Folglich muß die Ursache: »Succession verhindert Körper zu schildern,« da sie auf jede Rede trifft, da jede Rede in solchem Falle nicht das Definitum, als ein Wort, verständlich, sondern als eine Sache, anschauend machen will – eigentlich außer dem Gebiete der Poesie liegen.
Folglich auch in demselben kein eigentliches, wenigstens kein höchstes Gesetz geben können, sondern nur ein Nebenbegrif bleiben, aus dem Wenig oder Nichts gefolgert werden kann. – Meine ganze Schlußkette fängt von dem doppelten Grunde an: daß das Successive in den Tönen der Poesie kein Haupt-kein natürliches Mittel ihrer Wirkung sey; sondern die Kraft, die diesen Tönen willkührlich anhängt, und nach andern Gesetzen, als der Succession der Töne, auf die Seele wirkt. Zweitens: daß das Successive der Töne ja nicht der Poesie allein, vielmehr jeder Rede zukommt, und also wenig in ihrem innern Wesen bestimmen oder unterscheiden könne. Wenn nun Hr. L. Succession in seinem Buche zum Hauptgrunde des Unterschiedes zwischen Poesie und Malerei macht; ist da wohl die richtigste Gränzscheidung zu erwarten? –
1 Laok. p. 153.
2 Laok. p. 153.
3 Laok. p. 154.
4 p. 165.
5 p. 168.
7 p. 166. 167.
XVII.
Um auf einen fruchtbarern Weg zu kommen, als dieser trockne Nebenbegrif gewähret, macht Hr. L. einen Sprung, den ich ihm nicht nachthue. »Die Poesie schildert durch successive Töne; folglich schildert sie auch Successionen,1 folglich hat sie auch Successionen, und eigentlich nichts als Successionen zum Gegenstande. Successionen sind Handlungen: folglich« – und folglich hat Hr. L. was er will; aber woher kann ers haben? Den Begrif der Handlung fand er in der Succession; und daß sie nur fortschreitende Gegenstände schildere, schloß er, weil sie in successiven Tönen schildert – wo bleibt hier die Kette? Gesetzt, daß das Aufeinanderfolgen der Töne in der Dichtkunst das wäre, was das Nebeneinanderseyn der Farben in der Malerei: welche Proportion ist in dem Successiven der Töne, und in dem Successiven der Gegenstände, die sie schildert: Wie weit halten diese einen Schritt? Wie kann man auch nur an Vergleichung denken? Und wie weit weniger Eins aus dem andern zu schließen? – Und wenn sie auch denn Successionen schilderte, warum müssen diese Successionen Handlungen sein? u.s.w. Die Gränzscheidung nach solch einem Risse kann kaum richtig seyn.
Kaum richtig von Seiten der Malerei, »ihr Wesen sei, Körper zu schildern,« wenigstens bin ich mir fortschreitenderer Handlungen der Malerei bewust, als wovon Hr. L. ein Beispiel giebt:2 nämlich eine Drapperie, die in ihrem Wurfe zwei Augenblicke vereinige.
Noch minder aber von Seiten der Dichtkunst, wo aus dem Successiven der Töne wenig oder nichts folgt. Nicht: daß sie keine Körper schildern solle; denn können keine successiven Töne Begriffe von coexsistirenden Dingen erwecken; so sehe ich nicht, wie irgend die Rede, die blos hörbare Rede anschauende Erkenntniß wirken könnte: denn Bilder würde ich sagen, sind nicht hörbar. So sehe ich nicht, wie irgend die Rede zusammenhangende Bilderbegriffe erwecken könne; denn die successiven Töne hangen nicht zusammen. So sehe ich endlich auch nicht, wie in der Seele aus vielen Theilbegriffen ein Ganzes, z.E. der Ode, des Beweises, des Trauerspiels entstehen könnte; denn die ganze Succession der Töne macht kein solches Ganzes: »für das Ohr sind die vernommenen Theile jedesmal verloren.« Es läßt sich also hieraus Alles oder Nichts folgern.
