Nur da die Malerei ein Werk hervorbringt, das während der Arbeit noch Nichts, nach der Vollendung Alles ist, und zwar in dem Ganzen des Anblicks Alles: so ist die Poesie Energisch, das ist, während ihrer Arbeit muß die Seele schon alles empfinden; nicht wenn die Energie geendigt ist, erst zu empfinden anfangen, und erst durch Rekapitulation der Successionen empfinden wollen. Habe ich also eine ganze Schilderung der Schönheit hindurch nichts empfunden: so wird mir der letzte Anblick nichts gewähren. –
Malerei will das Auge täuschen: Poesie aber die Phantasie – nur wieder nicht werkmäßig, daß ich in der Beschreibung das Ding erkenne; sondern bei jeder Vorstellung es zu dem Zwecke sehe, zu dem es mir der Dichter vorführet. Die Art der Täuschung ist also bei jeder Gedichtart verschieden, bei allen Gemälden nur zwiefach: entweder täuschende Schönheit, oder täuschende Wahrheit. Aus diesem Zwecke muß also das Werk der Kunst und die Energie des Dichters geschätzt werden.
Der Künstler also wirkt durch Gestalten für das Ganze Eines Anblicks, bis zur Täuschung des Auges; der Dichter durch die geistige Kraft der Worte während der Succession, bis zur vollkommensten Täuschung auf die Seele. Wer also Farbe und Wort, Zeitfolge und Augenblick, Gestalt und Kraft mit einander vergleichen kann, vergleiche. –
Manches zu dieser Aufgabe hat ein scharfsinniger Engländer1 vorgezeichnet, der im Geschmacke des Shaftesburi ein Gespräch über die Kunst, und ein andres über die Tonkunst, Malerei und Dichtkunst gegeben. – Schade nur! daß er im letzten, statt blos den Unterschied zwischen diesen dreien Künsten zu entwickeln, auf die leere Grille geräth, den Vorzug zu bestimmen, den eine vor der andern habe. Zwischen völlig ungleichartigen Dingen läuft eine bloße Rangordnung auf einen so Schülerhaften Wettstreit hinaus, als vor einigen Jahren die Malerei, Musik, Poesie und Schauspielkunst, unter der Aufsicht eines Magisters der Weltweisheit, förmlich und feierlich haben eingehen müssen.2
Lasset uns sehen, was Harris für Seiten des Unterschiedes findet. Zuerst macht er die sehr deutliche Eintheilung zwischen Künsten, die ein Werk liefern, und Künsten, die durch Energie wirken. Jene sind, deren Wirkung coexsistirende Theile hat, wie eine Bildsäule, ein Gemälde: diese, die successive wirken, z.E. Tanz, Musik. Der Mittelpunkt des Leßingschen Werkes, in welchen alle Stralen fallen, ist also schon von Aristoteles angegeben. Wenn die Wirkung einer Kunst Energie ist: so kann die Vollkommenheit solcher Kunst nur während der Dauer wahrgenommen werden; ist sie ein Werk: so ist die Vollkommenheit nicht während der Energie, sondern erst nachher, sichtbar.
Malerei, Musik und Dichtkunst sind alle Mimisch, nachahmend; verschieden aber durch die Mittel der Nachahmung; die Mallerei mimisiret durch Figur und Farbe; die Tonkunst durch Bewegung und Töne – Malerei und Tonkunst durch natürliche; die Poesie durch ein künstliches und willkührliches Mittel. – Diesen Unterschied hat der Verf. der Philosophischen Schriften aufs gründlichste aus einander gesetzt.
Jede Kunst hat ihre Gegenstände. Die Malerei Dinge und Begebenheiten, die sich durch Figur und Farbe ausdrücken lassen: Körper: Kräfte der Seele, die sich im Körper äußern: Handlungen und Begebenheiten, deren Vollständigkeit auf einer kurzen und augenscheinlichen Folge von Veränderungen beruhet: Handlungen, deren Veränderungen alle die ganze Dauer der Folge hindurch sich stets gleichförmig sind: Handlungen, die in Einen Zeitpunkt zusammenlaufen: viel mehr bekannte als unbekannte Handlungen – Man sieht, daß von dieser Seite betrachtet, Leßings Laokoon nicht vollendet sey, da er überhaupt mehr für den Dichter, als Maler, geschrieben. –
Gegenstände der Tonkunst: Dinge und Vorfallenheiten, die vorzüglich durch Bewegung und Töne ausgedrückt werden können: diese sind allerlei Bewegungen, Töne, Stimmen, Leidenschaften durch Töne u.s.w.
