Es versteht sich, daß die Dichtungsarten nicht alle gleiche Schwierigkeiten haben. Eine Hymne, ein Lehrgedicht, eine Cantate ist eher geistlich und doch Lateinisch zu liefern; als ein Trauerspiel, eine Dichtung, ein Lustspiel, eine Epopee. Buchanans Juden treten als Juden auf; Lateinische, Römische Juden in Galiläa! Frischlins Ismael in Mesopotamien, und daselbst mit Classenlatein! Sannazars Cerberus, Centauren, Hydern, Proteus, im Stalle zu Bethlehem! bei einem Trauerspiele, Lustspiele, Heldengedichte, welche Disharmonie, und doch fast wie unvermeidlich! Hr. Kl. also hätte über alle diese Dichter nicht bloß sein kritisches Urtheil vom Throne hinunter sprechen, das von andern schon so oft gesprochen ist, sondern lieber auf die Ursachen dringen sollen, die diesen Männern Zwang auflegten. Ohne dieses ist seine Kritik eine gute lange Classenlektion,8 und wem ist damit gedient?
Zweitens, auch die Zeiten und Länder muß man unterscheiden, in denen ein Dichter lebte, in denen und für welche er schrieb. Die meisten der gerügten Poeten sind Italiener, aus dem Lande der Alterthümer also, aus oder vor den Zeiten, da der Geschmack des alten Gräciens und Latiums wieder auflebte: Wer wird nun einen Dante, Petrarca, Sannazar, Vida, Ariosto, Tasso, Marino aus allen diesen Zeitverbindungen rücken, und so schlechthin vor das Gericht einer fremden Zeit, eines fremden Landes fodern; daß sie das Heilige mit dem Unheiligen vermischet? Der Geist der alten Griechischen Mythologie, aus seinem Vaterlande vertrieben, floh nach Italien: Italien gab er die Denkmaale seiner Größe in Poesie und Kunst und Weisheit: in Italien erwachte er wieder; erwachend aber fand er ein Land, mit einer fremden, der Christlichen Religion bedeckt. Indessen strebte er in die Höhe, schaffte sich Bewunderer, Anbeter und Nachahmer; Nachahmer, die in den Begriffen einer andern Religion, Denkart, und Sprache erzogen waren: was anders also, als eine Vermischung zweener fremder Ströme, die gegen einander brauseten, und endlich zusammen flossen. Der Christliche Künstler, dem Apollo profan war, fiel doch vor ihm, als vor dem höchsten Denkmaale der Kunst, nieder: die Statuen der Götter waren Geschöpfe des Aberglaubens, aber auch Geschöpfe der schönsten Griechischen Kunst: Horaz und Virgil waren Dichter einer fremden Religion; zugleich aber Dichter der edelsten Natur, der vortreflichsten Sprache: die Mythologie eine Sammlung von Fratzenmärchen; aber auch eine Welt voll sehr Poetischer Ideen. Unter solchen also lebten damals Dichter und Künstler: sie wandelten unter heidnischen Statuen, und heidnischen Dichtern, und heidnischen Sprachen: das Neue, die Morgenröthe des Geschmacks, hatte dreifach stärkere Wirkung auf sie: sie wurden selbst Römische Dichter, und neugriechische Künstler und Christliche Heiden. Der Cardinal der Römischen Kirche war ein heidnischer Bembo, der neue Horaz Vida Bischof von Cremona: das Kind mit Christlichem Wasser getauft, ward mit heidnischen Begriffen des Schönen genähret: die Vermischung ward Geschmack der Zeit und des Landes. Leo der zehnte vergab Christliche Sünden, und wandte die heiligen Summen auf das unheilige Schöne der Heiden: in die Tempel Italiens kam David und Apollo, Christus und Belial neben einander, und die Geschichte Jupiters und Leda auf die Thüre des heil. Römischkatholischen Peters.