Noch weniger folgt hieraus, »die Untauglichkeit der ganzen descriptive Poetry,3 das Unpoetische aller malenden Poesie.«
Noch weniger hieraus, daß das Wesen der Dichtkunst Fortschreitung sey;4 daß die Dichtkunst nur eine einzige Eigenschaft der Körper nutzen müsse: daß Einheit der Malerischen Beiwörter ihr Regel sey5 –
Ja nicht einmal, daß sich »nur aus diesen Grundsätzen die große Manier Homers bestimmen und erklären ließe.« Ich läugne Hrn. L. viel, und in seinem Grunde Alles, aber darum läugne ich nicht alle Sachen, die nur Er auf diesen Grund bauet. – Darf ich von Homer anfangen? –
»Homer malet nichts, als fortschreitende Handlungen: alle Körper, alle einzelne Dinge malet er nur durch ihren Antheil an den Handlungen, gemeiniglich nur mit Einem Zuge. Zwingen ihn ja besondere Umstände, unsern Blick auf einen einzelnen körperlichen Gegenstand länger zu heften: so weist er durch unzälige Kunstgriffe diesen einzelnen Gegenstand in einer Folge von Augenblicken, in deren jedem er anders erscheint«6 – Schön! vortreflich! die wahre Manier Homers! – Nur ob Homer diese Manier gewählt, weil er mit successiven Tönen schildern wollte,7 weil er körperliche Gegenstände anders zu schildern verzweifelte, weil er besorgen mußte, daß, wenn er uns in der schönsten Ordnung von einem Theile des Gegenstandes zum andern führte, daß, wenn er uns auch die Verbindung dieser Theile noch so klar zu machen wüßte;8 dem Auge zwar die betrachteten Theile in der Natur beständig gegenwärtig blieben, für das Ohr hingegen die vernommenen Theile, folglich die Mühe des Dichters, verlohren wäre – ob deßwegen Homer seine Gegenstände in eine Folge von Augenblicken gesetzt, ist mir nie bei Homer beigefallen.
Wenn seine Hebe z.E. uns den Wagen der Juno Stück vor Stück zusammensetzt,9 entkommt da der Dichter dem Versuche, ein Coexsistentes nicht mit Folgetönen zu schildern? Ich sehe Räder, Achsen, Sitz, Deichsel, Riemen, Stränge, nicht wie es beisammen ist, sondern erst langsam zusammenkommt. Erst werden mir die Räder, nicht blos die Räder, sondern die Theile derselben, die ehernen Speichen und die goldnen Felgen, und die Schienen von Erzt, und die silberne Nabe u.s.w. langsam vorgezält, denn erst Achsen, denn erst der Sitz, alles in seinen Theilen; und ehe das letzte Stück dran ist, habe ich sicherlich das Erste vergessen. Der Wagen steht zusammen: und Trotz der Phantasie, die sich jetzt das Bild des Wagens mit Einem Blicke und doch in allen seinen Theilen z.E. die ehernen Speichen und die goldnen Felgen, und die Schienen von Erzt u.s.w. auf Einmal anschauend denken könne! Ich sehe also kaum, was Homer gethan hätte, um gleichsam die Wirkung successiver Töne zu schwächen, um durch unzälige Kunstgriffe uns das Coexsistente gegenwärtig zu machen? Liegt es hier einmal am klaren Begriffe des Coexsistiven in allen seinen Theilen, »welche größere Mühe, welche schärfere Anstrengung kostet es, diese langsamen Eindrücke alle in eben der Ordnung so lebhaft zu erneuren, sie nur mit einer mäßigen Geschwindigkeit auf einmal zu überdenken, um zu einem etwanigen Begriffe des Ganzen zu gelangen.« Arbeitete der Dichter auf diesen Begrif des Ganzen, da er uns seine Theile zerlegte, um ihn nachher in allen diesen Theilen zusammengesetzt darzustellen; so sage ich, hat er eben so vergebens gearbeitet, als Brockes, wenn er uns Kräuter malet. Das Zusammensetzen, die Handlung der Hebe kommt gar nicht in Rechnung; das