Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johann Gottfried Herder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066398903
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Sujet niemals Latein, ich meine Römisch Latein, gedichtet hätte! denn immer ist eine Mischung von Sprach- und Denkarten unvermeidlich. Der Orient soll sich in den Occident stürzen, Geist der Religion, und der Altrömischen Poesie sollen sich umarmen; ein seltnes Paar! aus Cicero soll ein Compendium der Theologie geschöpft, und doch kein Römischer Begriff dahin übertragen, und keinem Begriffe der Orthodoxie etwas von seiner systematischen Strenge benommen werden – schwere Verbindung! Sannazaro will de partu Virginis schreiben, und zugleich nie seinen Virgil verlassen: Buchanan einen Baptistes schreiben, und doch seine Juden Römisch sprechen lassen – widrige Vermischung! Ueberläßt sich der Dichter dem Geiste seiner Religion; so wird er Jüdisch- so wird er Christlichlatein zu sprechen in Gefahr kommen; folgt er dem Geiste der Römischen Poesie, Denkart und Sprache; wie weit von Judäa ab wird der ihn hinführen! Will er, als ein Helleniste, auf beiden Wegen gehen, und Gleichgewicht halten – unwürdige, ermattende Wachsamkeit! drückendes Joch des Geistes, der in der Poesie nichts so sehr, als Freiheit, liebet. Der furchtsame matte Dichter wird an der Erde kriechen, und nie sich aufschwingen können: denn er schrieb für die Censur zweier Inquisitionen, eine Christliche (oder Jüdische) und eine Römische! – Mein Rath also, daß man nie den Vogen der Römischen Poesie nach so weit von Rom entlegnen Gegenständen spannen wollte, wenn man auch Pindarische Pfeile hätte: man trift nicht!

      Zweitens, auch die Zeiten und Länder muß man unterscheiden, in denen ein Dichter lebte, in denen und für welche er schrieb. Die meisten der gerügten Poeten sind Italiener, aus dem Lande der Alterthümer also, aus oder vor den Zeiten, da der Geschmack des alten Gräciens und Latiums wieder auflebte: Wer wird nun einen Dante, Petrarca, Sannazar, Vida, Ariosto, Tasso, Marino aus allen diesen Zeitverbindungen rücken, und so schlechthin vor das Gericht einer fremden Zeit, eines fremden Landes fodern; daß sie das Heilige mit dem Unheiligen vermischet? Der Geist der alten Griechischen Mythologie, aus seinem Vaterlande vertrieben, floh nach Italien: Italien gab er die Denkmaale seiner Größe in Poesie und Kunst und Weisheit: in Italien erwachte er wieder; erwachend aber fand er ein Land, mit einer fremden, der Christlichen Religion bedeckt. Indessen strebte er in die Höhe, schaffte sich Bewunderer, Anbeter und Nachahmer; Nachahmer, die in den Begriffen einer andern Religion, Denkart, und Sprache erzogen waren: was anders also, als eine Vermischung zweener fremder Ströme, die gegen einander brauseten, und endlich zusammen flossen. Der Christliche Künstler, dem Apollo profan war, fiel doch vor ihm, als vor dem höchsten Denkmaale der Kunst, nieder: die Statuen der Götter waren Geschöpfe des Aberglaubens, aber auch Geschöpfe der schönsten Griechischen Kunst: Horaz und Virgil waren Dichter einer fremden Religion; zugleich aber Dichter der edelsten Natur, der vortreflichsten Sprache: die Mythologie eine Sammlung von Fratzenmärchen; aber auch eine Welt voll sehr Poetischer Ideen. Unter solchen also lebten damals Dichter und Künstler: sie wandelten unter heidnischen Statuen, und heidnischen Dichtern, und heidnischen Sprachen: das Neue, die Morgenröthe des Geschmacks, hatte dreifach stärkere Wirkung auf sie: sie wurden selbst Römische Dichter, und neugriechische Künstler und Christliche Heiden. Der Cardinal der Römischen Kirche war ein heidnischer Bembo, der neue Horaz Vida Bischof von Cremona: das Kind mit Christlichem Wasser getauft, ward mit heidnischen Begriffen des Schönen genähret: die Vermischung ward Geschmack der Zeit und des Landes. Leo der zehnte vergab Christliche Sünden, und wandte die heiligen Summen auf das unheilige Schöne der Heiden: in die Tempel Italiens kam David und Apollo, Christus und Belial neben einander, und die Geschichte Jupiters und Leda auf die Thüre des heil. Römischkatholischen Peters.

       le Donne, i Cavalier, l' arme, gli amori

       le cortesie, l' audaci imprese – – –

       che furo al tempo, che passaro i Mori

      d' Africa il mare u.s.w.

      besingen, und mitten inne auch des Styx und Acherons erwähnen. So unbillig die Brittischen Prose-Critiks dem Spenser seine Feen, und Shakespear seine Hexen vorgerückt: so unbillig alte Italiener und Portugiesen, und Engländer nach dem Zeitbegriffe meiner Religion und Wissenschaft beurtheilen – auf die Weise wird alles ein Chaos.

      Klopstock (ich weiß keine höhere Instanz!) Klopstock sang dem Messias seinen ewigen Gesang im Geiste der Religion seiner Zeit, nach den Gesichtspunkten seines Horizonts, nach den Eindrücken seines Herzens; wer einerlei Natur, einerlei Mittel der Bildung, Seiten der Anschauung, Ein Herz und Eine Seele mit ihm hat, wird ihn aus ganzer Seele lesen. Einem Oest, z.E. werden schon viele Vorstellungsarten Talmudisch dünken; einem Christlichen Schüler des Korans werden manche aus Arabien entlehnt vorkommen: einem Foster oder Sterne in England, und auch das sind Christen! werden manche noch weit befremdender erscheinen; und endlich einem orthodoxen Christen des zwölften oder zwanzigsten Jahrhunderts? – dessen Urtheil über den Meßias möchte ich lesen. Wie? wenn nun ein solcher nach seiner Zeit fromm und selig urtheilte? Unbilliger Richter! er sollte sich in unsre Zeit zurücksetzen, aus ihr denken und sprechen: er sollte mehr als des Nikomachus Auge haben, um Helena anzuschauen. So wie der oberste Richter allwissend seyn muß, um gleichsam die eigenthümliche Moralität eines jeden Herzens zu kennen: so sey (man erlaube mir die kleine Blasphemie vom Gleichnisse!) so sey der Richter über Zeiten und Völker, auch des Geschmacks dieser Zeiten und Völker kundig, oder er greift blind in den Loostopf der Jahrhunderte, um nichts als ein mageres kritisches Regelchen herauszulangen.