Gegenstände der Poesie sind die Objekte beider vorigen Künste. Zuerst, so fern sie durch natürliche Mittel nachgeahmet werden. Hier war leicht zu erachten, daß die Poesie der Malerei nachbleiben müsse: denn alles lief dahin aus, daß Worte keine Farben, und der Mund kein Pinsel sey. Auch das ist mir befremdend, wie hier die Poesie der Tonkunst an natürlichen Tönen gleichkommen könne: Kurz! die Vergleichung ist übel gerathen. Durch bedeutende Worte, als durch willkührliche verabredete Zeichen, und dies sollte eigentlich der Punkt der Leßingschen Vergleichung seyn.
In den eigentlichen Gegenständen der Malerei (d.i. die durch Farben, Figuren, und Stellungen charakterisirt sind – deren vollständige Einsicht nicht von einer Folge der Begebenheiten abhängt – wenigstens von einer kurzen und in die Augen fallenden Folge – wo alle mannichfaltige Nebenumstände in einen untheilbaren Zeitpunkt zusammenlaufen) in allen diesen Gegenständen bleibt der Dichter dem Maler nach: denn erstlich jener ahmt durch willkührliche Zeichen, dieser durch die Natur nach: dieser zeigt alles in dem nämlichen Augenblicke, wie in der Natur; jener nur theilweise, zergliedernd; und also langweilig oder dunkel.
Es giebt auch Gegenstände, die der Dichtkunst eigen sind: Handlungen, die in die Länge dauern, und die ein für die Malerei prägnanter Augenblick in Eins bringt: Sitten, Leidenschaften, Empfindungen, und Charaktere an sich, die sich am meisten durch Rede zeigen. Hier bleibt die Malerei völlig nach, leidet keine Vergleichung – –
Harris geht nachher in die Gränzen der Poesie und Tonkunst, wo ich ihm nicht nachfolgen mag. Hier wünsche ich der Dichtkunst noch einen Leßing. Er betrachtet genauer den sittlichen, den geistigen Eindruck der Poesie: eine wieder unberührte Saite, die ich auch nicht berühren mag. Ich wollte meine Leser blos auf einen Schriftsteller aufmerksam machen, der mit Leßingen einerlei Gegenstand bearbeitet, in manchem weiter gekommen, und scharfsinnig gnug war, seinen Gegenstand kurz und bündig zu erschöpfen, wenn er statt des leeren Rangstreites auf nichts, als auf Unterschied, hiernach auf Gränzen, denn auf Gesetze hätte sehen wollen.
1 J. Harris Gespräche über die Kunst: über die Musik, Malerei und Poesie: über die Glückseligkeit.
2 Wettstreit der Malerei, Musik, Poesie und Schauspielkunst: Reden – gehalten unter der Aufsicht Wolfgang Ludwig Gräfenhahns, der Weltweisheit Magisters. Baireuth 1746.
XX.
Ich will nicht sagen, daß Hr. Leßing nicht, dem Hauptzwecke seines Buches nach, gegen Caylus, und gegen Caylus Affen an Unterscheidung Recht behalte: nur nicht immer an Gründen der Unterscheidung, und am wenigsten im Hauptgrunde. Er dünkt mich immer noch auf dem halben Wege, als wenn die Poesie durch Succession auf ein Werk arbeiten sollte, und nicht schon eben in der Succession ihr Werk liefere.
Der Dichter, z.E. der uns Schönheit malen wollte, es sei nun ein Constantinus Manasses, oder Ariost, gieng nicht darauf aus, um hinten nach zu fragen: wie sahe Helena, wie sahe Alcina aus?1 uns mit seiner Beschreibung ein vollständiges Bild zu hinterlassen, u.s.w. Er führt uns durch die Theile, um jeden derselben als schön anschauend zu machen, um, wenn wir alle Theile vergessen hätten, so viel anscheinend zu wissen: Helena, Alcina war reizend. Hat Ariost auf Hrn. Leßing damit keine Wirkung gemacht, so wird er vielleicht auf diejenigen seiner Landesleute Eindrücke machen, die die Schönheit in einer Alcina wie in einer gehauenen Venus theilweise anzuerkennen gewöhnt sind: oder wenn Ariost selbst eine Alcina sähe, würde er vielleicht auf solchem Wege – Und überhaupt kann man hier aus einer Vergleichung wenig folgern. Homer malt seine Helena nicht;2 warum? weil sie ihn nicht angehet, weil er von Anfange bis zu Ende seines Gedichts nicht zu der Frage Zeit hat: wie sahe sie aus? sondern immer, was trug sich hier und damit zu? Helena kommt, die Greise sehen sie: wie anders, als daß sie fühlen und sagen