Wer kann nun ohne Rücksicht auf Zeit, Land, und Sprache Sannazar und Vida, Dante und Petrarca, Ariosto und Tasso, und wen weiß ich mehr? tadeln9, ohne sie zu erklären, ohne uns auf ihre Jahrhunderte aufmerksam zu machen, da die scholastische Wortgrüblerei, und die Sprache der Mönchsandacht der Geist der Religion war, da das Land von dieser Seite unter Nacht und Dunkel lag, oder da der hellere Geschmack an den Antiken in Poesie, Kunst und Sprache überwand, sich in Alles hineindrängen, und dem Ganzen der schönen Litteratur seine neue Bildung geben mußte. Da also konnte Dante in seiner Göttlichen Komödie Christen Juden und Heiden, Götter, Engel und Teufel durch einander mischen: da konnte Ariost
le Donne, i Cavalier, l' arme, gli amori
le cortesie, l' audaci imprese – – –
che furo al tempo, che passaro i Mori
d' Africa il mare u.s.w.
besingen, und mitten inne auch des Styx und Acherons erwähnen. So unbillig die Brittischen Prose-Critiks dem Spenser seine Feen, und Shakespear seine Hexen vorgerückt: so unbillig alte Italiener und Portugiesen, und Engländer nach dem Zeitbegriffe meiner Religion und Wissenschaft beurtheilen – auf die Weise wird alles ein Chaos.
Klopstock (ich weiß keine höhere Instanz!) Klopstock sang dem Messias seinen ewigen Gesang im Geiste der Religion seiner Zeit, nach den Gesichtspunkten seines Horizonts, nach den Eindrücken seines Herzens; wer einerlei Natur, einerlei Mittel der Bildung, Seiten der Anschauung, Ein Herz und Eine Seele mit ihm hat, wird ihn aus ganzer Seele lesen. Einem Oest, z.E. werden schon viele Vorstellungsarten Talmudisch dünken; einem Christlichen Schüler des Korans werden manche aus Arabien entlehnt vorkommen: einem Foster oder Sterne in England, und auch das sind Christen! werden manche noch weit befremdender erscheinen; und endlich einem orthodoxen Christen des zwölften oder zwanzigsten Jahrhunderts? – dessen Urtheil über den Meßias möchte ich lesen. Wie? wenn nun ein solcher nach seiner Zeit fromm und selig urtheilte? Unbilliger Richter! er sollte sich in unsre Zeit zurücksetzen, aus ihr denken und sprechen: er sollte mehr als des Nikomachus Auge haben, um Helena anzuschauen. So wie der oberste Richter allwissend seyn muß, um gleichsam die eigenthümliche Moralität eines jeden Herzens zu kennen: so sey (man erlaube mir die kleine Blasphemie vom Gleichnisse!) so sey der Richter über Zeiten und Völker, auch des Geschmacks dieser Zeiten und Völker kundig, oder er greift blind in den Loostopf der Jahrhunderte, um nichts als ein mageres kritisches Regelchen herauszulangen.
Und Milton! – Wer Milton mit allen vorigen Mischern der Religionen in einen glühenden Ofen zusammen werfen will,10 hat nicht bedacht, daß bei ihm diese Mythologischen Vorstellungsarten nicht wesentlich zum Baue seines Gedichts, sondern nur zur Auszierung desselben gehören. Er bringt sie nicht (wenigstens nie offenbar!) in die Zeit, aus welcher, sondern in die Zeit, für welche er singet: und so werden sie Gleichnisse, Schmuck, Verzierung seiner Gegenstände; nicht eigentlich Gegenstände selbst. Er singt für seine Zeit; dieser schweben unter andern auch aus heidnischen Schriftstellern Vorstellungen im Gedächtnisse, die seine heilige Vorstellung zehnfach verstärken, und einprägen – einprägen, daß es kaum in seiner heiligen Geschichte solche starke und Nachdrucksvolle Hülfsvorstellungen gäbe – warum also sollte er jene wartende Ideen in der Seele seiner Leser nicht wecken? warum sie nicht aufruffen, um seinen heiligen Gedanken desto tiefer in die Seele zu prägen? Und das thut Milton!
Er thuts an weit mehr Stellen, als mein Lateinischer Autor anführet; doppelt aber ärgerts mich, daß er eben die süßesten im ganzen Milton tadelt, aus einem Buche,11 das die größesten Gegner desselben mit Lobsprüchen haben überhäufen müssen; nämlich »die selige Liebe der Stammväter des Menschengeschlechts in Eden.«