner Homers urtheilen, und Gott Lob! daß Deutschland wahre Kenner Homers besitzet!
Jetzt muß ich Homer verlassen, denn ich sehe, daß Hr. Klotz, zornig, wie die Göttinn Ate bei Homer, auf den Köpfen der größesten Genies aller Zeiten und Völker wandelt.7 »Lächerliches mit dem Ernsthaften, mit dem Nachdrucke Scherz, und das Große mit dem Niedrigen vermischen, hat zu aller Zeit für unanständig angesehen werden sollen, muß von jedem getadelt werden, es sey denn, wer mit Lopez di Vega glaubt, es stehe ihm frei, mit Vernachläßigung aller Regeln, was und wie ers wolle vorzubringen, und das Wahre mit der Fabel, die Komödie mit dem Trauerspiele, das Lächerliche mit dem Ernsthaften so zu vermischen, daß aller Unterschied zwischen dem Soccus und Kothurn aufhöre.« Und das sollte Lopez di Vega geglaubt haben? Das kann Hr. Klotz von einem Manne schreiben, dessen Namen ihm Ehrfurcht erwecken sollte? Der Spanische Dichter mag selbst reden,8 er wird doch besser wissen, was er glaube, oder nicht glaube, als Hr. Kl. »Dem Himmel sei gedankt, noch ehe ich völlig zehn Jahre gewesen bin, habe ich die Bücher durchgelesen, die von den Regeln der dramatischen Dichtkunst handeln. Als ich aber zu schreiben anfieng, fand ich die Komödie bei uns beschaffen, nicht wie die Alten gedacht haben, daß man sie nach ihnen einrichten würde; sondern wie sie viele Unwissende verunstaltet, die dem Volke ihren groben Geschmack beigebracht haben. Dieser schlechte Geschmack ist so sehr eingerissen, daß derjenige, der es wagt, nach den Regeln zu arbeiten, in Gefahr steht, ohne Ruhm und Belohnung zu sterben; denn unter Leuten, die sich der Vernunft nicht bedienen wollen, vermag die Gewohnheit mehr, als alle Vorstellungen. Es ist wahr, daß ich zuweilen den Regeln der Kunst, die so wenige kennen, gefolgt bin; so bald ich aber, auf der andern Seite, jene blendenden Ungeheuer, wozu das Volk schaarenweise läuft, und welche das Frauenzimmer vergöttert; so bald ich diese auftreten sehe, so kehre ich sogleich zu meiner barbarischen Gewohnheit zurück, und wenn ich eine Komödie schreiben soll, verschließe ich geschwinde den Aristoteles und den Horaz unter 5 Schlössern, und lege den Terenz und Plautus aus meiner Studierstube weg, damit sie nicht zu klagen anfangen: denn die Wahrheit schreit aus vielen Büchern laut hervor, u.s.w.« Nur ein Hr. Klotz kann also schreiben:9 Lupum Felicem de Vega, Carpionem persuasum habuisse, licere sibi, omnibus praeceptis neglectis, quascunque res, quocunque modo in scenam producere etc. ut omne socci et cothurni discrimen tollatur.
Von einem Herkules gehts zum andern, vom Spanischen Homer zum Brittischen: von Lopez zum Milton.10 »So wie in großen Vorzügen, so ist auch hierin Milton dem Homer gleich: ich sehe ihn scherzen und spotten, wo er ernsthaft und nachdrücklich sein sollte.« Nun werden Stellen angeführt, die längst in England selbst bessere Tadler und zugleich ihre Vertheidiger gefunden, der Streit Gabriels mit dem Satan, der bittre Spott im Munde Satans, der Limbus der Eitelkeit u.s.w. Hr. Kl. schlage Addison, oder die erste beste Englische Ausgabe Miltons mit Anmerkungen, oder auch nur unsere ältere gute Schweizerübersetzung auf: – er wird finden, daß seine Vorwürfe wiederholt, mit Gründen vorgetragen, und mit Gründen widerlegt – veraltet sind.
Mit Gründen veraltet: und er hat geglaubt, Gründe nicht anführen zu dörfen. Der Satz selbst: »in einem Epischen Gedichte will man ernsthaft seyn, folglich soll man nicht lachen, folglich soll sich auch keine Spur des Lächerlichen einstehlen,« dünkte ihm Grund gnug: er wiederholt ihn also als ein Axiom, das wohl gar ein Hauptgesetz der Epopee werden könnte. Ein solches furchtbares Hauptgesetz über die höchste Dichtungsart des Menschlichen Geistes verdient doch, ehe es so unbestimmt eingeführt würde, eine Berathschlagung.
Deutlich unterschieden hat das Problem verschiedne Seiten. Fodert es die Proprietät des Epischen Gedichts, und die Congruenz aller Theile desselben, daß kein Zug des Lächerlichen erscheine? Oder fodert es meine Empfindung, jede Bewegung meiner Seele, die sich zum Lachen neiget, zu unterdrücken, um nicht die Epische Wirkung in mir zu schwächen? Fodert es die Würde Epischer Personen, daß sie nicht lachen, oder daß ich nicht über sie lache? – Mir scheint die letzte Frage die faßlichste: Lasset uns also die Sache am leichtesten Ende angreifen.
Fodert es die Würde Epischer Personen, daß ich nicht über sie lache? durchweg lache, so lache, daß dies der Ton meiner Empfindung bleibe – wer kann noch fragen? Aus der Epopee wird alsdenn eine Burleske, ein komisches Gedicht: oder wenn der Dichter es eigentlich nicht einmal zum Zwecke hatte, Lachen zu erregen, und erregt es doch: schafft er Ekel, Verachtung, Mißvergnügen. Würdig sey der Epische Held; nicht aber seinem Hauptcharakter nach lächerlich.
Davon also war die Rede nicht; aber kann der Held nicht hie und da eine Blöße verrathen, die lächerlich sey? Ich bitte hier den Unterschied zwischen lä cherlich und belachenswerth zu beobachten. So bald der Held auch nur in einer Handlung eine Seite giebt, die nicht anders, als belachenswerth, seyn kann; aber belachenswerth nach Grundsätzen, und mit Rechte: freilich so hat sich der Dichter mit diesem Zuge selbst geschadet; denn nichts hebt die Würde seiner Person so sehr auf, als dieser Anstrich. Den Belachenswerthen verachten wir zugleich: er dünkt uns niedrig: und wie viel verliert ein Episches Subjekt, eine Epische Handlung, die dies wäre?
Hieher der Vorfall Ulysses mit Irus